: Der Tod ist trendy
KRAFTMEIEREI Gaspar Noé versucht mit „Enter the Void“ seinen Ruf als Enfant terrible zu verteidigen
Vielleicht hat man es ihm einfach nicht verziehen. Sein provokantes Berserkertum, seine visuelle Kraftmeierei, die viel zu effektorientiert und spekulativ daherkommt, als dass sie dem reinen, sich selbst genügenden künstlerischen Experiment verpflichtet sein könnte. Aber als Gaspar Noé in „Irréversible“ Gesichter buchstäblich zu Brei prügeln ließ, die Vergewaltigungsszene mit Monica Belucci ins Unerträgliche ausdehnte, den Gewaltakt mit der Kamera und im Vor und Zurück des Erzählrhythmus wiederholte, positionierte er sich zugleich für ein Kino, das auf eine zweifelhafte Überwältigung zielt.
Der Skandal, den „Irréversible“ 2002 in Cannes auslöste, muss von Noé heiß herbeigesehnt gewesen sein, mehr als jede tiefer greifende Debatte über ungebremste Gewaltdarstellung, unverhohlene Frauenfeindlichkeit und ungebrochenen Sadismus im Kino. Denn dafür wäre sein erzählerisch dünnes, nichts als vordergründiges Filmchen nicht der Rede wert gewesen.
Gaspar Noé hat also einen Ruf als Enfant terrible zu verteidigen. Und an den Kirmeslärm europäischer B-Action-Movies will er sich nicht verschwenden. Nein, Arthouse muss es schon sein. Weil ihn nach dem großen Rummel keiner mehr ignoriert, kann er es sich leisten, in seinem jüngsten Film leiser, introvertierter und passagenweise durchaus kunstvoll aufzutreten. In „Enter the Void“ fehlt es an einem vergleichbar ausgestellten Urschock. Es geht nicht ums Quälen, Erniedrigen und Zerstören, sondern um ein geradezu behutsames Sterben, wenn auch in ausgesucht unappetitlicher Kulisse.
Oscar (Nathaniel Brown) liegt mit einer Kugel im Bauch zwischen eigenen und fremden Körpersäften im Klo eines Clubs mit dem titelgebenden Namen „Enter the Void“. Das bisschen Leben, das noch in ihm steckt, entweicht. Seine Seele steigt auf, legt sich über die Bilder, und mit ihr schwingt sich die Kamera auf über die Körper, die Dächer, die Zeit und erzählt die Geschichte von Oscar und seiner Schwester Linda (Paz de la Huerta). Davon, wie sie ihre Eltern bei einem Autounfall verlieren, sie sich per Schwur für immer miteinander verbinden, auseinandergerissen werden und in Tokio zu einer vorübergehenden drogenseligen Zweisamkeit finden. Ihren Dauertrip finanzieren sich die Geschwister mit Strippen und Dealen. Am Ende wird ihre Geschwisterliebe in einer Reinkarnationszene in den shintoistischen Kreislauf körperwandernder Seelen und Geister überführt.
Von alldem in rauschhaften Bildern zu erzählen, die Protagonisten wie Kubricks „2001“-Astronauten im Lichttunnel durch diverse Wahrnehmungsschichten zu schicken und durch Settings taumeln zu lassen, die mal an Wong Kar-Wai, mal an Nan Goldin erinnern, liegt nahe. Ungeheuer chic und trendy sieht das aus. Dieses geruhsame Sterben in dieser überirdisch leuchtenden Stadt voll schöner, fertiger Menschen. Doch die Geister, die in diesen Bildern wohnen, haben nichts von der schönen Selbstverständlichkeit und der nicht hintergehbaren Präsenz des asiatischen Kinos. Und ihre Belange und Nöte nichts von einer Geschichte, die sich um ihretwillen weiter und weiter erzählt. Sie bleiben Effekte in einem überlangen Film, dem man diesmal nichts verzeihen muss. Nichts, außer sein Kalkül.
BIRGIT GLOMBITZA
■ „Enter the Void“. Regie: Gaspar Noé. Mit Nathaniel Brown, Paz de la Huerta u. a., Frankreich/ Deutschland/Italien 2009, 162 Min.
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