: Matussek – ein Fehler der Natur?
VULGÄRDARWINIST Matthias Matussek braucht dringend Nachhilfe in Biologie. Das beweisen seine jüngsten Äußerungen, in denen er Homosexualität mit Erbkrankheiten vergleicht
VON HEIKO WERNING
Es genügte eigentlich, die jüngsten Lebensäußerungen von Matthias Matussek zu beobachten, um zu wissen, was von der derzeit tobenden Debatte um Homosexualität zu halten ist. In der Welt bestand er darauf, homosexuelle Liebe sei „eine defizitäre, weil sie ohne Kinder bleibt“, im European legte er nach, Homosexualität sei „ein Fehler der Natur“, und auf eine Kritik daran von Stefan Niggemeier reagierte er gestern mit einem derart bizarren Verbalamoklauf („Niggi, aufgeschwemmter Mausepaul“) samt hochnotpeinlicher Selbstbeweihräucherung, dass man sich fragt, ob denn da wirklich niemand ist, der dem Mann helfen kann.
Damit könnte man es bewenden lassen, wenn er nicht plötzlich eine alte Argumentationslinie reanimierte, die hochgefährlich ist. Um das zu erkennen, muss man nicht mal die sich aufdrängenden historischen Vergleiche bemühen. „Lebewesen müssen sich fortpflanzen, um die Art zu erhalten. In diesem Sinne ist Gleichgeschlechtlichkeit [sic!] ein Fehler der Natur. So wie es Taubheit gibt. Oder Erbkrankheiten. Ich verstehe den Skandal nicht, den eine solche Äußerung verursachen könnte.“ Das verwundert nicht, denn auch sonst scheint der Mann so einiges nicht zu verstehen. Biologie zum Beispiel.
Es ist der alte Vulgärdarwinismus, der hier aus der Schublade gekramt wird, das „survival of the fittest“ für Leute, die nicht fit genug sind, diese ja nun auch schon wieder über 150 Jahre alte Theorie wenigstens in ihren Grundzügen zu durchdringen. Wenn wir schon über Sex reden, dann bleiben wir doch am besten bei einem Beispiel, das in Matusseks Kohorte auch immer gerne genommen wird: Bienen. 99,9 % der Mitglieder eines Bienenvolkes kümmern sich einen Dreck um die eigene Fortpflanzung, überlassen das lieber der Königin und machen ansonsten, was Schwule im Universum von Matussek vermutlich auch immer so machen: ein bisschen das Haus schön halten, an Blümchen schnuppern und viel herumsumsen. Es geht also, kurz gesagt, beim Arterhalt mitnichten um die Fortpflanzung des Individuums, sondern um die genetische Fitness der ganzen Population. Wie es ohnehin ja gar nicht um Arterhalt geht, sondern um Artentwicklung, um Evolution eben. Dafür werden die Gene ständig neu kombiniert, deshalb gibt es etwas so Hübsches wie Sex überhaupt erst. Das Ergebnis ist notwendigerweise breit gestreut, damit die Art auf veränderte Bedingungen flexibel reagieren kann. Abweichungen von der Norm sind also kein Fehler der Evolution, sondern ihre Triebfeder.
Dabei führt natürlich vieles ins Nichts. Dass Homosexualität eine solche Sackgasse darstellt, ist allerdings unwahrscheinlich. Denn wir kennen sie nicht nur von „irgendwelchen Pantoffeltierchen“, wie Matussek schreibt, sondern quer durch alle Klassen und Gattungen. Angesichts dieser Omnipräsenz kann man als sicher annehmen, dass homosexuelles Verhalten förderlich ist für die Gesundheit der Population, für das Überleben einer Art.
Warum das im Einzelfall so ist, dafür gibt es unterschiedlichste Erklärungsansätze, die von Art zu Art differieren: Stabilisierung der Sozialstrukturen, besserer Aufzuchterfolg homosexueller Paare (ja, Matussek, genau so!), Unterstützung der Nachwuchs aufziehenden Eltern – und oft wissen wir es einfach nicht. Gerade bei höher entwickelten Spezies, vom Wal über den Makaken bis zum Bonobo, gilt aber wohl vor allem eines: Ihnen macht homosexueller Sex einfach Spaß. Ganz offensichtlich trägt es positiv zum Wohlbefinden und damit zur Gesundheit sowie zum Sozialgefüge bei, auch mal den gleichgeschlechtlichen Besucher zu penetrieren oder sich von der Nachbarin die Schwimmflosse in die Muschi schieben zu lassen.
Vielleicht ist es ja einfach das, was Matussek fehlt. Womöglich müsste sich nur ein Geschlechtsgenosse erbarmen und den Mann mal ordentlich rannehmen, so ganz im Sinne der Natur. Ein bisschen Spannungsabbau, ein bisschen Vergnügen, ein bisschen Einordnung in die soziale Gruppe. Vielleicht müsste er dann nicht mehr derart strunzdumme Texte schreiben und dafür eine so faszinierende Wissenschaft wie die Biologie missbrauchen.
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