: Noch ein bitteres Unrechtsurteil
RUSSLAND Wegen Protesten gegen Putin müssen sieben Angeklagte in der Strafkolonie büßen
AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH
Rund tausend Demonstranten hatten sich vor dem Moskauer Bezirksgericht im Stadtzentrum schon am frühen Morgen eingefunden. Ebenso viele Sicherheitskräfte schirmten das Gericht weiträumig ab und nahmen zweihundert Oppositionelle schon vor Verhandlungsbeginn prophylaktisch in Gewahrsam. Es war ein politischer Prozess, der hinter den Mauern des Samoskworezki-Gerichts stattfand. Acht Angeklagte warteten auf die Verlesung ihrer Strafen, nachdem das Gericht sie bereits am Freitag pauschal für schuldig befunden hatte. Ihnen wird zur Last gelegt, an Massenunruhen teilgenommen und in einigen Fällen auch zum Widerstand gegen die Staatsgewalt aufgerufen zu haben. Sieben der Angeklagten erhielten zwischen zweieinhalb und vier Jahren Haft, die in einer Strafkolonie abzubüßen sind. Eine 20-jährige Angeklagte kam mit drei Jahren auf Bewährung davon.
Am 6. Mai 2012 demonstrierten Zigtausende auf dem Bolotnaja-Platz am Tag vor der Amtseinführung gegen die Rückkehr Wladimir Putins in den Kreml. Während der Demonstration kam es zu Handgreiflichkeiten mit den Spezialeinheiten des Innenministeriums. Unabhängige Beobachter und mehrere Untersuchungsberichte erklärten, die Sicherheitsorgane hätten die Lage bewusst eskalieren lassen. Eine unabhängige Kommission kam vor einem Jahr zu dem Schluss, dass es sich nicht um Massenunruhen gehandelt habe.
Human Rights Watch und Amnesty International sahen in dem Verfahren ebenfalls politische Motive am Werk. Nach der Demonstration waren im Nachhinein 30 Verdächtige im Verlauf mehrerer Monate festgenommen worden. Die meisten saßen bis Ende 2013 in U-Haft und wurden dann amnestiert. An den letzten acht Inhaftierten sollte jetzt ein Exempel statuiert werden, damit Andersdenkende von Protesten Abstand nehmen.
Es geht um Einschüchterung. Bedenkenlos bedient sich der Staat falsifizierter Beweise, polizeilicher Falschaussagen und lächerlicher Anschuldigungen, um politische Gegner auszuschalten. So wurde ein notorischer Stotterer wegen des Aufrufs zu Massenunruhen zu knapp drei Jahren Haft verdonnert. Schon dieser Umstand belegt, dass die Exekutive bestimmt, was Recht ist. Für die Umsetzung war eine Armada von Ermittlern zuständig, die extra aus der Provinz nach Moskau verlegt worden war. Moskauer Beamte sollen sich geweigert haben, an solch einem Spektakel teilzunehmen. Die Beamten aus der Provinz wurden mit großzügigen Zuwendungen bedacht.
Bemerkenswert ist, dass die Sicherheitskräfte nicht einen einzigen Kollegen mit einer nennenswerten Verletzung vorführen konnten. Seit den Unruhen in der Ukraine werden die Demonstranten vom Bolotnaja-Platz als Putschisten dämonisiert, denen rechtzeitig das Handwerk gelegt werden konnte. Damit die Fernsehzuschauer dem Glauben schenken, werden Aufnahmen vom prügelnden Kiew mit Bildern des friedlichen Anti-Putin-Protestes vom 6. Mai vermengt. In anderen Ländern wäre die Demonstration als harmlos bezeichnet worden. Nach der Urteilsverkündung ließ der Kreml durchblicken, eine Begnadigung der Inhaftierten sei nicht ausgeschlossen.
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