piwik no script img

Uli Hanemann: Liebling der MassenPrimitive Gedanken

Endlich haben die Berliner Autoren eine sportliche Heimat für ihr Fußballtraining gefunden. Nachdem wir anlässlich zweier Probekicks dem Vereinsheim zu Rekordumsätzen verholfen hatten, zeigte man sich uns bei dem kleinen Verein in Mitte recht gewogen. Wir erwarben die Mitgliedschaft und damit das Anrecht auf einen wöchentlichen Trainingsplatz. Nur einen, haha, Haken sollte die Sache haben: Wir würden uns die anvisierte Platzzeit mit den „Mädels“ teilen müssen.

Die „Mädels“ waren uns bereits bei den Testterminen aufgefallen: eine Gruppe geradezu grotesk gutaussehender Girls. Mit denen zusammen trainieren? Das gab natürlich ein großes Hallo. „Dann haben wir ja bestimmt auch nur eine Kabine zusammen, hehe!“ – „Ich freu mich schon aufs Duschen hinterher, hoho!“

Solche Sprüche fielen in unserem Kreise selbstverständlich nicht – primitive Gedanken, wie wir Intellektuellen sie schon allein aufgrund der reflektierten Sexismusdebatte, die ohne Pause auf den strahlenden Podien zwischen unseren Ohren verhandelt wird, überhaupt nicht haben können. Folglich musste auch ich das einschlägige Vokabular erst mühsam recherchieren: Was würde einer weniger hohen Existenzform in dieser speziellen Situation durch den Kopf gehen?

Ich fuhr in den Wedding und klingelte willkürlich an irgendeinem Mietshaus. „Ja bitte?“, scholl es aus der Gegensprechanlage. Das war ja wohl gar nichts! Noch mal woanders. „Welches verdammte Arschloch klingelt hier um diese Zeit?“ Ah, das klang schon besser! „Guten Tag. Ich bin Autor und recherchiere zum Thema ‚primitive Gedanken‘. Kann ich hochkommen?“ „Komm nur rauf, du Wichser“, knarzte die Stimme, „dann polier ich dir ordentlich die Fresse. Quergebäude. Hochparterre rechts. Bei Prollinger.“

Nur wenig später saß ich bei ihm auf dem Sofa. „Stellen Sie sich vor“, erläuterte ich ihm die Sachlage, ohne mich von dem Schlägehagel, der rechts und links an meinen Kopf prasselte, irritieren zu lassen, „Sie erfahren, dass Sie und Ihre Fußballmannschaft sich den Trainingsplatz mit einer Gruppe junger Frauen teilen müssen. Was fällt Ihnen dazu ein? Bitte versuchen Sie, all Ihre immanente abstoßende Dumpfheit in die Antwort einfließen zu lassen!“

„Na ja“, lachte er verwundert, und vergaß sogar für einen kurzen Moment zuzuschlagen, „also als Erstes: ‚Dann haben wir ja bestimmt auch nur eine Kabine zusammen, hehe.‘ Und dann natürlich: ‚Ich freu mich schon aufs Duschen hinterher, hoho.‘ Das darf auf gar keinen Fall fehlen!“ „… aufs Duschen, hoho“, notierte ich eifrig. „Und, ja, vielleicht noch“, fuhr er engagiert fort: „Die eine Mannschaft zieht zur besseren Unterscheidung die Hemden aus, höhö.“ „… die Hemden aus, höhö“, klappte ich mein Notizbuch zu, „vielen Dank – Sie haben mir wirklich sehr geholfen.“

„Nicht der Rede wert“, wiegelte er ab und geleitete mich mit höflichen, aber bestimmten Tritten zur Tür und anschließend sogar noch ein Stück die Treppe hinunter. Vor dem Eingang zur U-Bahn wrang ich mir zufrieden das Blut aus der Kleidung: Ich hatte mehr als genügend Material gesammelt. Zurück in meinem Elfenbeinturm, schrieb ich die Schätze nieder. Das mit den Hemden ließ ich sogar noch weg.

ULI HANNEMANN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen