: Wo Geld nichts wert ist
LEIHEN I Mitten im wohlhabenden Prenzlauer Berg hat ein Geschäft Erfolg, das man hier nicht unbedingt vermutet: der Leihladen Leila. Das Verleihen ist hier für viele ein Ausdruck von Luxus: Man verzichtet nicht auf den Kauf, weil man muss – sondern weil man kann
■ Der Laden Leila verleiht etwa Werkzeug (Malerrolle, Fliesenschneider, Schlagbohrmaschine), Hausrat (Wok, Bügeleisen), Kinderspielzeug, Bücher und Faschingskostüme. Wer einen eigenen Gebrauchsgegenstand in den Leihfundus einbringt und eine freiwillige Spende leistet, darf sich etwas ausleihen und muss es nach einer individuell vereinbarten Leihfrist sauber und ganz wieder mitbringen. Damit man im Zweifel nicht umsonst zum Leihladen läuft, wird auf der Leila-Website die Verfügbarkeit der Leihgegenstände angezeigt. Fehrbelliner Straße 92, Prenzlauer Berg. (akl)
VON ANNA KLÖPPER
Das beste Stück in Nikolai Wolferts Laden ist derzeit ein Schokobrunnen, originalverpackt. „Funktioniert auch mit nur einer Tafel Schokolade, wollen Sie ihn haben?“ Haben heißt in diesem Fall nicht kaufen, sondern ausleihen. Dasselbe gilt auch für den Gymnastikball, die elektrische Dartscheibe, den Entsafter, das Einrad, die Bücher und das Kinderspielzeug, das sich in den Regalen im hinteren Teil von Wolferts kleinem Ladenlokal stapelt. Im Leihladen Leila am Senefelder Platz ist Geld nichts wert. Wer sich den Entsafter für ein, zwei Wochen borgen will, steuert im Gegenzug vielleicht einen Pürierstab dem Leihfundus bei.
Das Prinzip Pürierstab gegen Entsafter funktioniere prima, versichert Wolfert, Anfang 30, Sozialwissenschaftler, der das spendenfinanzierte Mitmachprojekt 2010 gegründet hat. Die Idee: Niemand muss alles besitzen. Teilen ist hier Teilhabemodell: Wer sich keine Bohrmaschine leisten möchte, leiht sich eine. Und wer sich eine leisten kann, das Gerät aber nicht regelmäßig braucht, stellt es auch anderen zur Verfügung.
Rund 600 Verleihungen habe es im vergangenen Jahr gegeben, seit der Gründung zeige die Kurve beständig nach oben, sagt Wolfert. Auch der Schenkladen im vorderen Teil sei gut frequentiert. Umsonst gibt es hier vor allem Kleidung – denn eine Hose eigne sich einfach nicht zum Verleihen: „Die will man ja nicht nach zwei Wochen wieder zurückgeben.“ Knapp 500 Mitglieder hat Leila mittlerweile. Manche überweisen einfach nur ein wenig Geld, andere helfen bei der Inventur, organisieren das nächste Verschenkfest oder verteilen Werbeflyer. Die Kundschaft: ein Querschnitt aus dem Kiez. „Mütter mit Kinderwägen, Studenten, Linke, ältere Leute, die schon ewig hier wohnen“, zählt Jakob Heiden auf, der regelmäßig bei Leila aushilft.
Dass der Leihladen gerade hier im südlichen Prenzlauer Berg so gut ankommt, wo sich das mehrheitlich wohlhabende und kinderwagenschiebende Bürgertum mit Mitte-Hipstern mischt, ist nicht etwa ein Wunder. Im Gegenteil: Teilen ist gerade schwer angesagt. „Shareconomy“ heißt der Trend zum Laden. Ob man sich nun das Auto teilt (Carsharing), das eigene Haus zum Hostel macht (das Übernachtungsportal Airbnb, das Gastfreundschaftsnetzwerk Couchsurfing) oder bei Leila eine Bohrmaschine leiht: Teilen ist Zeitgeist, ein Statement. Die nachhaltig produzierte Altpapiertüte aus dem Biosupermarkt ist das passende Accessoire dazu.
Einen traditionell links verorteten Protest für nachhaltigen Konsum mag der Hamburger Kommunikationswissenschaftler Peter Wippermann im Trend zum Teilen, Tauschen und Schenken allerdings nicht erkennen. Mit Kategorien wie links oder konservativ habe der Trend wenig zu tun – Wippermann sieht in der Share-Kultur aber eher eine gesamtgesellschaftliche „Antwort auf die Krise des Finanzmarktkapitalismus“ (siehe Interview). Wenn ein Modell nicht mehr funktioniert, sucht man eben nach Alternativen.
Tauschen und teilen, Umsonstläden und Tauschflohmärkte gelten mit einem Mal nicht mehr nur als linke Spinnerei, sondern als eine Form von Gesellschaftskritik – die wirtschaftlich erfolgreich genug ist, um auch in den Medien ernsthaft diskutiert zu werden. Dabei ist das Prinzip des Teilens nicht neu, sondern eher banal. Wer Mehl für den Kuchen braucht, leiht sich eben welches bei der Nachbarin – schon immer. Man kann das Ganze aber auch Foodsharing.de nennen und über eine Internetplattform koordinieren. Neu sind die Möglichkeiten, Teilen zu organisieren – wodurch es eine potenziell politische Aussage bekommt.
Weil der Hype um Leihkultur und korrekten Konsum plötzlich so schön anschlussfähig geworden ist, läuft er aber auch Gefahr, eine bloß noch ideologisch verbrämte Form von Luxus zu sein. Denn die meisten verzichten nicht, weil sie es müssen, sondern weil sie es können. „Mittellose kommen nur selten zu uns“, sagt auch Wolfert. Wer sich Dinge teilt oder auf dem Verschenkfest einen Pullover abgreift, der sonst eben in der Tonne landen würde, ist nicht bedürftig, sondern cool. Man gönnt sich ein bisschen Nachhaltigkeit und gutes Wohlfühlgefühl, weil man sich alles andere kaufen kann.
Was wiederum nicht unbedingt etwas Schlechtes ist: Ein geteilter Schokobrunnen ist und bleibt gleich weniger Wohlstandsmüll.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen