piwik no script img

NormalzeitHELMUT HÖGE unter produktiven Frauen

„Die lange Nacht der Musen? – Hä! Meinen die Messer?“ (Chantal, 10)

Von der taz-Autorin Dorothee Wenner stammt die Idee, wenn es um deutsche Macken geht – Ausländer interviewen! Auch ihr neuester, zusammen mit Urmi Juvekar gedrehter Film „Shanti Plus“ geht von dieser Idee aus. Er hatte Premiere im „Arsenal“, zusammen mit zwei anderen Filmen, die ebenfalls „Indien“ thematisierten und das Ergebnis des Großprojekts „Moving Spirit“ bildeten.

In „Shanti Plus“ geht es um die Hippies in Goa, aus der Sicht der einheimischen Händler, die quasi von ihnen leben. Für den zweiten Film „India in Mind“ haben Merle Kröger und Philip Scheffner dagegen hier – in Hoch-, Flach- oder Landhäusern – lebende Indien-Freaks interviewt. Für eine Marketingfrau ist Yoga das Ein und Alles; ein Internet-Studentinnenforum verteilte erst alle männlichen Bollywood-Stars auf ihre Gruppe und ersetzt nun mittels „Photoshop“ die Gesichter der weiblichen durch ihre eigenen; ein ehemaliger Indienfahrer und jetziger Reisebüroleiter kocht regelmäßig indisch.

Der dritte Film „A Spiritual Journey“ begleitet den Sinnsucher und Regisseur Peter Zorn durch Indien zu den Zentren seiner geistigen Musen Mme. Blavatsky, Krishnamurti, Sri Aurobindo usw. Es ist dabei viel von „sich selbst suchen“ und „finden“ die Rede. Aber Zorn selbst blieb dabei angenehm gelassen. Der vierte Beitrag, „Spirit“ von Florian Zeyfang, besteht aus einer Videoinstallation auf drei Monitoren und bildet „eine Art Meta-Ebene zur obigen Triologie“.

Merle Kröger und Dorothee Wenner sind alte Indienhasen: Letztere hatte zuvor im gemeinsamen Kulturgroßprojekt „Import – Export“ unter anderem „Mercedes-Benz in Indien“ gewürdigt; Erstere hat den Bollywood-Krimi „Cut“ veröffentlicht.

Nach ihrer Filmpremiere fuhr ich gleich weiter in die Kneipe „Torpedokäfer“ in Prenzlauer Berg, die ihre letzte Nacht erlebte. Es war gerammelt voll. Der Philosoph Hugo Velarde saß mitsamt Stuhl auf dem Tisch und sang melancholisch-revolutionäre Andenlieder. Andreas Hansen, Redakteur der rätekommunistischen Zeitschrift Gegner, hockte ihm quasi zu Füßen und verteilte nicht minder melancholisch die neueste Gegner-Ausgabe, die vielleicht auch die letzte ist. Sie ist zum kleinen Teil dem Tod des Industriesoziologen Friedhelm Schrooten gewidmet, der zuletzt im Kiosk gegenüber Tor 1 der Hüttenwerke der Krupp-Stahl AG in Rheinhausen beheimatet war, und zum Großteil dem jüngst verstorbenen Galeristen, Anarchisten und Satanisten Jes Petersen, dem wir – die Westberliner Gegner-Kreise – noch mehr verdanken.

Seine vor ihm verstorbene Frau Ilona, ebenso wie seinen Freund, den Klavierstimmer, Dokumentenfälscher und „freischaffenden Kunsttrinker“ Oskar Huth, hatte ich noch ordnungsgemäß mitbeerdigt. Bei Jes verlor ich jedoch die Geduld ob der vielen Todesfälle um mich herum. „Man kommt gar nicht mehr runter vom Friedhof“, meinte neulich schon die Rätekommunistin Gisela Goffroy.

Im „Torpedokäfer“ war das Sterben lustiger, obwohl wir von dort zuletzt den Kellner und Punkphilosophen Lothar Feix beerdigt hatten. Am aufgekratztesten wirkten die Frauen: Eine PDS-Abgeordnete räumte engagiert die Gläser ab. Eine Cellistin und Radiopiratin „made in Sofia 1964“, die später den Spiegel samt Konsorten in puncto „Reichstagsbrand“ der Lüge überführt hatte (unter anderem im Gegner), berichtetete begeistert von ihrer neuen Geigenbauerwerkstatt.

Im Torpedokäfer erfuhr ich auch, dass die norwegische Anarchistin und Dichterin Tone Avenstroup gerade im Gegner einen traurigen Prosatext bestehend aus lauter lustigen „Love-Songs“ publiziert hatte; dass die Leipziger Zahnmedizinerin und Dramatikerin Ines Eck ihre Prosatexte auf ihrer Webpage veröffentlichte in der Art: „Solidarność war gestern, morgen war vorgestern“. Und dass die ARD-Korrespondentin in Warschau, Annette Dittert, angeblich nicht weiß, was dieser Polska Graffitti bedeuten soll, wohingegen Ines Eck sich einfach beherzt in die aktuelle „Mindestlohn“-Kampagne gestürzt hat (siehe: www.anwaelte-gegen-hartz4.de).

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen