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Die Poliklinik, ein Zukunftsmodell

Vorbild Vergangenheit: Das DDR-Konzept der Polikliniken, in denen alle Fachärzte unter einem Dach praktizieren, findet neue Anhänger. Noch gibt es nur wenige dieser medizinischen Versorgungszentren. Doch der Widerstand der Ärztelobby schwindet

AUS BERLIN ANNA LEHMANN

Das Haus versteckt sich hinter Büschen, als ob es sich schämte für sein ostiges Outfit: braun verspiegelte Fenster, Treppen aus Stahlbeton. Das Schild über dem Eingang ist unpassend neu: Gesundheitszentrum am Tierpark. Und auf der Tafel vor dem Zentrum quetschen sich die Schilder der Praxen aneinander: Frauenärztin, Zahnarzt, Kinderarzt, Röntgenpraxis – mindestens einen Experten für jedes Leiden gibt es hier. Das Zentrum läuft gut. Dabei sollte es längst nicht mehr existieren.

Das Gesundheitszentrum im Ostberliner Stadtbezirk Lichtenberg hieß ehemals Poliklinik. Dorthin gingen die DDR-Bürger mit Schnupfen oder Stechen im Rücken. Die Ärzte arbeiteten als Angestellte, Einzelpraxen gab es kaum. 1990 aber verständigten sich die Union und die Standesvertretung der Ärzte, die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), darauf, im Osten das westliche Modell der separaten Praxen einzuführen.

Die wenigen verbliebenen Polikliniken wurden geduldet – als Auslaufmodelle. So war die Betriebspoliklinik des DDR-Glühlampenwerkes Narva zwar noch in Betrieb, als bei Narva schon längst die Lichter ausgegangen waren, doch Umzug war verboten. Die Mitarbeiter mussten schließlich entlassen werden, erzählt Bernd Köppl.

Der ehemaligen Grünen-Politiker leitet heute das Gesundheitszentrum am Tierpark. Die gängige Struktur der Praxen als Einmann- oder Einfrauunternehmen hält er als Arzt für mittelalterlich: „Wir wollten demonstrieren, dass man mit angestellten Ärzten gute und sogar bessere Medizin machen kann.“

Die Renaissance der Poliklinik begann 2004 unter neuem Namen. Medizinische Versorgungszentren (MVZ) sind den Arztpraxen seit der letzten Gesundheitsreform gleichgestellt. Noch sind sie Sonderlinge: 500 MVZ verlieren sich unter bundesweit rund 77.000 Einzelpraxen. Die anstehende Gesundheitsreform soll ihre Chancen verbessern.

Medizin aus einer Hand, lautet das Prinzip der MVZ. Bisher müssen Patienten ihren Genesungsweg selbst suchen und sich von Arzt zu Arzt überweisen lassen. „Bei uns geht man zu einem Arzt, und der organisiert alle weiteren Termine im Haus“, erläutert Köppl. Auch die Kassenarztlobby findet die MVZ inzwischen ganz gut. „Wir haben die Vorteile der fachübergreifenden und ärztlich geleiteten Einrichtungen klar erkannt“, lobte KBV-Vorsitzender Andreas Köhler neulich in Berlin. „Doch die alte Skepsis bleibt“, sagte Köhler auch. Der Kassenarztvertreter fürchtet, dass Kliniken die MVZ benutzen, um im ambulanten Sektor zu wildern und – schlimmer noch – an den Kassenärztlichen Vereinigungen vorbei selbst Leistungen anzubieten.

Krankenhäuser und Praxen sind bisher weitgehend getrennt, jeder Bereich hat sein eigenes Budget und eigene Abrechnungsvorschriften. Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben die Hoheit über den ambulanten Sektor und verteilen die Arzthonorare.

Die Furcht der KVen vor Machtverlust ist durchaus begründet. Zunehmend setzen sich auch Krankenhäuser ein medizinisches Versorgungszentrum vor ihre Pforte. Vor dem Sana-Klinikum in Lichtenberg etwa steht seit drei Jahren solch ein glasglitzernes Zentrum mit vier Operationssälen, einer Bettenstation und vielen Einzelpraxen. Manche werden von niedergelassenen Ärzten angemietet, in anderen halten angestellte Ärzte die Sprechstunden ab.

So wie Monika Sautter, Fachärztin für Innere Medizin. Sie arbeitet seit acht Jahren als Hausärztin für den Klinikkonzern. „Das Gehalt ist lausig“, sagt sie, aber die Vorteile seien nicht von der Hand zu weisen. Das finanzielle Risiko für die Praxis trägt der Arbeitgeber, die Arbeitszeit ist geregelt, und sie kann sich mehr auf die Medizin konzentrieren. „Egal ob ich einen oder zehn Patienten pro Stunde durchschleuse, ich kriege mein festes Gehalt.“ Das Krankenhaus im Rücken gibt ihr Sicherheit. „Ich kann auch mal nach drüben telefonieren und mich abstimmen.“ Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus kommen die Patienten zu ihr zurück, in der Hand den Arztbrief, der über den Verlauf der Krankheit und die Behandlung informiert. „Das verzahnt sich hier total. Die Wege sind kurz, wir sparen viel Zeit“, sagt Sautter.

Der neue Leiter der alten Poliklinik am Tierpark, Köppl, ist überzeugt: „Die hochgerüstete Facharztschiene wird in Zukunft näher an die Kliniken heranrücken.“ In der Kantine des Krankenhauses Lichtenberg sitzen niedergelassene Ärzte aus dem MVZ und Klinikärzte schon einträchtig beim Mittagessen zusammen.

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