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Ein letzter Streik gegen die Erhöhung des Rentenalters

FRANKREICH Noch einmal demonstrieren die Gewerk-schaften ihre Macht. Ohne Aussicht auf viel Erfolg

Das Maximum der Mobilisierungsfähigkeit ist erreicht

PARIS taz | Noch einmal ist es den französischen Gewerkschaften und Linksparteien gelungen, mehr als eine Million Menschen gegen die Rentenreform der Regierung zu mobilisieren. In 232 Städten wurde gestern demonstriert, das waren zwar 17 Kundgebungen mehr als das letzte Mal. Die Beteiligung an den Streiks im öffentlichen Sektor und in den privaten Unternehmen lag aber eher unter den Vergleichszahlen vom 7. September. Im Flug- und Schienenverkehr sowie im öffentlichen Nahverkehr von Paris und zahlreichen anderen Städten gab es dennoch zum Teil erhebliche Behinderungen durch streikbedingte Ausfälle. Rund ein Viertel der Lehrer und ein Fünftel der Postbeamten nahmen ebenfalls am Ausstand teil. Die Gewerkschaftszentralen waren sich aber im voraus bewusst, dass für sie das Maximum der gegenwärtigen Mobilisierungsfähigkeit erreicht ist.

Den Gewerkschaften könnte der gestrige Aktionstag am Ende statt als Machtdemonstration als Manifestation der Ohnmacht ausgelegt werden. In einigen lokalen Verbänden, vor allem bei der staatlichen Bahn SNCF und bei der Post, wird der Ruf darum nach einem unbefristeten Generalstreik und einer Radikalisierung der Bewegung gegen die Rentenreform und die Regierungspolitik überhaupt laut. Doch es ist offensichtlich, dass die Gewerkschaftsbosse auf nationaler Ebene eine Eskalation, die in eine politische Kraftprobe ausarten könnte, fürchten wie die Pest. Seit der Revolte vom Mai 68 haben die am konstruktiven Dialog mit der Staatsführung interessierten Gewerkschaftsführer eine heilige Angst vor Bewegungen, die sich ihrer Kontrolle entziehen könnten. In Frankreich sei die Generalstreikparole gleichbedeutend mit einem Aufruf zum Volksaufstand, sagen sie.

Auf eine wachsende Resignation nach der großen Wut spekulieren Präsident Nicolas Sarkozy und sein Arbeitsminister Eric Woerth. Sie haben gesagt, dass sie, Demonstrationen und Streiks hin oder her, an ihrer Reform festhalten würden und höchstens noch kleine Retuschen für soziale Härtefälle an der Gesetzesvorlage akzeptieren, die von den Abgeordneten der Nationalversammlung bereits verabschiedet worden ist und am 4. Oktober vor den Senat kommt. Diese sieht eine Erhöhung des Ruhestandsalters von 60 auf 62 Jahre und ein Anrecht auf eine volle Rente ab 67 statt 65 Jahren vor. Das führt vor allem für Frauen, die häufiger Beitragslücken aufweisen, zu geringeren Altersrenten.

Die sozialistische Opposition hat angekündigt, im Falle einer Rückkehr der Linken an die Macht werde sie das Recht, mit 60 in Rente zu gehen, wieder einführen. Laut einer Umfrage für Le Figaro schenken jedoch nur 36 Prozent diesem Versprechen Glauben. RUDOLF BALMER

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