piwik no script img

Mit Zwang gegen Zwangsumzüge

Der Initiator der „Kampagne gegen Zwangsumzüge“, Peter Grottian, ruft zum „zivilen Ungehorsam gegen Schnüffelbesuche“ bei Arbeitslosengeld-II-Empfängern auf

Ob Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei.PDS) nach der Wahl am 17. September sein Amt halten wird, steht noch in den Sternen. Auf Arbeitssuche ist er dennoch nicht. Und Arbeitslosengeld II hat er anscheinend auch noch nicht beantragt. Als gestern Morgen gegen 7 Uhr nämlich ein sogenannter Schnüffeldienst vor seiner Haustür um Einlass bat, um die „eheähnliche Gemeinschaft“ nach der Hartz-IV-Regelung zu überprüfen, reagierte der Senator gereizt. „Ich bin nicht beim Job-Center“, raunzte er durch die Sprechanlage – und legte auf.

Mehrere AktivistInnen der „Kampagne gegen Zwangsumzüge“ haben gestern dem Wirtschaftssenator einen „Hausbesuch“ abgestattet. Mit einer Checkliste wollten die selbsternannten Kontrolleure in weißen Overalls unter anderem das Schlafzimmer des Wirtschaftssenators und sämtliche Schränke durchforsten. Aber auch Sparbücher, Reisedokumente und sogar die Zahnbürsten wollten sie ins Visier nehmen. Dazu kam es nicht, weil Wolf sie nicht in seine Wohnung ließ. Das zehnköpfige „Schnüfflerteam“ befragte daraufhin die Nachbarn nach den persönlichen Lebensverhältnissen des Politikers.

„Was demnächst schon tausenden von Berliner drohen kann, wollten wir ein prominentes Mitglied des für diese Politik mitverantwortlichen Senats am eigenen Leib spüren lassen“, begründete Mitinitiator Peter Grottian, Politikprofessor an der Freien Universität, die Aktion. „Gerade Wolf gibt sich immer supersozial, um dann doch die Grausamkeiten von Hartz IV fast bruchlos zu vollziehen.“

Auf der anschließenden Pressekonferenz stellte Grottian zusammen mit Wolfgang Kaleck vom Republikanischen AnwältInnenverein (RAV) und Uschi Volz-Walk vom Berliner Sozialforum die Kampagne vor. Volz-Walk rechnet damit, dass die Job-Center in den kommenden Wochen BezieherInnen von ALG II über Hausbesuche massiv unter Druck setzen werden, eine billigere Wohnung zu beziehen. Schwerpunkt der Überprüfungen seien Spandau, Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg. 80 bis 100 Kontrolleure seien dort unterwegs.

Die Kampagne gegen Zwangsumzüge hat eine Notrufnummer geschaltet, die Betroffene anrufen können, sobald die Möbelpacker vor ihren Haustüren stehen. Vertreter der Kampagne kündigten an, die Kontrolleure beim Zutritt zu behindern. Zudem wollen sie die ersten 30 Verweigerer, wenn sie Widerstand leisten, solidarisch mit Prozesskostenhilfe unterstützen und versprachen, 50 Prozent der Leistungskürzungen zu ersetzen. „Diese Besuche sind grundgesetzwidrig“, so Grottian. „Der Mut zum zivilen Ungehorsam muss deutlich gesteigert werden.“

Kaleck vom RAV wies darauf hin, dass als Voraussetzung zur Kontrolle einer Wohnung unter anderem begründete Zweifel vorliegen müssten. Zudem müssten Kontrolleure angemeldet sein. „Man kann Leuten, deren Wohnung untersucht werden soll, nur raten, rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen“, sagte Kaleck.

Reaktionen auf die Hotline der Kampagne gibt es bereits. Seit März hätten sich dort bereits 800 Anrufer gemeldet, denen mit Zwangsumzügen gedroht worden sei, berichtet Volz-Walk.

FELIX LEE

Hotline: 08 00-2 72 72 78 Weitere Infos: www.zwangsumzuege.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen