Über Ball und die Welt: Einigende Bande
MARTIN KRAUSS
Darauf haben die fortschrittlichen Kräfte der Welt lange warten müssen: Steve Gibson, Besitzer des englischen Fußballvereins Middlesbrough FC, hat sich mit einem Brief an das Volk von Nordkorea gewandt. Von einem seit 1966 bestehenden „einigenden Band“ zwischen der Demokratischen Volksrepublik Korea und dem ziemlich heruntergekommenen Industriegebiet der Teesside im nordöstlichen England ist da die Rede.
Verlesen wurde der historische Brief während einer historischen Reise. Das Frauenteam des Middlesbrough FC war im September für vier Tage in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang, hatte den Brief dabei und dazu noch zwei Spiele absolviert, also: verloren. Gegen das Team von Kalmaegi unterlagen die Engländerinnen 0:5 und gegen das nordkoreanische Nationalteam 2:6. Das ist nicht so verwunderlich, denn während Middlesbrough FC in der dritten englischen Liga kickt, wird Nordkoreas Frauenteam auf Platz fünf der Fifa-Weltrangliste geführt. Und für die WM 2011 in Deutschland sind sie längst qualifiziert.
Das „einigende Band“ aus dem ominösen Jahr 1966, von dem Steve Gibson sprach, hat nichts mit irgendwelchen Kämpfen der englischen Arbeiterklasse, bei denen sie internationale Solidarität erfahren hätten, zu tun. Um an so etwas zu erinnern, wäre Gibson mit seinem geschätzten Vermögen von 130 Millionen Euro auch vielleicht nicht so recht glaubwürdig. Die Rede vom „einigenden Band“ erinnert bloß an den größten Erfolg des nordkoreanischen Fußballs: Am 19. Juli 1966 traf Pak Doo-ik in der 41. Spielminute zum 1:0 und schoss damit Italien aus der WM.
Das geschah im (mittlerweile abgerissenen) Ayresome Park, dem Stadion des Middlesbrough FC. Damals, 1966, war im völkerrechtlichen Sinne der Koreakrieg noch nicht beendet, und entsprechend diplomatisch kompliziert war es, vor dem Rathaus von Middlesbrough die Flagge der Volksrepublik, die den roten fünfzackigen Stern des Kommunismus in sich trägt, zu hissen. Doch in Middlesbrough war man nett zu den koreanischen Gästen. Und in Pjöngjang, wo man sich ja auf der historisch richtigen Seite weiß, vergisst man so etwas nicht. Zumal an der Stelle, wo Pak Doo-ik traf, mittlerweile eine Bronzestatue an das historische Ereignis erinnert.
Doch da ja nicht der gesellschaftliche Rück-, sondern der Fortschritt im Land des großen Führers Kim Jong-Il herrschen, darf man sich Gedanken machen, welche Art koreanisch-britischer Annäherung hier vonstatten geht. Schließlich hatte das Regime in Pjöngjang bereits vor acht Jahren einen solchen an die gute alte Pingpong-Politik erinnernden Versuch unternommen, acht der „Helden von 1966“ durften zu einer kurzen Reise nach Middlesbrough aufbrechen (taz, 30. 10. 2002).
Pingpong-Diplomatie heißt so, weil Anfang der siebziger Jahre nur mit Hilfe der Einladung zu einem Tischtennisturnier die diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und der Volksrepublik China zustande kamen. Das war zwar nicht gerade die Entdeckung des Sports für die Diplomatie – da sei an die erfolgreiche 1936er-Mission des deutschen Boxers Max Schmeling erinnert, die USA von einem Boykott der Olympischen Spiele in Berlin abzubringen.
Aber die Annäherung von China und den USA in den Siebzigern ist doch einer der Höhepunkte in der Geschichte der politischen Nützlichkeit des Sports. Vor allem wird sie so gerne zitiert, weil sie hilft, dem Sport etwas anzuheften, wofür Schmelings Mission wahrlich nicht steht: etwas Schönes, Gutes, Friedliches. Im Grunde ist die Botschaft des Steve Gibson, die in Pjöngjang verlesen wurde, weniger die der großen Völkerfreundschaft, sondern der noch größeren Märkteöffnung. Es geht darum, mit Hilfe des Fußballs den Fuß als Erster in der nordkoreanischen Tür zu haben. Oder im Tor, um beim Thema zu bleiben.
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