: Reich, mächtig, kommunistisch
Chinas Neureiche genießen den Luxus, während die Mehrzahl ihrer Landsleute in bitterer Armut lebt
Aus Peking Georg Blumeund Johann Vollmer
Draußen bewegt sich die Menschenmenge langsam über Pekings zentrale Einkaufsstraße am Tiananmenplatz. „Zwei Pullover zum Preis von einem“, rufen zwei junge Ladenmädchen in die Menge hinein und halten bunte Ringelpullis in die Luft. Winston Huang hört und sieht die Mädchen nicht. Der 33-jährige Jungunternehmer steht hinter der gläsernen Drehtür des Peninsula Palace Hotel. „Auf der Straße kaufe ich nicht, denn ich achte sehr aufs Image“, sagt Huang. Er trägt eine Designer-Jacke mit Schlangenledermuster und führt seine Freundin einkaufen – in Pekings teuerstes Shopping-Paradies.
Hinter der Drehtür des Peninsula Palace bietet sich Huang die Quintessenz von Pariser Champs-Élysées und Düsseldorfer Königsallee. Prada, Gucci, Burberry und Chanel haben das Foyer umsäumt, in der unteren Etage warten weitere Topdesigner. Zielstrebig steuert Huang auf die exklusive Auslage von Louis Vuitton zu. „Das ist meine Lieblingsmarke“, entzückt sich seine 24-jährige Begleiterin. Um ihre zarte Schulter baumelt bereits eines der teuren Täschchen mit dem berühmten Muster. Huang erklärt, dass er und seine Freundin öfter hierher kämen. Sein Geld verdiene er mit Computerspielen für Handys, die ihm westliche Kunden abkauften. Diesen Monat wäre er im Paninsula Palace schon 20.000 Yuan, umgerechnet 2.000 Euro, losgeworden. So viel gebe er hier regelmäßig beim Shoppen aus, sagt Huang.
Der Mann ist in China nichts Besonderes mehr. 300.000 Dollarmillionäre zählt die längst nicht mehr kommunistische Volksrepublik, glaubt man dem World Wealth Report der US-Investmentbank Merrill Lynch. Ihnen stünden 530 Milliarden Dollar zur Verfügung, mehr als das Pentagon-Budget eines Jahres. Dabei zählen die US-Banker nur das zur Verfügung stehende Investitionsvermögen der Reichen, nicht den etwa in Immobilien festangelegten Privatbesitz. Nach dieser Rechnung gibt es in Deutschland zum Vergleich 760.000 Millionäre. Der Ökonom Hu Biliang von der Pekinger Akademie der Sozialwissenschaften aber rechnet anders. Er berücksichtigt das Gesamtvermögen inklusive Immobilienbesitz und schätzt die Zahl der chinesischen Dollar-Millionäre auf über 5 Millionen. Hu zeichnet ein Bild sozialer Gegensätze. Das chinesische Durchschnittseinkommen liege umgerechnet bei etwa 100 Euro im Monat. 80 Millionen Menschen lebten nach offiziellen Angaben der Kommunistischen Partei noch in völliger Armut. So erkläre sich Chinas hoher Gini-Koeffizient, der die Einkommensungleichheit anzeigt. Ein Gini-Koeffizient von 0,0 bedeute absolute Gleichheit; 1,0 bedeute absolute Ungleichheit, Chinas Koeffizient liege bereits bei 0,4 – damit sei die international anerkannte Alarmgrenze erreicht, jenseits der man mit sozialen Konflikten rechnen müsse, meint der Ökonom Hu.
Doch was kümmert das Lian Li*? Die 30-jährige IT-Managerin hat gerade ihren silbernen 3er-BMW vor dem Pekinger Kosaido-Golfclub geparkt. Sie öffnet den Kofferraum, in dem nur ein einziges Schlägereisen liegt. „Ich nehme heute erst meine zweite Stunde“, entschuldigt Lian die magere Ausrüstung. Da alle ihre Freunde in der Firma schon spielen und sich dauernd darüber unterhalten, müsse sie nun unbedingt auch anfangen. Zwei Mittagspausen pro Woche habe sie für ihren Anfängerkurs eingeplant. Kaum hält sie den Schläger in der Hand, springt ein Caddie heran und nimmt das Sportgerät schon auf dem Parkplatz in Empfang.
Neben ihr hat der Bauunternehmer Shu Yang seinen Buick abgestellt. Seine Ausrüstung sieht schon professioneller aus. „Ich spiele seit der Sars-Krise Golf, da sagte man, dass frische Luft die Ansteckungsgefahr mindert“, erzählt Shu. Inzwischen reist er für den Sport um die halbe Welt. „Spielt ihr in Deutschland auch Golf?“, fragt er. In München habe er einmal vergeblich nach einem Platz gesucht. Am besten sei es halt in China. „Mein Lieblingsresort ist in Shenzhen – mit 180 Löchern“, sagt Shu. Auf dem Platz würde er mit den Partnern Geschäfte einfädeln. Shu lacht: „Im Vergleich zum Geschäftsessen ist eine Einladung zum Golfspiel noch billig.“ Allerdings verlangt das Pekinger Pine Valley Golf Resort inzwischen 180.000 Dollar für eine Jahresmitgliedschaft. Schon gibt es 30 Golfplätze mit saftigen Greens in der staubtrockenen Umgebung Pekings. Sie liegen oft zwischen neuen Villenanlagen mit klangvollen Namen wie Palais de Fortune oder Beijing Townhouse. Die rund um die Uhr bewachten Anlagen in den Außenbezirken der Hauptstadt bildeten vor wenigen Jahren noch die Schutzbezirke der ausländischen Ex-Pat-Community. Heute sind die meisten von ihnen längst fest in chinesischer Hand. Man kann hier in nachgebauten Schlösschen des europäischen Barocks residieren, aber auch in modernen Bungalows, die äußerlich den alten Pekinger Hutong-Hofhäusern nachempfunden sind.
Nachts kümmert sich eine eigene Clubszene um die gehobenen Wünsche der reichen Klientel. An der Westseite des alten, einst vom Großen Steuermann Mao Tse-tung für die Massenveranstaltungen der Partei errichteten Arbeiterstadion befindet sich heute eine breite Häuserzeile bunt blinkender Edeldiscotheken. Baby Face, Angel, Coco und Cutie Club heißen die In-Adressen, die mit ihren regelmäßig aus Europa und den USA eingeflogenen Star-DJs werben. Jeden Abend nach Mitternacht stehen Dutzende von 7er-BMWS und 500er-Mercedes-Limousinen vor den Türen der Clubs, auch Stretchlimousinen vom Typ Bentley und frisch polierte Maibachs machen sich auf den Bürgersteigen breit. In den Clubs kostet eine Tischreservierung am Abend 150 Euro. Dafür gibt es VIP-Behandlung und Entertainment.
Wie gläserne Jonglierkeulen lassen die Barkeeper im Baby Face die Flaschen durch die Luft wirbeln, bevor sie die Spirituosen zu Cocktails zusammenfließen lassen. Jede halbe Stunde bauen sie auf dem Tresen eine meterhohe Pyramide aus umgedrehten Cocktailgläsern, über die sie brennenden Alkohol schütten. Was unten in den Gläsern ankommt, saugen die umstehenden Gästen begierig durch lange Strohhalme auf.
Die 18-jährige Lin Fei* ist hier regelmäßiger Gast. Sie verdient als Model bereits ihr eigenes Geld. Das Gesicht der braunhaarigen Schönheit trägt durch ihre teils deutschen Vorfahren europäische Züge. Damit entspricht sie einem neuen Schönheitsideal. „Viele der Reichen wollen mich als Freundin“, erzählt sie. Ihr Handy summt, eine SMS ist angekommen: „Ehemann will für Ehefrau ein Auto kaufen“, steht auf ihrem Bildschirm. „Dabei ist der, glaube ich, schon verheiratet“, lacht Lin. Die Annäherungsversuche seien immer gleich. Ein Geschäftsmann miete sich mit seinen Freunden einen Tisch und stecke dann dem Club-Manager Geld zu, damit dieser Mädchen an den Tisch bringe. „Es gibt genug, die sich darauf einlassen. Viele wollen unbedingt reich heiraten“, weiß Lin. Begehrt seien besonders einflussreiche Männer der Film- und Modebranche. „Man sieht dann schon an der Telefonnummer, ob jemand Geld hat“, verrät sie. Wer in China vier bis fünf glücksbringende Achten in seiner Nummer haben wolle, müsse dafür viel Geld ausgeben. Noch teurer seien entsprechende Nummernschilder für die Autos.
Angesichts von so viel Sichtbarkeit des neuen Reichtums macht sich die Kommunistische Partei natürlich Sorgen. Das von KP-Chef Hu Jintao verkündete Ziel einer harmonischen Gesellschaft, die sich alten Grundwerten des Konfuzianismus wieder zuwenden soll, kommt nicht von ungefähr. Mit moralischem Unterton fragte kürzlich auch die Parteizeitung China Daily: „Wir werden reicher, aber auch glücklicher?“ Die konkreten politischen Antworten aber sind bisher halbherzig. Seit April diesen Jahres gilt nun eine neue 20-prozentige Luxussteuer auf Uhren, Schmuck und Luxusautos mit großem Hubraum. Ein überzeugendes Umverteilungsmittel ist das nicht.
Im Peninsula Palace Hotel hat sich die Freundin des Computerspielunternehmers Huang in ein Täschchen für umgerechnet 1.870 Euro verguckt. Sechs Verkäuferinnen kümmern sich mangels Kundschaft um sie. Kaufen will sie heute aber noch nicht. „Ich schaue immer erst, ob das Modell für die Billigmärkte viel gefälscht wird“, sagt sie. Schließlich gilt auch in China die globale Definition, dass Luxus das ist, was sich nur wenige leisten können und wenige haben. Ein Luxusgut der besonderen Art bleibt den Chinesen bei allen internationalen Labels aber eigen. Wegen Chinas Ein-Kind-Politik verlangt die Stadt Peking als Strafe für ein Zweitgeborenes 50.000 Yuan. Zwar denken Huang und seine Freundin derzeit noch nicht an Kinder. Aber wenn es einmal so weit sein sollte, haben sie sich eines vorgenommen: „Markenprodukte kommen für die Kleinen nicht ins Haus“, meint Huang. In seiner eigenen Kindheit wäre davon schließlich auch noch keine Rede gewesen.
* Name von der Redaktion geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen