: „Das ist nicht die Revolution“
Harte Kritik an Ein-Euro-Jobs übten Sozialinitiativen auf dem Bremer Sozialforum – und forderten „Aus Vier mach Drei“. Ihr Problem: Auch sie selbst sind zunehmend auf die Billig-Jobs angewiesen
Von Christian Jakob
Sie haben es fein säuberlich auf ihre Tafel geschrieben: „TINA“ hat Unrecht. Kein Zweifel möglich. „TINA“ – das war die Formel, die die einstige britische Premierministerin, Margaret Thatcher, Kritikern ihrer Sozialpolitik zu entgegnen pflegte: „There ist no alternative“ – es gibt keine Alternative.
Es ist Bremer Sozialforum, bereits zum zweiten Mal nach 2005, und am Sonntagmorgen stellt der Arbeitskreis Ein-Euro-Jobs der “Blauen Karawane“ die Frage „Ein-Euro-Jobs in Bremen – gibt es Alternativen?“ zur Diskussion. Die Frage ist, natürlich, rhetorisch. „Ein andere Welt ist möglich, ein anderes Bremen auch“ lautet das Motto des zweitätigen Forums. Und so geben sich die Referenten der „Blauen Karawane“ im Kulturzentrum „paradox“ alle Mühe, dem liberalen Fatalismus der britischen Regierungschefin auf Punkt und Komma Paroli zu bieten.
3.800 „In-Jobs“, so die halboffizielle Bezeichung der Ein-Euro-Jobs, gebe es in Bremen. Viele weitere würden noch hinzukommen und Arbeitslose stehen auf langen Wartelisten, um eine der befristeten Arbeitsgelegenheiten zu ergattern, legen die Referenten dar. Um „entrechtete Arbeit“ würde es sich da handeln, ohne Sozialabgaben, ohne Lohnfortzahlung und vor allem: ohne Perspektive. Denn die Billig-Jobs sind gesetzlich auf sechs Monate beschränkt. All dies gehöre, lieber heute als morgen, abgeschafft, sagen sie – und rechnen den gut 50 ZuhörerInnen akribisch vor, wie der Misere beizukommen sei. „Aus Vier mach Drei“ haben sie ihr Modell genannt. Die Idee: Inklusive aller Nebenkosten entstehen der öffentlichen Hand für einen Ein-Euro-Jobber monatliche Kosten in Höhe von 1.383 Euro. Ein „armutsfester“ sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplatz schlage mit 1.809 Euro zu Buche. Mit den Mitteln, die für vier Ein-Euro-Jobber aufgewendet werden müssen, könnten, so der Vorschlag, aufkommensneutral drei reguläre Arbeitsplätze eingerichtet werden. Hiervon profitierten nicht nur die Beschäftigten selbst, sondern auch die Sozialkassen.
Die Zuhörer sind nicht restlos überzeugt. Kritik wird laut, die Rechnung gehe von allein stehenden Personen aus, im Falle von Eltern oder allein Erziehenden seien jedoch gewisse Mindestlohn-Grenzen nicht gewährleistet. „Wir haben hier nicht den Stein der Weisen“, räumen die Referenten ein – doch die Rechnung beweise zumindest: Alternativen gebe es sehr wohl – und dies bereits im Rahmen der bestehenden Verhältnisse. „Das ist hier nicht die Revolution“, verteidigen sie ihr Zahlenwerk.
Ein Delegierter kritisiert, der Ansatz greife zu kurz. Der Zwangscharakter der Billig-Jobs, deren Ablehnung mit ALG-II-Kürzungen sanktioniert werden könne, sei der eigentliche Skandal. Dieses Zwangsverhältnis lediglich „armutsfest“ zu machen, sei kein echter Fortschritt. „Alle sollen essen dürfen und alle sollen ihr Leben gestalten können.“ Nur ein bedingungloses Grundeinkommen gewährleiste dies.
Ein Widerspruch bereitet vielen Delegierten besondere Bauchschmerzen: Freie Sozialberatungen, Selbsthilfegruppen, darunter auch die den Workshop organisierende „Blaue Karawane“ selbst, Wohlfahrtsverbände: Sie alle sind, bei aller Kritik an den Ein-Euro-Jobs, zunehmend darauf angewiesen, selbst auf solche Beschäftigungsverhältnisse zurückzugreifen. Reguläre Arbeitsplätze seien für die unter Subventionskürzungen leidenden Institutionen schlicht nicht mehr finanzierbar. „Das Problem ist doch: der Staat verarmt,“ sagt eine Diskutantin. Die Steuermittel, die an soziale Initiativen weitergegeben würden, sänken stetig. So sehen sich inzwischen, bundesweit wie auch in Bremen, immer mehr Initiativen vor die Wahl gestellt, entweder ihre Angebote drastisch zusammenzukürzen oder sich mit den ungeliebten Ein-Euro-Jobs anzufreunden.
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