piwik no script img

Mehdi und die Medien

Ein schwaches Nordderby beendet der HSV wieder einmal zu zehnt, behält aber immerhin glücklich einen Punkt. Der Patient Werder Bremen ist auf dem Wege der Besserung, aber für die Champions League scheinen beide Teams nicht gerüstet

AUS HAMBURG JAN KAHLCKE

Wie blank die Nerven in Hamburg nach zehn sieglosen Pflichtspielen liegen, machte HSV-Trainer Thomas Doll nach der Partie deutlich. „Vielleicht sollte man mal ein bisschen die Brisanz rausnehmen“, sagte er zu der Szene, in der sein Außenverteidiger Mehdi Mahdavikia Werders Spielmacher Diego brutal aus dem Spiel getreten hatte. Brisanz rausnehmen? Doll präzisierte: „Auch von Seiten der Medien – da wird nach vier Spieltagen von einer Krise geredet …“

Entweder Doll hat Recht und der in der Tat eher ruhige Publikumsliebling Mahdavikia zittert derart vor der Bild-Zeitung, dass er fernab vom Ball mit offener Sohle nach Knien tritt. Oder Doll wollte einfach ein wenig von der Zentnerlast auf seinen Schultern umverteilen und griff dabei zum probaten Mittel der Medienschelte. Die öffentlichen Treueschwüre von HSV-Präsident Bernd Hoffmann unter der Woche scheinen ihn zumindest nicht beruhigt zu haben.

Wenig Anlass zur Beruhigung gab auch die Leistung seiner Mannschaft, auch wenn Doll das anders gesehen haben wollte. Von einem Team sprach er und von guten Spielzügen, „für die sich meine Jungs den Lohn nicht abgeholt haben“.

Ersteres stimmt: Die Mannschaft kann sich kollektiv das Prädikat „stets bemüht“ anheften. Die guten Spielzüge hatte der HSV-Trainer exklusiv gesehen. Dass es ihnen in der ersten Halbzeit trotzdem einige Male gelang, die Werder-Abwehr in Schwierigkeiten zu bringen, lag daran, dass es eben die Werder-Abwehr war. Die hatte es dabei in erster Linie mit Kollegen des Verteidiger-Fachs zu tun: Fast jede gute Offensivaktion hatte ihren Ursprung beim neuen HSV-Außenverteidiger Juan Pablo Sorín. Der Argentinier sollte nach fast drei Monaten Spielpause eigentlich gar nicht durchspielen, führte sich dann aber derart stark ein, dass Doll ihn nach Mahdavikias dunkelroter Karte gar nicht mehr vom Platz nehmen konnte. Die besten HSV-Chancen hatte Abwehrchef Vincent Kompany, aber der ist nun mal kein Vollstrecker. Und die Offensivabteilung des HSV? Fand quasi nicht statt. Danijel Ljuboja war nur im Jammern spitze, der wie immer elegante Boubacar Sanogo zauberte diesmal vor allem in beträchtlicher Entfernung zum Werder-Tor. Pjotr Trochowski rackerte zwar unermüdlich, ist mit der Spielmacherrolle aber überfordert. Der für ihn eingewechselte Ex-Bayer Paolo Guerrero war einmal mehr nur Mitläufer.

In Bremen haben sie es in vielerlei Hinsicht besser als beim HSV. Der Verein hat nicht die Hälfte der Leistungsträger verscherbelt und die Medienlandschaft an der Weser ist unaufgeregter als an der Elbe, der Ton jederzeit von einer guten Portion Lokalpatriotismus getragen. Thomas Schaaf kann deswegen immer in Ruhe arbeiten, auch nach vier Pflichtspielniederlagen in Folge. Und das scheint sich auszuzahlen: Vor allem in der zweiten Halbzeit zeigte sich die zuletzt desolate Mannschaft stark verbessert. Die Bremer spielten Pressing, als wären sie die Heimmannschaft, sogar die Werder-Fans schienen zeitweise die Oberhand in der Arena zu gewinnen. Fast schon wie Ironie klang es, wenn der HSV-Anhang skandierte „Hier – regiert – der Ha Es Vau!“. Regieren, davon konnte bei dem anarchischen Treiben der Schwarz-Blauen nun wirklich keine Rede sein.

Auf der Gegenseite nähert sich einer behutsam der Chefrolle an, den die Bremer nach zwei Spieltagen hochgejubelt und danach zum Buhmann gestempelt hatten: Diego, hoch begabter Ballkünstler, aber noch nicht der große Stratege. Zu einem Status wie seinem Vorgänger John Micoud fehlt dem Leichtgewicht nicht zuletzt die physische Autorität von „Le Chef“. Vorerst müssen andere einen Teil der Verantwortung schultern. Ein natürlicher Kandidat wäre Tim Borowski. Aber der Mittelfeldspieler scheint seit der Weltmeisterschaft seltsam neben sich zu stehen. Auch in Hamburg gelang ihm zunächst wenig, wenn er schoss, war meist das Stadiondach mehr in Gefahr als das Tor des HSV. Bis zur 59. Minute: Hervorragend von Clemens Fritz bedient, schoss Borowski den Ball durch die Beine von Sascha Kirschstein, begünstigt durch ein Abwehrbein, das den entscheidenden Drall gab. Es war, als hätte er sich freigeschossen. „Wir haben heute die Grundelemente des Fußballs gezeigt“, sollte er hinterher erleichtert sagen und damit durch die Blume einräumen, dass sie das zuletzt nicht getan hatten.

Er hätte noch viel zufriedener sein können, hätte Hugo Almeida nicht wenig später haarscharf das 0:2 verpasst. So blieb es mit Bastian Reinhardt bezeichnenderweise wieder einem HSV-Verteidiger vorbehalten, ein weiteres Grundelement des Fußballs zu demonstrieren: Länge. Der Hüne kam etwa zwei Köpfe über allen anderen an einen Eckball und nickte zum 1:1-Endstand ein. Werder spielte zwar die letzte Viertelstunde nach Mahdavikias Abgang mit drei Stürmern, drängte aber trotzdem nicht mit aller Gewalt auf den Siegtreffer. Ein 1:1 im Nordderby ist offenbar für beide Seiten genug, um zumindest eine Woche lang in Ruhe arbeiten zu können.

Eine Ruhe, die hoffentlich auch auf die HSV-Fans abfärbt: Sie sorgten für den eigentlichen Skandal des Spiels, indem sie immer wieder Werder-Torwart Tim Wiese mit Gegenständen bewarfen. Als der Schiedsrichter Wolfgang Stark eine Jägermeister-Flasche mit abgeschlagenem Hals präsentierte, die ihn knapp verfehlt hatte, war dessen Gestik eindeutig: Einmal noch, dann breche ich das Spiel ab. Wiese musste sich dafür aus der Nordkurve „Arschloch“ schimpfen lassen, angeheizt durch den grenzdebilen Koksbarden „Lotto King Karl“, der sich in der Hamburger Arena als Stadionsprecher gerieren darf: Der hatte die Fans süffisant gebeten, die Getränkeversorgung für Wiese einzustellen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen