: Eine tolle Idee: der Euro
FREITAGSCASINO VON ULRIKE HERRMANN Schon 1650 wussten die Europäer: Sie brauchen eine Leitwährung
■ ist Wirtschaftskorrespondentin der taz. Zuletzt erschien von ihr „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Westend 2013).
Die Europäer bewohnen einen faszinierenden Kontinent: Nirgendwo sonst drängen sich so viele Nationalstaaten auf so wenig Platz. Diese vielen Länder sind zudem engstens miteinander verwoben und bilden seit der Antike einen einheitlichen Wirtschaftsraum.
Die Europäer sind gegenseitig ihre besten Kunden. Doch der intensive Handel funktioniert nur, solange es nicht zu Währungsturbulenzen kommt. Daher hatten die Europäer immer eine Leitwährung. Im 17. Jahrhundert war es der Bankgulden aus Amsterdam, im 19. Jahrhundert das englische Pfund, später der Dollar. Heute ist es der Euro.
Viele Europäer halten es für einen bösen Zufall, dass der Euro eingeführt wurde. Sie akzeptieren die Währungsunion nur noch, weil sie zu Recht fürchten, dass ein Eurocrash immense Kosten verursachen würde. Doch wenn sich die Uhren zurückdrehen ließen: Die meisten würden sich nicht noch einmal für den Euro entscheiden. Stattdessen wünschen sie sich in die scheinbare Übersichtlichkeit ihres Nationalstaats zurück.
Der „freie“ Markt versagt
Der Euro war jedoch kein bedauerlicher Irrtum, sondern die beste Lösung. Auf ihn wurde 25 Jahre lang hingearbeitet. Der Weg zum Euro begann im Jahr 1973. Damals machten die Europäer eine traumatische Erfahrung: Das Währungssystem von Bretton Woods brach endgültig zusammen.
Dieses Abkommen von 1944 sah vor, dass die beteiligten Währungen an den Dollar gekoppelt waren, der wiederum ans Gold gebunden war, und zwar zu einem Festkurs von 35 Dollar die Feinunze. Diese stabile Währungswelt endete aus vielen Gründen, aber schließlich war es der Vietnamkrieg, der den Knall auslöste: Die USA finanzierten ihre Militärintervention vor allem über die Notenpresse, sodass offenkundig wurde, dass die Golddeckung des Dollars eine reine Fiktion war.
Anfangs bedauerte niemand, dass Bretton Woods auf dem Müllhaufen der Geschichte landete. Viele Regierungen und Notenbanken fühlten sich befreit, konnte doch jetzt endlich jede Nation ihre eigene Geldpolitik betreiben! Naiv dachte man, dass sich die Devisenkurse irgendwie stabilisieren würden, sobald die Währungen dem „Markt“ ausgesetzt wären. Neoliberale Vordenker wie Milton Friedman gingen sogar noch weiter und versprachen ein immenses Wirtschaftswachstum: „Eine freie Marktwirtschaft für Wechselkurse wird erneut ein ‚Wirtschaftswunder‘ hervorbringen.“
Im Rückblick fällt auf, wie sehr die damaligen Heilserwartungen den Vorstellungen der heutigen Euro-Kritiker ähneln. Die AfD glaubt ebenfalls, dass es Deutschland am besten ginge, wenn es auf einer nationalstaatlichen Insel hocken könnte.
Herrschaft der Derivate
Vor vierzig Jahren kam es bekanntlich anders: Die Wechselkurse stabilisierten sich nicht, sondern schwankten stark, was zur Folge hatte, dass auch die Rohstoffpreise und die Zinsen oszillierten. Damit begann die große Zeit der Derivate – und der Investmentbanken, die seither eine Art Sondersteuer von der Realwirtschaft kassieren.
Derivate funktionieren wie eine Wette auf die Zukunft: Die Vertragspartner legen fest, welcher Kurs bei Zinsen, Währungen oder Rohstoffen zu einem bestimmten Zeitpunkt gelten soll. Diese Wetten boomten, weil sich fast jedes größere Unternehmen gegen die Kursschwankungen absichern musste: Deutsche Exportunternehmen wollten wissen, was der Dollar in drei Monaten wert sein würde, wenn ihr amerikanischer Kunde zahlte. Fluglinien benötigten eine Kalkulationsbasis für das Öl, das sie verbrauchten. Betriebe, die Zahlungsziele vereinbarten, wollten einen stabilen Zinssatz.
Bei jedem Derivat kassierten die Investmentbanken, denn sie vertrieben dieses Produkt. Völlig risikofrei profitierten sie von den Kursschwankungen, die sie zudem selbst verstärken konnten, indem sie auf eigene Rechnung mit Derivaten spekulierten.
Der Umsatz mit Derivaten explodierte, wobei sogar „explodiert“ ein zu schwaches Wort ist, um das Wachstum dieses Marktes zu beschreiben. Um kurz in die Gegenwart zu springen: Im Juni 2013 betrug der Nominalwert der außerbörslich gehandelten Derivate 693 Billionen Dollar, während die weltweite Wirtschaftsleistung nur bei etwa 72 Billionen Dollar liegt. Die Derivate haben sich also längst von der realen Produktion entkoppelt.
Keine Währung war geschützt. Auch die D-Mark wurde zum beliebten Spekulationsobjekt, denn Deutschland galt als „sicherer Hafen“. Für die deutsche Exportindustrie war es äußerst schwierig, dass die D-Mark jedes Mal ruckartig aufwertete, sobald die Spekulanten gegen den Dollar oder das Pfund wetten wollten.
Übermacht der Bundesbank
Sofort war klar: Die Europäer mussten ein eigenes Bretton Woods erfinden, wenn der kleine Kontinent nicht im Währungschaos versinken sollte. Schon 1973 wurde die „Währungsschlange“ eingeführt, 1979 folgte das „Europäische Währungssystem“.
Diese Mechanismen hatten allerdings zwei Nachteile. Die Notenbanken arbeiteten oft nicht gut genug zusammen, um Spekulationsattacken abzuwehren. Und die Bundesbank wurde allzu einflussreich, so dass es zu einem „DM-Imperialismus“ kam. In der Übermacht der Bundesbank spiegelte sich die ökonomische Macht Deutschlands. Ganz Europa musste sich ihrer Geldpolitik unterwerfen, die aber bei ihren Zinsentscheidungen die anderen Länder nicht berücksichtigte – sondern allein die Lage in Deutschland beurteilte.
Der Euro ist die Antwort auf diese beiden Probleme: Spekulationsattacken kann es bei einer Einheitswährung nicht mehr geben, und in der Europäischen Zentralbank sind alle Mitgliedsländer gleichberechtigt.
Europa braucht den Euro, aber man muss ihn richtig steuern. Es war ein Fehler, dass sich spanische und irische Banken hemmungslos im Ausland verschulden konnten. Genauso falsch ist es, dass Deutschland Exportüberschüsse anhäuft – und die Einnahmen dann ins Ausland verleiht. Diese Fehler lassen sich korrigieren. Wie heißt es so schön: Jede Krise ist eine Chance.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen