: Der Kräutersammler aus Plön
STERNEKÜCHE Robert Stolz will beweisen, dass der Norden genug für eine gute Küche hergibt. Olivenöl, Tomatenmark oder Knoblauch kommen ihm nicht auf den Tisch
Robert Stolz rupft Löwenzahn aus der Erde. Kraut um Kraut stopft er in eine Plastiktüte: Sauerampfer, Giersch, wilder Kerbel, Taubennesselblüten. All das wuchert derzeit, an einem Dienstagmittag im März, im alten Apfelgarten des schleswig-holsteinischen Ortes Plön. Zwischen Linden, deren Blätter buttrig schmecken, schimmert ein See.
Doch der 52-Jährige schaut nicht hoch, die Kulisse kennt er gut. Manchmal, erzählt Stolz, als er Milchsterne verstaut, fragen ihn Spaziergänger, wozu er die Kräuter pflücke. Die meisten ahnen, dass er Koch ist. Das ist er seit 20 Jahren, längst gilt er als Pionier der norddeutschen Sterneküche.
Etwa zehn Minuten mit dem Fahrrad ist Stolz’ Restaurant vom Plöner Apfelgarten entfernt, wo er zweimal die Woche Kräuter sammelt, die später in allen Facetten, nebst Heilbutt oder Lammtatar, auf dem Teller landen. Vor zehn Jahren hat der gebürtige Hamburger das ehemalige Pastorat auf dem Marktplatz erworben und es für eine siebenstellige Summe in ein Hotel samt Restaurant umgewandelt. Dieses wird seit 2011 mit einem Michelinstern ausgezeichnet. Der sei ihm allerdings nicht wirklich wichtig, sagt Stolz. Außer zum Marketing, versteht sich.
Für einen Spitzenkoch sei vor allem der individuelle Rahmen entscheidend, der eigene Stil, sagt Stolz, der als Commis de Cuisine im Hamburger Vier Jahreszeiten, am Chiemsee, auf Sylt und acht Jahre in Fiefbergen gekocht hat. Stolz’ Stil ist regional: Etwa 90 Prozent seiner Produkte stammen aus Schleswig-Holstein. Im Sommer gräbt er Fahnenwurzeln aus, sammelt Algen am Strand, erntet Hopfen, der am Wegesrand wächst. In seiner Küche findet man kein Olivenöl, kein Tomatenmark, nicht einmal Knoblauch. „Das ist mein Kosmos“, sagt er, und breitet die Arme aus.
Dieser Kosmos stellt ihn allerdings vor Herausforderungen, denn eines der Probleme der norddeutschen Küche ist das raue Wetter – und das dadurch vergleichsweise kleine Produkt-Portfolio der Natur. So gilt das Essen oft als einfach: Labskaus, Grünkohl, Krabbenbrot. Sterneküche? Nicht auf dem platten Land. Die Norddeutschen wüssten nicht, wie man mit Lebensmitteln umgeht und kochten alles zu Tode, geiferte vor einigen Jahren ein Mitglied der Genießer-Vereinigung Slow Food im taz-Interview.
In Stolz’ Restaurant liegen Slow-Food-Magazine. Der Sternekoch unterstützt die Vereinigung, und er möchte zeigen, dass der Norden genug Ressourcen bietet. Bucheckern zum Beispiel dehydriert er zunächst und friert sie dann ein. Oder er nutzt die Blätter des Blumenkohls, die normalerweise im Biomüll landen, verbrennt sie bei 250 Grad im Backofen und macht daraus Asche; entsaftet selbst die Stängel der Kräuter und dickt sie mit dem Polysaccharid Xanthan an; oder weicht Rosinen in Bier ein, was befremdlich klingt, aber verblüffend gut schmeckt.
„Wir können nur avantgardistisch kochen, wenn wir neugierig sind“, sagt Stolz. Er ist einer der sechs Gründer von „Feinheimisch“, einem Verein, der sich das Ziel gesetzt hat, die regionale Esskultur zu fördern. Bisher, klagt Stolz, gebe es allerdings nur wenige gute Restaurants in norddeutschen Bundesländern. Der Industrie sei es über die Jahre gelungen, Gasthäuser zu verleiten, Convenience-Produkte zu benutzen. „Für echte Bratkartoffeln muss ich mindestens 50 Kilometer fahren“, sagt er und schimpft über Nestlé, Monsanto und Gasthäuser, in denen selbst die Mayonnaise aus der Packung kommt. Die Schuld liegt Stolz zufolge aber auch bei den Gästen: Viele Leute seien zu spießig, um etwas Neues auszuprobieren. „Der Gast“, sagt er, „wächst geistig nicht mit uns.“
Was allerdings wächst, ist die Sterne-Gastronomie in Norddeutschland. Auf der gehobenen Ebene, sagt Stolz, gebe es inzwischen viele sehr gut ausgebildete Köche wie Anne Zille, die bei ihm in der Küche arbeitet und auf Sylt ihre Ausbildung gemacht hat. Sie stammt aus Kiel, dort wollte sie aber nicht bleiben: Es gebe in Kiel keine hochklassigen Restaurants, sagt sie, während sie Butter in einem Topf zerlässt, für ein Zwiebelpüree. Seit drei Jahren arbeitet Anne Zille für Stolz. Die Kräuter sammelt sie meist mit.
Die liegen inzwischen in großen Schüsseln, müssen gewaschen und gezupft werden. Mit großer Geschwindigkeit arbeiten Robert Stolz und Anne Zille in der kleinen Küche, braten, blanchieren, probieren. Es duftet nach Zwiebeln und Champignons, Töpfe dampfen, Pfannen zischen, der Mixer häckselt Grünkohl.
Zeit, um zu reden, haben die beiden kaum, sie wissen, wer was wann wo wie machen muss. „Stolzhausen, nix für Bremser“, steht auf einem Anhänger neben den Herdplatten. Dort hängt auch eine Speisekarte. Das 8-Gänge-Menü heißt „nordische Welt“, kostet 106 Euro, und umfasst Tatar bestreut mit Bucheckern, geräucherten Heilbutt mit Champignonschaum sowie Mirabellensorbet mit Lakritzmousse.
Stolz verstorbener Vater war Bankdirektor, seine zwei Brüder sind ebenfalls Banker geworden. Doch ihm sei das Bankerdasein zu trocken erschienen, sagt Stolz, und erzählt von seiner Oma aus Preetz, die er als Kind in den Sommerferien besucht hat. Zuerst sei er immer in den Garten gerannt, ans Möhrenbeet, habe eine Karotte aus der Erde gerupft wie heute die Kräuter für sein Restaurant, sei dann zur Regentonne, um sie zu säubern, habe abgebissen – und erst dann seine Oma begrüßt.
Trotzdem wollte Stolz zuerst eine Ausbildung zum Hotelbetriebswirt machen. Mit 21, nach der Bundeswehr, begann er auch eine Lehre in Hamburg, arbeitete in mehreren Restaurants. Doch mit der Zeit wurde ihm klar, dass er als Betriebswirt niemals kochen würde. Auch seine Familie riet ihm zur Kochausbildung. 20 Jahre ist das her, den Küchenmeister hat Stolz in Heidelberg gemacht, mit Bestnote. Er hätte die Chance nutzen können, im Süden zu bleiben, doch der Norden fehlte ihm. „Ich brauch’ die fliegenden Wolken, den Wind und das Meer“, sagt er.
Am Abend erscheinen die ersten Gäste, das Essen wird gereicht. Selbst die Teller variieren, ganz zu schweigen von dem, was sich auf ihnen befindet: mit Milchsternen verziertes Tatar bestreut mit Bucheckern, Krabben mit Brotkrumen und Mayonnaise, Heilbutt in Champignonschaum, der im Mund zergeht, rote und weiße Bete, die herrlich knackt. Auf jedem der acht Gänge des Menüs liegen allerlei Kräuter. Was soll man sagen? Norddeutsche Sterneküche, dat geiht. AMADEUS ULRICH
Restaurant & Hotel Stolz, Markt 24, 24306 Plön, ☎ 04522/503 20, info@hotel-restaurant-stolz.de Öffnungszeiten: Dienstag–Sonntag ab 18 Uhr, Sonntag zusätzlich von 12 bis 15 Uhr, Menüs von 66 bis 106 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen