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„Neue Fragen zum Ausbruch des Feuers“

ERMITTLUNGEN Staatsanwaltschaft will den Tod von Oury Jalloh nochmals untersuchen. Privat finanziertes Gutachten hatte ergeben, dass der Asylbewerber in einer Polizeizelle durch Brandbeschleuniger starb

Die Angehörigen des Toten erwarten nicht mehr viel von der Staatsanwaltschaft

BERLIN taz | Die Staatsanwaltschaft Dessau ermittelt erneut im Fall Oury Jalloh. Der leitende Oberstaatsanwalt Folker Bittmann erklärte am Donnerstag überraschend, es gebe „weiteren Aufklärungsbedarf“ zum Tod des Sierra Leoners, der 2005, an Händen und Füßen gefesselt, in einer Dessauer Polizeizelle verbrannt war. Bislang ging die Justiz davon aus, dass der Asylbewerber sich selbst angezündet hatte. In dem neuen Ermittlungsverfahren will die Staatsanwaltschaft versuchen zu klären, wie das Feuer ausbrechen konnte.

Der Fall beschäftigt die Justiz seit neun Jahren. In zwei Verfahren verhandelten die Landgerichte Dessau und Magdeburg gegen zwei Polizeibeamte: 2007 begann der Prozess gegen den seinerzeit zuständigen Dienstgruppenleiter des Reviers, Andreas S., wegen Körperverletzung mit Todesfolge und gegen seinen Kollegen Hans-Ulrich M. wegen fahrlässiger Tötung. M. soll bei der Untersuchung Jallohs ein Feuerzeug übersehen haben. S. hatte zweimal den Feueralarm abgestellt, statt Jalloh aus seiner brennenden Zelle zu befreien. M. wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen, S. wurde 2012 in einem zweiten Verfahren zu einer Geldbuße verurteilt.

Im Laufe der Verhandlungen waren immer mehr Ungereimtheiten offenbar geworden: Aufzeichnungen von der Begehung der Zelle waren verschwunden, das wichtigste Beweisstück – die Feuerzeugreste – wurde erst nachträglich in die Asservatenliste eingetragen, Polizeizeugen verwickelten sich in Widersprüche, an den Feuerzeugresten fanden sich keine Spuren des Matratzenstoffs oder der Kleidung Jallohs und Weiteres mehr.

„Neuen Fragen zum Ausbruch des Feuers“ sei im letzten Gerichtsverfahren „nicht nachgegangen“ worden, „weil sie nicht im Zusammenhang“ mit den Vorwürfen gegen den Polizeibeamten S. stehen, erklärte die Staatsanwaltschaft jetzt. S. sei schließlich nur vorgeworfen worden, zu spät Rettungsmaßnahmen eingeleitet zu haben. Im November präsentierten Aktivisten der „Initiative Gedenken an Oury Jalloh“ ein privat finanziertes Brandgutachten. Das kam zu dem Schluss, dass in Jallohs Zelle Brandbeschleuniger verwendet worden sein muss. Die Staatsanwaltschaft in Dessau nahm es jetzt zum Anlass für das neue Ermittlungsverfahren.

„Wir erwarten nicht mehr viel von der Dessauer Staatsanwaltschaft,“ sagt Mouctar Bah von der Initiative, der die Familie des Toten in den Verfahren als Nebenkläger vertreten hatte. „Alles, was sie jetzt tun will, hätte sie bereits 2005 tun sollen.“ Die Initiative hatte im November Anzeige wegen Mordes gegen unbekannte Polizisten beim Generalbundesanwalt Harald Range erstattet. Der erklärte sich jedoch für nicht zuständig. CHRISTIAN JAKOB

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