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Vorfreude auf Glanz und Gloria

Die Aussicht auf die EU-Präsidentschaft lässt Angela Merkel auf bessere Zeiten hoffen

BERLIN taz ■ Offen sagt es so explizit niemand. Aber in Berliner Flurgesprächen wird sie oft als wichtigster Grund dafür genannt, warum die große Koalition trotz aller Schwierigkeiten noch mindestens ein Dreivierteljahr halten wird: Die EU-Ratspräsidentschaft, die Deutschland im nächsten Januar übernimmt.

Von diesem Ehrenamt verspricht sich die innenpolitisch zerstrittene und entsprechend unbeliebte Regierung neuen Glanz und – wenn alles optimal läuft – Gloria. Wer wird noch über Zusatzbeiträge zur Krankenkasse sprechen, wenn Deutschland die Geschicke Europas lenkt? Keiner. Hoffen jedenfalls jene Politiker, die am Fortbestand der Regierung interessiert sind, weil ihre Posten daran hängen. Gestern durften sie ihre Vorfreude zeigen. „Wir werden im nächsten Jahr für sechs Monate Europas Gesicht und Stimme sein“, teilte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) via Bild mit. „Wir werden da ambitioniert rangehen“, sagte Angela Merkel (CDU) im Kanzleramt und stellte ihre Pläne vor. Sie wolle einen neuen Anlauf für den europäischen Verfassungsvertrag wagen und die Energiepolitik zu einem Schwerpunkt machen. Ins Schwärmen geriet Merkel, als sie über den Höhepunkt der Präsidentschaft, die 50-Jahr-Feier der Römischen Verträge, sprach. Dass diese im März im wiedervereinigten Berlin stattfinde, drücke aus, „wie sich Europa verändert hat“.

Den Anlass für die angenehme, weil von aktuellen Gesundheitsproblemen ablenkende Vorschau hatte Merkel selbst geschaffen – mit einer Einladung an José Manuel Barroso. Zum ersten Mal kam der Chef der EU-Kommission schon vor der Amtsübergabe ins nächste Präsidentschaftsland. Er gab sich sicher, dass Merkel viel erreichen werde, warnte aber vor übertriebenen Erwartungen. Es sei „nicht fair, alle Lasten auf die Schultern Deutschlands zu legen“. Merkel selbst nannte keine konkreten Ziele, außer einer neuen „Road Map“ zur EU-Verfassung – und freute sich über Barrosos Bericht von seinem Besuch im Regierungskabinett: „Als Beobachter kann ich Ihnen sagen, dass es eine gute Atmosphäre in der großen Koalition gibt.“ Was er nicht erwähnte, waren die Differenzen zwischen Union und SPD in Punkto EU-Beitritt der Türkei. Ein Schelm, wer darin einen Freundschaftsdienst Barrosos sieht, den Merkel einst in einer Nachtsitzung der konservativen europäischen Parteichefs ins Amt hievte. LUKAS WALLRAFF

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