: „Läuft es mit dem Sex oder nicht?“
Millionen Downloads werden nicht mein Begehren stillen: Ein Gespräch mit Marie-Luise Angerer aus Anlass des Kongresses zu „Post Porn Politics“ in Berlin. Befreiung durch Pornografie hat, so die Gender-Professorin, nur teilweise stattgefunden
INTERVIEW HARALD FRICKE UND INES KAPPERT
taz: Frau Angerer, welchen Stellenwert hat die Auseinandersetzung mit Pornografie in der theoretischen Debatte derzeit?
Marie-Luise Angerer: Keinen sehr wahnsinnig hohen. Auch wenn möglicherweise schnell der Eindruck entsteht, dass sich in den Medien und den Künsten wieder alles sehr viel stärker um Pornografie bzw. um eine Pornografisierung dreht. In der Modefotografie etwa ist derzeit ein pornografisches Element sehr vordergründig. Natürlich auch in der Werbung. Doch eine Diskussion um das Phänomen selbst, wie sie etwa in der feministischen Debatte der 80er-Jahre geführt wurde, fehlt. Damals ging es um Fragen wie: Was ist Pornografie, wer macht Pornografie, was tut Pornografie, gegen wen ist sie gerichtet? Heute gibt es höchstens eine moralische Empörung.
Kann von Pornografie so etwas wie eine emanzipative Kraft ausgehen?
Die frühere Annahme von einer Befreiung durch Pornografie hat sich von heute aus gesehen nur in Teilen bestätigt. Die Filme von Catherine Breillat oder „Baise-moi“ (Fick mich) von Virginie Despentes haben sicherlich trotzdem zu einer positiven oder starken Setzung von weiblicher Sexualität beigetragen. Inzwischen aber, glaube ich, lässt sich mit Pornografie im Sinne eines Tabubruchs nicht mehr auf Restriktionen verweisen. Denken Sie nur an kinderpornografische Elemente und wie sie aktuell in der Werbung eingesetzt werden.
Muss man nicht zwischen einer queeren und einer heterosexuellen Pornografie unterscheiden?
Das ist natürlich die Frage, ob man den Term Pornografie über alles stülpt, was sich derzeit irgendwie mit Sexualität und geschlechtlichen Identitäten beschäftigt. Oder ob man ihn in seiner engen Bedeutung verwendet: als eine Darstellung und Vorführung von Sexualität, die dazu führt, dass die ZuschauerInnen daraus Lust beziehen, für die sie bezahlen.
Welche innovative Perspektive könnte heute die Pornografisierung bei einer queeren Sexualität eintragen?
Augenfällig ist, dass es derzeit nicht mehr nur um den weiblichen Körper, die weibliche Lust oder Identität und den jeweiligen männlichen Gegenpol dazu geht, sondern viel stärker um die Vervielfältigung von Männerbildern und maskulinen Identitäten. Das ist eine der wesentlichen Unterschiede zu den Achtzigerjahren.
Sehen Sie einen Widerspruch zwischen dem Konzept von Queerness als Feier von Zwischenformen zwischen männlich und weiblich und dem Konzept der Pornografie, das auf der Vereindeutigung und der Polarisierung von Geschlechterrollen aufbaut?
Das hängt davon ab, welchen Bereich man sich ansieht. In der queeren Subkultur ist die kapitalistische Vereinnahmung sicher nicht in dem Maße gegeben. Bei dem jedoch, was Marjorie Garbner als Metrosexualität bezeichnet hat, geht es vor allem um Lifestyle. Hier wird mit der sexuellen Identität genauso gespielt wie in der Mode oder in der Kunst und Musik.
Welche soziale Verortung von Subjekten schlägt Queer und die damit einhergehende Vervielfältigung der Geschlechter vor?
Erst mal ist auffällig, dass relativ viele Männer in diesem queeren Diskurs mitmischen. Das ist einerseits eine positive Entwicklung. Ganz klar. Andererseits habe ich den Verdacht, dass damit die Diskussionen um Gender im Sinne eines kulturellen Geschlechts oder um die sexuelle Differenz beendet und durch Queerness, also durch ein spezifisches Schrägsein, ersetzt werden. Die Begeisterung etwa für das „Kontrasexuelle Manifest“ von Beatriz Preciado ist für mich nicht nachvollziehbar. Denn die Idee, die Vormachtstellung des Phallus zu brechen, indem der Dildo als zentrales Moment für die eigene Lusterfahrung eingesetzt wird, verbleibt für mich in der phallischen Logik. Das ist eine Verschiebung, aber keine Aushebelung.
In den 80er-Jahren ging es vor allem darum, zu vermeiden, in die Objektfalle zu tappen, also selbst zum Objekt der Begierde zu werden. Heute geht es mehr um die Suche nach einem neuen Subjekt. Der Post-Porn-Politics-Diskurs behauptet, dass es dieses neue Subjekt bereits gibt und es sich genau über die Pornografisierung der Erscheinung bildet.
Das ist eine sehr interessante These. Ich denke, der tiefere Grund für diese Verschiebung ist darin zu sehen, dass sich der Begriff von Sexualität in einem großen Wandel befindet. Anders als in den 60ern, wo es noch um Tabubruch ging, ist heute die Frage: Läuft es oder läuft es nicht mit dem Sex?
Ist Queerness dann nicht doch ein innovatives Konzept?
Jein. Einerseits geht es bei Queerness primär um den eigenen Körper, das heißt um die eigene Lust und wie diese mit anderen Menschen oder auch Hilfsmitteln zu bewerkstelligen ist. Andererseits spielen Fragen nach der Repräsentation oder der symbolischen Ordnung eine nur nebensächliche Rolle.
Bereits in der Diskussion um Cyborgs waren Gadgets und später die Aufwertung des sexualisierbaren Bildes, etwa im Manga oder auch im Internet, zentral. Nimmt das Begehren mit der zunehmenden Konzentration auf das Betrachten und das Sichtbare nicht eher ab?
Man gerät schnell in eine ganz konservative Argumentation, wenn man sagt: In dem Moment, in dem mir alles zugänglich ist und alles sichtbar gemacht wird, verschwindet das Begehren. Geht man jedoch von einem psychoanalytischen Begriff des Begehrens aus, muss man stattdessen sagen: In keinster Weise ist dies der Fall! Ein Bild kann noch so viel zeigen, es können tausend Bilder zugänglich sein, das Begehren wird nie das finden, was es sucht. Es verweist immer auf ein Jenseits des Bildes und geht über das Sichtbare hinaus. Millionen Downloads werden mein Begehren nicht stillen können. Ich würde daher der These widersprechen, dass mit der Materialfülle das Begehren verschwindet. Vielmehr zeigt die Attraktion von Internet und den Medien, dass das Begehren nach wie vor am Werk ist. Doch der Stellenwert des Begehrens, der hat sich heute sehr verändert.
Inwiefern?
Das hängt mit der aktuellen Veränderung im Denken des Humanen zusammen. Die tradierte Vorstellung vom Menschen als eingespannt in die Triade von Arbeit, Sprache und Sexualität, ist heute so nicht mehr gültig. Die Arbeit hat nicht mehr den Stellenwert, den sie noch im 20. Jahrhundert hatte, und die Sprache ebenso wenig. Heute steht der Körper im Mittelpunkt, der fühlt und über eine intuitive oder affektive Intelligenz verfügt. Die Vervielfältigung der Geschlechter ist für mich letztlich auch ein Effekt dessen, dass sich diese Figur des Menschen grundsätzlich verschiebt.
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