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Abfinden oder erlösenKOMMENTAR VON KATHARINA KOUFEN

In Deutschland gibt es eine wachsende Zahl von Menschen, die dauerhaft vom Rest der Gesellschaft abgehängt sind. Die Politik hat diese soziale Frage viel zu lange ignoriert. Alle Regierungen seit Mitte der 70er-Jahre taten stattdessen stets so, als hätten sie nur noch nicht die richtige Lösung gefunden, wie die Arbeitslosigkeit beseitigt werden kann. Dabei haben alle Lösungsansätze eines gemeinsam: Sie funktionieren nicht. Es gibt keine politische Lösung. Dass dies bisher kaum jemand ausspricht, ist der eigentliche Skandal.

Besonders beliebt unter den Lösungsvorschlägen war: Die Konjunktur wird’s richten. Die gängige Formel lautet: Erst ab einem Wachstum von über zwei Prozent entstehen Arbeitsplätze, bei einem Wachstum von drei Prozent wären es 150.000 Arbeitsplätze. Aber bei viereinhalb Millionen Arbeitslosen müsste die Wirtschaft um 32 Prozent wachsen. Völlig utopisch. Der zweite Irrtum: Wenn die Arbeitslosen unter Druck gesetzt werden, finden sie Arbeit. Und Irrtum drei lautet: Wenn die Arbeitsämter effizienter arbeiten, finden die Arbeitslosen Arbeit. Falsch, denn in den letzten 30 Jahren gingen hunderttausende Jobs in Bereichen gering qualifizierter Tätigkeit verloren. Deshalb basiert auch die Ermahnung an die Jugendlichen, einen guten Schulabschluss zu machen, auf falschen Tatsachen. Selbst Menschen mit gutem Haupt- oder Realschulabschluss haben Probleme bei der Jobsuche, und Hochschulabsolventen hangeln sich oft von Praktikum zu Praktikum.

Auch gelangen Arbeitslose nicht über Mini-Jobs und 1-Euro-Jobs in reguläre Beschäftigung, und ebenso wenig verringert ein Mindestlohn die Armut der Unterschicht. Er nutzt nur den „Working Poor“, nicht den Arbeitslosen.

Da es Vollbeschäftigung vorerst nicht mehr geben wird, sollten sich die Parteien der Frage zuwenden, wie man dauerhaft mit mehreren Millionen Erwerbslosen sinnvoll umgeht. Entweder findet sich die Gesellschaft damit ab und führt eine Grundsicherung für alle ein – dann erlöst man die Arbeitslosen von der Gängelung durch die Ämter. Oder man entscheidet sich für einen Niedriglohnsektor und stockt den geringen Verdienst über eine Negativsteuer auf, um das Phänomen der „Working Poor“ zu vermeiden.

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