: Der extremste Extremist
Nach Michael Schumachers Rücktritt bleiben manche sprachlichen Kolbenfresser
Als Michael Schumacher am 10. September 2006 nach dem Großen Preis von Italien in Monza seinen Rücktritt bekannt gab, staunten Kenner der „Szene“ keineswegs. Das „dramatische Ende einer dramatischen und erfolgreichen Karriere“, das BMW-Motorsportdirektor Mario Theissen ausgemacht hatte, war lange geplant gewesen und nüchtern zu Protokoll gegeben worden.
Das hinderte den Jahrhundertfernsehsender RTL selbstverständlich nicht daran, Schumachers „Jahrhundertkarriere“ aufgekratzt und kreischend zu Grabe zu tragen. „Eine ganze Generation“ sei mit dem Kerpener Kettcar- und Kartkönig „aufgewachsen“, greinte Boxenbubi Kai Ebel, bevor er „mal kurz darüber reüssieren“ wollte, „was Michael da gerade gesagt hat“, in einer unspektakulären Pressekonferenz nämlich, aus der Reporter Heiko Wasser den Schluss zog: „Für die vielen, vielen Schumacher-Fans geht so ein bisschen die Welt unter.“
Ein bisschen? „Es geht ein Aufschrei durch das deutsche Volk“, analysierte später Hans-Joachim „Strietzel“ Stuck. Denn auf patriotisch durchgebrannte Bild-Schlagzeilen wie nach dem desaströsen Japan-Grand-Prix („War ein deutscher Kolben schuld?“) werden wir genauso verzichten müssen wie auf erschütternde Nachrichten der Art, dass Schumi den Ausfall aufgrund eines Motorplatzers durch „3 Frust-Biere“ zu verdauen versuchte.
„Schumis und unser Traum“, so Bild, ist „zerplatzt“. Passé werden nach dem Ende der 57. Formel-1-Saison für mich, den einzigen bekennenden deutschen Journalisten im Besitz einer signierten Schumi-Autogrammkarte, auch jene himmlischen Zeiten sein, in denen ich die jeden Dienstag erscheinende Schweizer Fachzeitschrift Motorsport aktuell mit Argusaugen verschlang.
Ohne das Objekt der Verehrung, ohne Brummel-Schumi verliert das Lesen einer solchen äußerst speziellen Spezialpresse seinen Sinn. Ich werde die Motorsport aktuell vermissen – die mir lieb gewordenen linkischen Anstrengungen, der sprachlichen Originalität auf die Beine zu helfen, die tollpatschigen Kühnheiten in Satzbau und Wortwahl, die verbeulten Metaphern und nicht zuletzt die geheimwissenschaftlichen Erläuterungen zu beispielsweise so etwas Unbegreiflichem wie dem „Haftbeiwert der Strecke“.
Ach, sie wird mir fehlen, die Schweizer Fachmannschaft mit ihrem suchtartigen Hang zum Formulierungs-Harakiri. Da hatte Michael Schumacher „rabenschwarzes Pech“, ein neuer Kurs indes „hat einen Superlativ auf sicher“, Rundenzeiten wurden „deponiert“, ein havarierter Bolide wurde „kaltverformt“, und den Wert einer Prognose unterstrich man folgendermaßen: „Was punkto Wahrscheinlichkeit auch passieren wird.“
Was in punkto Textverständlichkeit beim Leser bisweilen zerebrale Kolbenfresser verursachte, war mir ein nie versiegender Quell schierer Freude. So steil die Schweizer Berge, so schief das aufgeblähte Insider- und Expertokratengesülze, an dem ich mich immer wieder labte. Mitunter bestellten bereits die Hauptakteure selbst, allen voran Mario Theissen, das Feld des glanzvollen Unfugs, etwa wenn der BMW-Professor erklärte, es „fügen sich langsam alle Wackelsteine zu einem wirklichen Sprung nach vorne zusammen“.
Wie sich Wackelsteine zu einem Tigersprung zusammenfügen, das würde ich gern hautnah miterleben, gleichfalls den – laut Theissen – „Prozess, der steht“. Zu ihm – zu Herrn Theissen, nicht zum stehenden Prozess – und zu den anderen Granaten der Formel-1-Welt hat vor allem der legendäre Helmut Zwickl stets zuverlässig beste „Kontakte ins Glühen gebracht“, wie er’s in die Motorsport aktuell hineinzuschreiben beliebte. Ihm, Zwickl, verdanken wir Juwelen des Sportjournalismus, die durch nichts aufzuwiegen sind. Mal wollte er „eine DNA-Probe für Michaels Zukunftspläne holen“, mal „lief das Handy“ von Schumachers Pressesprecherin „auf Dauerfeuer“, und mal roch es nach noch gewaltigeren Ereignissen: „Der Schumacher-Rücktritt hing wie ein bevorstehender Vulkanausbruch über Monza.“
„Schumi ist der extremste Extremist, den die Formel 1 je hatte“, rief der schreibendste Schreiber, den der Motorsport glücklicherweise auch in Zukunft haben wird, dem unerreichten Rekordchampion Michael Schumacher nach. Und zum Schluss seiner Abrechnung mit dem größten Rennfahrer aller Zeiten wandte sich Helmut Zwickl dann der eigenen Zunft zu: „Medienvertreter, die in seinem Windschatten in die Formel 1 gesaugt wurden, müssen sich seit Jahren, um nicht gegen seine Fans anzurennen, zwingen, seine Erfolge, und nur seine Erfolge, zu bewerten und alles andere zu abstrahieren.“
Das war abermals außerordentlich treffend gesagt. Ich, der Fan, werde von nun an das Fachblatt Motorsport aktuell leider gründlich abstrahieren. Also irgendwie wohl ignorieren. Wenn ich mich richtig verstanden habe. JÜRGEN ROTH
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