piwik no script img

Die Schorfheide im Blick

Ein ungewöhnlicher Aussichtsturm mit Fahrstuhl bereichert seit kurzem das nördliche Brandenburg. Zwei weitgereiste Engländer haben dort ihren Traum vom Leben auf dem Lande verwirklicht. Der Projekttitel: Biorama

Nicht jeder hat es gern, wenn jemand auf dem Dach des eigenen Hauses herumtrampelt. Sarah Philips und ihr Mann Richard Hurding stört das nicht, sie haben sogar extra dafür gesorgt, dass auf ihrem neuen Zuhause am Rande der Schorfheide rund 75 Kilometer nördlich von Berlin ein Ausguck entstanden ist. Noch dazu der erste mit Fahrstuhl. „In Großbritannien hat jeder Aussichtsturm einen Lift“, erklärt die Engländerin, die den Wasserturm, in dem das Paar seit diesem Frühling wohnt, vor vier Jahren „ im Vorbeifahren“ entdeckt hatte.

Nun katapultiert also Deutschlands erster Wasserturm mit Fahrstuhl die Gäste in 22 Meter Höhe. Die Fahrt in der modernen Betonstele geht durch orange gefärbtes Glas, was die Landschaft in surreales Licht taucht. Steigt man aus der Kabine, führt ein Stahlblechsteg auf das Dach des denkmalgeschützten Wasserturms. Die Plattform ist mit Holzbohlen gepolstert, ein hübsches Gitter, das sich den Umrissen des Turmrundes anpasst, schützt vor Schwindelanfällen. Hier waren offensichtlich Designer am Werk. Tatsächlich sind Philips und Hurding weitgereiste Schöngeister und haben als Produktdesigner u. a. in Hongkong und London gearbeitet. Entworfen hat den Umbau nach ihren Vorstellungen Frank Meilchen, ein befreundeter Architekt aus Berlin. Dorthin haben die Engländer viele Kontakte, weil sie selber zuletzt in Berlin gewohnt haben, und so kommen an den Wochenenden nicht nur viele Turmbesucher, sondern auch Künstler, die hier eine Ausstellung eröffnen oder auch mal ein Freiluftkonzert geben.

Warum gerade Joachimsthal? „Wir hatten vier Orte zur Auswahl“, erklärt Philips. Der Ausstieg aufs Land hätte auch nach Portugal, Spanien oder China führen können. Der Wasserturm in Brandenburg ist es geworden, „weil er günstig zu haben war und wir hier nah an Berlin wohnen“. Weiterer Vorteil: Die Gemeinde Joachimsthal und das Land Brandenburg haben das englische Designerpaar willkommen geheißen und das Projekt Aussichtsturm gefördert.

Auch eine Villa gehört zum Anwesen der Engländer. Hier wohnte früher Rudolf Protz, der Erfinder von Berlins ersten öffentlichen Toiletten, dem immer noch existierenden Modell „Café Achteck“ aus Gusseisen. Noch sind die Fensterhöhlen vernagelt, die Villa sieht eher nach Abriss denn nach Renovierung aus. Doch Philips und ihr Mann haben schon konkrete Pläne. Ein mediterranes Café soll dort Einzug halten, Ateliers für Künstler und eine Ausstellungshalle sind geplant. „Es soll ein Informations- und Begegnungscenter für die Region werden“, so Philips. Allein das Geld fehlt zur Zeit. 350.000 Euro haben sie in den Umbau des Wasserturms und den Bau des Fahrstuhls investiert, 300.000 hat das Land Brandenburg dazugegeben. „Das war der Erlös aus unserer Eigentumswohnung in London“, erklärt Philips. Doch die beiden sind zuversichtlich. Hurding hat erst kürzlich einen wichtigen Designpreis gewonnen, weil er ein neues Material erfunden hat aus Hanf und Flachs. Stolz zeigt er Modelle in Schüsselform und schmeißt sie auf den Boden. Doch nichts passiert, das Material ist bruchfest. Hurding hofft, mit dem neuen Stoff ein Geschäft zu machen. Und dann wäre das mit dem Kapital für den Umbau der Villa nicht mehr ganz so schwierig.

Von oben schweift der Blick über das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin, eine rund 130.000 Hektar große Landschaft mit dichten Wäldern, 240 Seen, Mooren und Ackerland. Südlich des Turms versteckt sich im Wald das alte Jagdhaus Hubertusstock, in das DDR-Staatschef Erich Honecker seine Spezis und Politbonzen zum fröhlichen Halali einlud. An klaren Tagen sieht man über den Baumwipfeln die Spitze des Berliner Fernsehturmes. Im Norden blickt man hinunter auf die Häuser von Joachimsthal, einem traditionellen Ferienort mit Badesee, wo sich Besucher im Naturwachtbüro über die geschützte Landschaft informieren können.

Eine Feuertreppe führt von der Plattform hinab immer im Kreis rund um den Turm. Statt den Fahrstuhl zu nehmen, steigen wir hinab und schauen neugierig ins Innere. Die Engländer haben es sich im Rund, so gut es geht, gemütlich gemacht. In der zweiten Etage steht einsam ein Rennrad. Es gibt noch viel zu tun.

CHRISTINE BERGER

www.biorama-projekt.org

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen