: Wildes Deutschland
Noch denken die meisten Menschen hierzulande bei unberührter Natur an exotische Fernen. Die Naturlandschaften-Kampagne soll das ändern. Das Ziel: mehr Rückendeckung für den Naturschutz
VON CHRISTEL BURGHOFF
28 Prozent der Gesamtfläche Deutschlands nennt sich seit diesem Jahr „Nationale Naturlandschaften.“ Dass unter diesem Label seit diesem Jahr für die Natur geworben wird, hängt auch mit dem 50-jährigen Jubiläum der Naturparkbewegung zusammen. Die Initiatoren der Kampagne „Nationale Naturlandschaften“ verfolgen eine Qualitätsoffensive für die Naturparke. Die soll den vielen unterschiedlichen Trägern und Verantwortlichen der Naturparke Koordinierungshilfe geben und sie zu größerer Initiative animieren, neue Anreize für einen Aufenthalt in der Natur zu schaffen. Zunächst gibt es für alle nationalen Naturlandschaften zusammen und für jede gesondert ein mehrfarbiges Logo, einen farblich variierbaren Kreis, der die Region als Naturlandschaft kennzeichnet.
Mehr „Naturerlebnisangebote“ und eine verbesserte touristische Angebotsstruktur stehen ganz oben auf der Wunschliste der Initiatoren. Etwa Nordic- Walking-Parcours, Besuchereinrichtungen, Radwegenetze, Themenwanderwege, Kletterfelsen, Bade-, Segel-, Surf- und Bootsplätze, Reitwege usw. Die Angebote sollen Herrn und Frau Ottonormalverbraucher ins Grüne locken und für Feld und Flur begeistern. Der Wunsch der Initiatoren nach mehr Rückendeckung für weitergehenden Naturschutz, wie er etwa in Nationalparken eingefordert wird, könnte sich auf diese Weise erfüllen.
Noch denken die meisten Menschen hierzulande bei unberührter Natur an exotische Fernen. Aber urige Wälder, Wildnis und Orchideenwiesen, Moore und verwunschene Seen, wo Fischadler jagen und die Kraniche rasten und es manchmal so still ist, als gäbe es hierzulande keine einzige Autobahn, das alles liegt auch vor der Haustür. Harte Naturschutzarbeit hat viele Gebiete vor Zugriff bewahrt. Und viele warten auf naturbegeisterte Besucher.
Die heimische Natur ist ein Reiseziel. Und Reisende sind in deutschen Landen ein dringend benötigter Wirtschaftsfaktor. Dass sich mit dem Wörtchen „national“ die Gemüter regen lassen, dass erhofften sich in den Sechzigerjahren schon der Frankfurter Zoodirektor Bernhard Grzimek und Hubert Weinzierl vom BUND, als sie im Bayerischen Wald ein großes Wildnisgebiet ausweisen wollten und Deutschland so den ersten von heute 14 Nationalparken bescherten. Mit unterschiedlichen Ergebnissen: Bis heute regen sich immer wieder „Nationalparkbetroffene“ auf und machen gegen diese Art Naturschutz mobil; andererseits war die Nationalparkidee erfolgreich, sie bringt immer mehr Touristen in die betroffenen Regionen.
Nationalparke wollen keinerlei Eingriffe in die Naturentwicklung, trotzdem haben sie sich als Modernisierungsfaktor im Deutschland-Tourismus herausgestellt. Ob in der Sächsischen Schweiz mit dem Elbsandsteingebirge oder auf Rügen mit den Kreidefelsen – sie schützen deutsche Sehnsuchtsgeografie, Landschaften, wie gemalt von den Malern der Romantik. Und nicht zuletzt machen Nationalparke Deutschland auch etwas internationaler, man sucht mit ihnen Anschluss an so große Namen wie „Serengeti“ oder „Grand Canyon“.
Natürlich hinken internationale Vergleiche. Gemessen an den Standards der World Conservation Union (IUCN) dürften sich hier längst nicht alle Nationalparke so nennen, die meisten gelten noch als Ziel- bzw. Entwicklungsnationalparke, also im Aufbau. Außerdem war man hierzulande knauserig: Gerade mal ein halbes Prozent der deutschen Landfläche ist für Nationalparke reserviert (an Nord- und Ostsee kommen noch Wasserflächen hinzu).
Die über 90 Naturparke in Deutschland gelten gleichfalls als Großschutzgebiete. Mit einem Viertel der Gesamtfläche Deutschlands kommen sie schon besser daher. Aber sie dienen weniger dem Naturschutz, denn Naturparke sind ausgewiesene Kulturlandschaften, ländliche Regionen, lange schon bekannt und beliebt als Naherholungsgebiete für den klassischen Sonntagsausflug. „Steig aus und wandere!“, fordern seit Jahrzehnten die Schilder an sogenannten Wanderparkplätzen in der freien Landschaft.
Naturparke gelten als die ideale Grundlage für einen „nachhaltigen“ Tourismus. Kleinere Naturschutzgebiete oder auch Vogelschutzgebiete beinhalten sie allesamt, vor allem aber stimmungsvolle Dörfer, oft noch bäuerlich geprägte Landschaft samt touristischer Infrastruktur.
Die Vorläuferin der heutigen Naturparke war die Lüneburger Heide. Mit dem Hohen Vogelsberg in Hessen begann 1957 die bundesdeutsche Naturpark-Geschichte. Naturparke in der ehemaligen DDR waren noch stärker am Naturschutz orientiert. Inzwischen gibt es im novellierten Bundesnaturschutzgesetz eine einheitliche Regelung.
Der dritte Typus Großschutzgebiet, das Biosphärenreservat (Deutschland zählt inzwischen 14 Biosphärenreservate), ist ein Unesco-Projekt. Das Programm „Man and Biosphere“ wurde 1970 ersonnen, um in weltweiten Modellregionen Mensch und Natur zu einem harmonischen Miteinander zu führen. Anders als Nationalparke sollen Biosphärenreservate „nachhaltig“ bewirtschaftet werden. Beiden gemeinsam sind Zonierungskonzepte, die zwischen Tabu-, Puffer- und Rand- bzw. Entwicklungszonen unterscheiden. Einige Biosphärenreservate überschneiden sich hierzulande mit Nationalparken.
In den Unesco-Gebieten sind Innovationen erwünscht, wenn sie der Regionalentwicklung dienen. Etwa die Neuzucht alter Nutztierrassen, wie es vor einigen Jahren die Rhön mit dem Rhönschaf populär machte. Das genügsame Tier mit dem charakteristischen schwarzen Kopf erwies sich als multifunktional hinsichtlich der Landschaftspflege wie auch einer regionaltypischen Vermarktung. Es lässt sich als Produkt aus der Region gut bewerben – und verspeisen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen