: Headshot
GEBALLER Die Medienpädagogin Sabine Schiffer kritisiert Gewalt in Computerspielen
VON GABRIELE GOETTLE
Spieler von Ego-Shootern können demnächst einen Helm mit Force-Feedback-Technik kaufen, er vermittelt, laut Firma, ein „authentisches Kopfschussgefühl“.
Dr. Sabine Schiffer, Sprachwissenschaftlerin, ist seit 1993 als Medienpädagogin tätig. Sie befasst sich vor allem mit der Diskriminierung von Minderheiten in öffentlichen Diskursen, mit Themen wie Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Sexismus sowie mit Medien und Krieg. Schwerpunktmäßig setzt sie sich mit den zu diesem Themenkomplex anzutreffenden Aktivitäten im Web auseinander. Nach dem Abitur in Nürnberg, Studium der Sprachwissenschaften, Wirtschaftspolitik und Islamwissenschaften an der Uni zu Erlangen 2004 Promotion. 2005 Gründung des unabhängigen Instituts für Medienverantwortung, das sie bis heute leitet. Sie ist Verfasserin zahlreicher Publikationen zum Thema Minderheitendarstellungen in den Medien. Sie ist Mitbegründerin einer Initiative, die sich für mehr Mitbestimmung des Publikums beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk einsetzt. Im Dezember 2008 nahm sie an der wissenschaftlichen Konferenz „Feindbild Muslim – Feindbild Jude“ des Zentrums für Antisemitismusforschung teil. 2013 erschien ihr Buch „ Bildung und Medien. Was Eltern und Pädagogen wissen müssen“ (HwK Verlag, Wassertrüdingen). Sabine Schiffer wurde 1966 in Nordrhein-Westfalen geboren, der Vater war Dachdecker, die Mutter Sekretärin. Sie ist mehrfache Mutter.
Wer schon von Kindesbeinen an beim Computerspiel darauf konditioniert wird, die Welt durchs Fadenkreuz einer Waffe zu sehen, wer gelernt hat, dass die Blickrichtung zugleich die Zielrichtung ist und dass es ausschließlich darum geht, einem feindlichen Angriff zuvorzukommen, weil nur Kopfschuss und Blutfontänen einem weiterbringen im virtuellen Leben, der hat sein Rüstzeug bekommen für die Zukunft. Sabine Schiffer beschäftigt sich mit der Rolle der Gewalt in den Computerspielen und mit der dazugehörigen Darstellung von Minderheiten in den Medien.
Elisabeth und ich werden freundlich an den Wohnzimmertisch gebeten, wir packen Block und Tonbandgerät aus, Frau Schiffer schenkt Tee ein und bietet uns aus Frankreich mitgebrachte Madeleines an. Wir wüssten zunächst gern, wie sie zum Thema Antiislamismus kam.
„Dazu kam ich wie die Jungfrau zum Kind. Ich hatte englische und französische Sprachwissenschaft studiert und bin 1991 an der Uni auf ein Seminar gestoßen, das mich absolut fasziniert hat: ‚Gewalt durch Sprache‘. Moderne Linguistik. Und ich habe damals als Romanistin das Thema ‚Die Darstellung der Emigranten in der französischen Presse‘ als Thema meiner Magisterarbeit bekommen, wobei ich plötzlich mitten in der Islamdarstellung der französischen Presse landete. Ich habe ganz viel gelesen und Beispieltexte gesammelt, war aber ratlos. Dann ging ich zu meiner Dozentin und sagte, also ich weiß nicht, was ich hier machen soll, alles, was da steht, ist doch Fakt und entspricht der Realität, da kann ich jetzt keine Diffamierung erkennen. Sie sagte nur: Wenden sie einfach die Methoden an, die sie gelernt haben, analysieren sie die Texte, Benennungspraxis, Metaphorik, die eingesetzt wird, Syntaxreihenfolge, all diese Dinge. Und das habe ich dann gemacht und war am Ende meiner Magisterarbeit total schockiert über mein Ergebnis, über Art und Menge der antiislamischen Klischees.
Ich habe erkannt, wie ein Mythos fabriziert wird, ein Bild, das zwar aus Fakten zusammengestellt wird, aber die Fakten sind so selektiert und interpretiert, dass sie überhaupt nicht – wie suggeriert wird – repräsentativ für das Ganze sind. Was aber entsteht, ist ein Prototyp. Und ich habe es an mir selbst gesehen, so eine kohärente Vorstellung kann man über jeden bekommen, über Muslime, über Araber, über Israelis, Amerikaner, Afrikaner, Frauen – über wen auch immer. Man hat ein prototypisches Bild und die sogenannten Eigenschaften, die da reinpassen, die dienen zur Bestätigung, und Dinge, die nicht reinpassen, erklärt man zur Ausnahme. Funktioniert wunderbar.
Ich war über mein Ergebnis so schockiert, dass ich beschloss, ein Zweitstudium anzuhängen. Im Bereich Wirtschaft, Politik und Islamwissenschaften habe ich dann den Studienschwerpunkt ‚Moderner vorderer Orient‘ belegt und angefangen, Arabisch zu lernen. Nach der Zwischenprüfung hatte ich die Möglichkeit, zum Thema ‚Islamdarstellungen in den Medien‘ zu promovieren, das habe ich dann – mit Unterbrechungen allerdings – auch wahrgenommen. Ich war ja eigentlich bis zum vorigen Jahr hauptberuflich Mutter, konnte das aber immer irgendwie mit dem Studium und der Arbeit kombinieren, wenn sich die Promotion auch verzögert hat.
Die Bildung von Klischees
Erst 2000 konnte ich mich wieder der Promotion widmen, und 2001 hat mich dann der 11. September eingeholt und das hat meiner Arbeit so einen gewissen Aufmerksamkeitspegel beschert. War interessant. In den 1990er Jahren war es unmöglich, bei irgendeiner Stiftung eine Förderung für diese Promotion zu bekommen. Das Thema hat einfach keinen interessiert. Wer sich damals mit der Thematik beschäftigt hatte, der konnte jedoch sehen, alle Klischees über Islam und Muslime waren schon da – eigentlich schon seit der iranischen Revolution Ende der 70er Jahre, dann Ende der 80er der Fall Mahmoody [„Nicht ohne meine Tochter“, Anm. d. A.]. Damals waren die klischeehaften Islambeschreibungen lediglich etwas subtiler, etwas seltener, aber sie machen meiner Meinung nach die schlussfolgernden Erklärungen zum 11. September plausibel. Er hat der islamfeindlichen Berichterstattung einen riesigen Schub gegeben, nicht qualitativ, aber quantitativ. Und mit der Promotion – 2004 ist die erschienen – war ich dann sozusagen immer noch mittendrin.
Es war mir natürlich klar, dass man damit eine sehr unpopuläre Position vertritt. Das war manchmal anstrengend, aber mir trotzdem sehr wichtig. Für mich war es ein Beispielthema. Das habe ich leider nie richtig vermitteln können, glaube ich. Also wenn man sich linguistisch und medienkritisch mit diesem Thema befasst – es kamen ja auch noch Bild- und Filmanalyse dazu –,dann stößt man eben auf spezifische Vorurteilsstrukturen in den Minderheitendarstellungen.
Nach dem französischen Soziologen und Sozialpsychologen Henri Tajfel, dem Mitbegründer der Theorie der sozialen Identität, ist Minderheit ‚eine Gruppe mit fehlendem Zugang zur Macht‘. Also das betrifft natürlich auch Frauen – Frauen wird ja auf der ganzen Welt übel mitgespielt, auch bei den Muslimen. Aber ich bleibe jetzt mal beim Islambild. Bei Islam und Muslimen ist durch Framing so eine Art Deutungsrahmen, ein Schema entstanden, danach ist der ‚echte‘ Muslim der schlechte Muslim, und wenn er mal was Positives sagt, dann lügt er. Das ist vergleichbar mit dem, was wir aus dem Antisemitismus des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts kennen. Den assimilierten Juden in Berlin zum Beispiel wurde vorgeworfen, dass sie gar nicht mehr aussehen wie Juden, dass sie sich dadurch aber nur geschickt verstellen. Der Vergleich mit dem antisemitischen Diskurs durch das 19. Jahrhundert hindurch wurde nicht gerne gehört.
Im Jahr 2005 habe ich dann das Institut für Medienverantwortung gegründet, eigentlich aus der Erkenntnis heraus, dass das Ganze, was ich da vertreten möchte, auch eine Struktur braucht – eine unabhängige Struktur. Und insbesondere, weil ich der Meinung bin: Wissenschaft müssen wir für die Öffentlichkeit betreiben und nicht für den Elfenbeinturm.
Wir wollten mit den Medien in Diskurs treten, leider hat es nicht ganz so funktioniert, wie wir uns das wünschten. Es ist aber bei bestimmten Ereignissen immer wieder so, dass wir angefragt werden zu Interviews und Stellungnahmen von verschiedenen Medien, beispielsweise 2012 im Fall von Breivik. Oder im Dresdner Mordfall der ägyptischen Pharmazeutin, die im Gerichtssaal, nachdem sie ihre Aussage gemacht hatte, vom islamfeindlich gesonnenen Angeklagten erstochen wurde. Ihr Mann, der ihr zu Hilfe eilte, wurde ebenfalls niedergestochen und schwer verletzt. Also immer zu solchen Ereignissen, was zur Folge hat, dass das natürlich meinen ‚Frame‘ festlegt. Dabei gerät ein wenig aus dem Blickfeld, dass wir uns ebenso intensiv mit der Darstellung von Frauen in den Medien, Juden in den Medien, Roma in den Medien befassen.
Bildungsschere
Und wir befassen uns umfassend mit Medienpädagogik, also an Erwachsene gerichtet, etwa als Fortbildung für Eltern und Pädagogen. Ein Schwerpunkt dabei sind Medienbildung und Medienkompetenz, wobei man den Begriff gar nicht mehr benutzen kann, der ist komplett durch die Medienindustrie gekapert worden. Es geht uns um die Schärfung der Kritikfähigkeit, ums Erkennen der Verführung durch die IT-Branche oder der Gefahren durch die Technisierung der Bildungseinrichtungen.
Über dieses mir sehr wichtige Thema möchte ich etwas ausführlicher sprechen. Für mich beginnt Medienbildung mit dem ersten Kinderbuch, mit dem Spiel der Fantasie, und nicht damit, dass man gleich solche Räume eröffnet, wo man technisch, durch Knopfdruck oder Button, in vorgefertigte andere Welten kommt. Was wir sehen, ist Folgendes: Es gibt bereits die ersten Untersuchungen, die ergeben, dass die Bildungsschere noch weiter aufgeht durch den frühen Einsatz der Technik und nicht, wie uns der Leiter von Microsoft Deutschland in der FAZ weismachen will, dass sie sich dadurch schließt.
Wenn die Eltern überfordert sind und auch selbst in der Erziehung zu Gewaltmitteln greifen, wenn sie ihre Kinder mit Computerspielen ruhigstellen, dann lernen diese Kinder nicht, wie man lernt. Und das sind Kinder, die dann keine ausreichenden räumlichen Erfahrungen mehr machen, keine Erfahrungen mit den Händen, überhaupt mit der Bildung der Sinne. Gefährlich ist auch, dass diese Systeme sofort belohnen und die Frustrationstoleranz reduzieren, die man aber beim Lernen braucht, wo man mal öfters was wiederholen muss. Das ist Arbeit und nicht Spiel. Man muss sich hinsetzen und lernen, wie beispielsweise die jüdischen Kinder im Irak, die kamen in die erste Klasse und hatten sofort drei Alphabete zu lernen, das arabische, das hebräische und das lateinische. Und sie fingen mit zwei Sprachen an, mit dem Arabischen und dem Französischen. Das hatten sie nach drei, vier Jahren intus.
So eine bilinguale Praxis habe ich übrigens selber erlebt. Meine Kinder sind mit zwei Sprachen aufgewachsen, Deutsch und Französisch, obwohl wir beide Deutsche waren. Es war so ein linguistisches Experiment. Ins Bett gehen zum Beispiel war auf Französisch, Fahrrad fahren, bestimmte Bücher und Spiele waren auf Französisch, wir fuhren nach Frankreich, und es gab eine französische Kindergruppe in Erlangen. Das hat sehr gut funktioniert. Wir haben das jahrelang beibehalten. Moderne Medien haben wir weitgehend außen vor gelassen, so spät wie möglich eingeführt. Die Gameboys haben uns dann allerdings ereilt und die Computergeschichten kamen später auch noch. Aber meine Kinder sind tatsächlich bis zum Abitur ohne Handy ausgekommen.
Den medienwirksamen Bildern allerdings entkommt man natürlich nicht. Ich muss sagen, ich hätte diese Arbeit ohne meine Kinder gar nicht machen können. An ihnen habe ich beobachtet, wie die Dinge direkt wirken. Bestimmte Dinge, die ich ihnen gerne erspart hätte.
Sekundäre Medienerfahrung
Ich habe zum Beispiel gesehen, wie die Kinder im Kindergarten Szenen nachgespielt haben. Meine Kinder kamen nach Hause – die hatten noch nie die Fernsehserie „Power Rangers“ gesehen – und sie spielten das nach. Am Ende wird da immer ‚das Böse‘ bekämpft, die sogenannten Ranger tragen Kampfuniformen und befehligen große Kampfroboter. Und es gab dann immer so eine bestimmte Körperhaltung, mit der sie rangingen, um die anderen zu bekämpfen. Und genau diese Körperhaltung hatten meine Kinder drauf. Die haben sie sich genau abgeguckt bei den Kindern, die diese Serie gesehen haben. Deshalb habe ich dann auch diesen Begriff sekundäre Medienerfahrung geprägt. Später hatten wir dann lange Diskussionen, wenn sie gerne auch ein Spiel gehabt hätten wie die anderen Klassenkameraden. Dann gingen wir zusammen in den Laden, um zu gucken, ob es auch Spiele gibt, wo man nicht gewaltsam auf Kosten anderer agieren muss. Der Clou war dann, es wurde uns eines empfohlen, wo man den Gegner nur mit einem Stein erschlagen muss.
Solche Erlebnisse sind dann ein guter Ansatz, um mit den Kindern ins Gespräch zu kommen, sie zu sensibilisieren für den Spielinhalt. Irgendwann später kamen sie dann und sagten: Die sind tatsächlich alle gleich aufgebaut, egal was man spielt. Und ich habe die Erfahrung gemacht, wenn es mal durchschaut ist, dann schwinden auch Interesse und Faszination. Was ich der Industrie besonders vorwerfe, ist, dass sie die Verunsicherung in der Pubertät gezielt ausnutzt, indem sie verführerische Köder auslegt. Das spiegelt sich wider auch in den Rollen und Figuren, die sich die Spieler kreieren, welche virtuellen Eigenschaften sie sich geben, um Schwächen zu kompensieren, per Knopfdruck. Dass aber der Erfolg, die Geschicklichkeit und das furchtlose Agieren im virtuellen Leben nicht wirksam bleiben gegenüber den Herausforderungen im realen Leben, wo man sich auseinandersetzen muss mit anderen Menschen und Institutionen, kann mancher nur schlecht ertragen.
Im Grunde genommen ist es eine bodenlose Frechheit, die Spieleindustrie macht Unmengen von Geld mit Gewaltverherrlichung, und die Folgen trägt die Gesellschaft. Das ist eigentlich gar nicht zu schaffen. Es ist eine Riesenaufgabe für Eltern, die permanent in Zugzwang sind. Sie müssen sich als Erstes fragen: Wohin stelle ich den Fernseher, den Computer? Stelle ich ihn ins Zimmer des Kindes oder mache ich daraus ein Familiengerät? Das sind Fragen, die entscheiden bereits über ganze Bildungswege. Bei mir waren die Umstände damals günstig, weil zuerst war der Fernseher mein Arbeitsgerät, der stand im Arbeitszimmer, den mussten wir nicht verbieten, weil er gar nicht im Blickfeld der Kinder war. Und später mit dem Computer, da gab’s in meinem Institut einen Platz für sie, wenn sie was machen mussten für die Schule. Aber zu Hause gab’s das nicht.
Sie haben natürlich alles kennengelernt bei ihren Freunden. Ich habe immer gemerkt, wenn sie bei Freunden waren, das hat sich deutlich ausgewirkt auf die Konzentrationsfähigkeit. Und auch auf die Sprache der Kinder, wir hatten solche Phasen, da war alles nur noch Headshot. O mein Gott, was hast du denn da zum Essen gemacht? Headshot! Unentwegt. Wir haben uns dann mit Bogenschießen gerettet, das war ein Kompromiss, man muss sich konzentrieren und es darf gezielt und geschossen werden, aber nicht auf Lebewesen, sondern auf eine Zielscheibe.
Ich habe dann natürlich Studien gewälzt und diese Verharmlosung in der öffentlichen Debatte beobachtet. Der Tenor war, das gehört zur Bildung, wer sich dagegenstemmt, ist rückwärtsgewandt und hat nichts verstanden, denn das ist ja alles kathartisch, gut zum Abreagieren der Aggressionen und so weiter. Ich merkte sehr schnell, dass viele dieser Studien von der Spieleindustrie finanziert waren. Nur in einigen seriösen Langzeitstudien wurden die Auswirkungen dieser Mediengewalt auf das Verhalten analysiert und vor allen Dingen auch auf die Haltung Gewalt gegenüber. Es ist ja schon sehr bedenklich, wenn man sich in bestimmten Situationen nur noch kriegerisch verhält.
Das ist ja auf der politischen Ebene in der realen Welt ebenso, wie unlängst auf der Sicherheitskonferenz, wo von der Verantwortung Deutschlands in der Welt gesprochen wird. Diese Haltung wird in den Computerspielen bereits antrainiert. Und ich habe natürlich auch zu spüren bekommen, was für eine Macht dahintersteht, was für Unsummen an PR-Geld und tüchtigen Lobbyisten. Wenn man da als kleine Wissenschaftlerin eine Gegenposition bezieht, ist man sehr schnell isoliert. Und auf der Gegenseite stehen ja oft auch Wissenschaftler, zum Beispiel beim Spielraum-Institut an der Fachhochschule Köln (am Institut für Medienforschung und Medienpädagogik), das von den Unternehmen Electronic Arts Deutschland und Nintendo Deutschland finanziert wird. Der Leiter dort war auch sehr prominent in der Bundeszentrale für politische Bildung.
Verbitterung
Es sind ganz wenige Wissenschaftler, die eine Gegenposition beziehen. Wir haben uns versammelt im Verein gegen Mediengewalt, er heißt mediengewalt.eu, es werden Analysen gemacht, Studien, Empfehlungen gegeben, und wir versuchen, das an die Öffentlichkeit zu bringen, besonders an interessierte Eltern und Lehrer. Wir verfassen natürlich regelmäßig Presseerklärungen informieren über neue Studien und so weiter, aber von den Medien wird unsere Arbeit weitgehend totgeschwiegen, was uns natürlich erheblich verbittert, denn wir bearbeiten diese Thematik als verantwortungsbewusste und unabhängige Medienwissenschaftler – ebenso, wie ich das auch an meinem Institut für Medienverantwortung tue. Wir sind quasi eine saubere Quelle, aus der auch Journalisten bei ihren Recherchen zum Thema schöpfen könnten.
Aber es geht inzwischen ja andersherum, Computerspiele haben den Status von einem Kulturgut erlangt, bekommen Preise, sind anerkannt und positiv in der Medienberichterstattung. Beispielsweise in der Zeitung des Deutschen Kulturrats, Politik & Kultur, da wird propagiert, dass man diese Medien doch endlich als Kulturgut anzuerkennen hat. Wer will sich gegen Kultur schon querlegen?! Und es gibt von politischen Stellen eine ganz hohe Anerkennung, ich will das mal an der Firma Crytek beispielhaft zeigen, ein deutscher Spielehersteller, die brachten den Ego-Shooter „Crysis“ auf den Markt, das Spiel wurde prämiert mit dem Deutschen Computerpreis. Die Firma Crytek ist aber zufällig die, die mit der Bundeswehr kooperiert. Es finden sich auch immer Pädagogen, die sagen, dass solche Spiele gut für die Bildung sind, die Intelligenz und die Konzentration fördern und von den Eltern ohne Bedenken auf den Gabentisch gelegt werden können.
Es gibt eine Flut von Spielezeitschriften, sie vermitteln neben viel Werbung und Spieletechnik auch eine wichtige Botschaft für die Jugendlichen: Ihr seid die Digital Natives, ihr seid versiert, seid da hineingeboren, eure Eltern sind Digital Immigrants, haben keine Ahnung, sie verstehen euch nicht, können euch gar nicht verstehen! Also, lasst sie einfach reden und hört weg! Das bedeutet, es wird eine Spaltung betrieben zwischen Eltern, Pädagogen und Jugendlichen. Das kann man gut in den einschlägigen Foren sehen, in denen sich die Jugendlichen über diese Debatten austauschen und oft schreiben, dass sie sich stigmatisiert fühlen.
Ich will sie nicht stigmatisieren als potenzielle Gewalttäter. Diese Reduktion immer auf Amokläufe ist falsch. Aber unberührt bleibt der Konsument natürlich nicht von brutalen Spielgewohnheiten. Darüber habe ich auch neulich diskutiert mit Kollegen, dass nach Prügelattacken in U-Bahnen die Aufzeichnungen der Videokameras gezeigt haben, wie die Schläger viel öfter von oben herab getreten haben, also nicht von unten, wie man das ‚normalerweise‘ machte, sondern von oben drauf, immer wieder. Und das entspricht genau den Bewegungsabläufen, die man aus diesen martialischen Spielen kennt und die womöglich vom Programmierer aus Digitalisierungsgründen so gestaltet wurden. Wir haben jedenfalls darüber diskutiert, ob sie die Vorstellung davon beeinflussen, wie man eine Schlägerei ausführt. Das ist etwas, das muss untersucht werden.“
Wir bitten Frau Schiffer, uns etwas mehr über Computerspiele und Ego-Shooter-Spiele zu erzählen.
„Ja, also es gibt natürlich ein paar unterschiedliche Formen: Es gibt zum Beispiel die Endlosgames online, oft sind das solche Strategiespiele, die man zum Teil auch ohne Gewalt spielen kann. Entweder man zahlt eine monatliche Lizenzgebühr, oder sie sind sogar kostenlos und das ist besonders geschäftstüchtig: Bei den Free-to-play-Games sind die Spiele oft so programmiert, dass ihnen Frustrationsschleifen eingebaut sind, das heißt, der Spieler kommt nach einer Weile nicht weiter. Der volle Spielerfolg kann nur mithilfe von käuflich zu erwerbenden Items erreicht werden, das kann ein Schwert sein, ein Edelstein, eine Rüstung, ein Umhang, die dem Spieler bestimmte Fähigkeiten verleihen. Es nennt sich virtual goods, virtuelle Güter, die aber reales Geld kosten. Die kann man übers Handy buchen. Das fängt scheinbar harmlos an mit vielleicht 9,99 Euro, kann am Ende aber dann ganz schön teuer werden.
Ein Spiel wie „World of Warcraft“ beispielsweise, mit mehr als einer Milliarde Dollar Jahresumsatz, das ist so ein Lizenzspiel, wo man online mit anderen beziehungsweise gegen andere Spieler in der ganzen Welt spielt – das ist übrigens auch ein Grund dafür, dass die Medienwucht so enorm zugenommen hat, durch dieses weltweite Vernetzen. Bis Level 20 jedenfalls kann man kostenlos spielen, danach muss man monatliche Nutzungsgebühren bezahlen. Hier ist das Problem: Wenn ich da nicht ständig präsent bin, dann verliere ich.
Und es gibt solche „GTA“-Spiele – das Kürzel für „Grand Theft Auto“ – Spiele, die dann nur noch Gewalt um jeden Preis und als Selbstzweck zum Inhalt haben. Es gibt auch kein Ziel mehr, in dem Sinne, also wo man noch einen Schatz finden kann, wie in anderen Spielen, es gibt eigentlich auch nicht mehr Gut und Böse, kein Recht, kein Gesetz, sondern nur noch so eine Art permanenten Amoklauf beziehungsweise -fahrt, so als wäre man unter Drogen. Die erste Version hat Ende der 90er Jahre mal mit Autodiebstahl angefangen und Verfolgungsjagden, inzwischen ist man bei „GTA V“ angekommen, und nun geht es einfach nur noch um Demütigung anderer, um Vernichtung, ums Überfahren, Erschießen, Erschlagen.
Inzwischen gibt es auch Vergewaltigungen. Es gibt Frauenfeindlichkeit, offenen Rassismus gegen Schwarze, Asiaten, Juden werden beispielsweise überfahren, in „GTA IV“ war das so. In „GTA V“ muss der Spieler auch foltern, um weiterzukommen, die Wahl der Folterwerkzeuge steht ihm frei. Das Spiel ist in Deutschland ungeschnitten und ab 18 Jahren freigegeben. Es bewegt sich in der Szenerie moderner nordamerikanischer Citys, downtown oder abseits, alles supercool und inzwischen in zahlreichen Kinderzimmern vorhanden.“ („GTA V“ erzielte im September 2013 bereits in den ersten drei Tagen nach Erscheinen einen Umsatz von mehr als 1 Milliarde US-Dollar, bei Entwicklungskosten von 250 Millionen Dollar. Anm. d. A.)
„Es gibt sogenannte WK-II-Spiele, von denen es eine wahre Schwemme gibt. Etliche Spiele betreiben totale Geschichtsklitterung, wie etwa der Online-Ego-Shooter „Day of Defeat“, wo plötzlich die historischen Tatsachen ganz anders dargestellt werden, Deutschland wurde angegriffen und musste sich verteidigen, ein Kollege von mir sagt, das sei neofaschistisch, was sich da teilweise abspielt. Die Notwendigkeit der Verteidigung ist übrigens ein Grundmuster – passt voll in unsere heutige politische Realität, wir verteidigen „die Sicherheit Deutschlands am Hindukusch“. Und darin sehe ich eine große Gefahr.
Ich bin der Meinung, es geht gar nicht so sehr um die Debatte, ob die Kinder zu Amokläufern werden, es geht um die Debatte, ob wir durch die Konditionierung durch die Spiele nicht unseren gesellschaftlichen Konsens aushebeln. Es werden Situationen kreiert, die suggerieren, wir, als „höherwertige Kultur“, werden angegriffen, „unsere Heimat“ ist in Gefahr, da gibt es nur noch Angriff als Verteidigung, der oder ich, Tod oder Leben. Diplomatie, Gespräche, friedliche Übereinkünfte sind passé.
Platte Gewaltverherrlichung
Es gibt auch Spiele, die wirken harmlos und gewaltfrei auf den ersten Blick, wie die Sims, da kann man einfach nur ein Häuschen aufbauen und es einrichten, eine Familie gründen, Freunde finden, ein Leben führen, aber dann … dann kommt der Moment, wo es auch hier eine militärische Komponente gibt, man stellt fest, die Dinge, die man sich alle leisten möchte, die kosten Geld. Man kann sie sich nur leisten, wenn Vater zum Militär geht. Das gehört zu den am besten bezahlten Berufen. Und so wird unentwegt etwas eingeübt, das wir als Gesellschaft gar nicht wollen. Also ist es wichtig, nach Alternativen zu suchen, es ist wichtig, dass Eltern und Pädagogen reagieren und sagen: Wir können das nicht gutheißen, diese platte Gewaltverherrlichung!
Ich kann verstehen, dass Eltern resignieren. Aber ich kann nicht verstehen, dass man sie damit alleinlässt! Dass es zum Beispiel in der Schule im Lehrplan nicht das Fach Medienbildung gibt, das ist unglaublich. Es muss als Curriculum in der Schulbildung verankert werden. So wie die Kinder Rechnen und Sprachen lernen, so müssen sie auch lernen, wie Meinungsbildungsprozesse funktionieren, Kritikfähigkeit erlernen, auch gegenüber den neuen Medien und den Verführungen einer weltweit agierenden Industrie, die darauf aus ist, sie als anpassungsbereite Konsumenten zu gewinnen.“
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