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Suspekt, Alter!

Mit der Forderung nach „mehr Respekt“ kann man in den USA Freizeitkleidung verkaufen – und in Berlin neuerdings Wahlen gewinnen. Eine kleine Respekt- respektive „Respect“-Retrospektive

von HELMUT HÖGE

Erneut hat der Grünenpolitiker Özcan Mutlu die Wahl in Kreuzberg gewonnen – mit der Forderung: „Respekt.“ Dazu gibt es 569 Millionen Interneteintragungen: Respekt-Vereine, -Initiativen, -Kampagnen … In Kreuzberg heißt eine neue Prolo- bzw. Uschi-Kneipe „respectbar“. Und Psychologie Heute machte ein „Thema“ daraus, das um „Selbstachtung“ und „Anerkennung“ kreist.

Schuld daran ist ein Song der schwarzen US-Sängerin Missy Elliott: „Respect me“, aus dem Adidas eine „Respect me“-Kollektion kreierte. Dem Hit ging 1995 ein gleichnamiger von James Brown voraus. Die Zeit vermutete, es gehe dabei um „Respekt statt Demütigung“. Als ich noch im Rap-Alter war, fühlten wir uns gerade durch die Einforderung von Respekt gedemütigt. Unsere postfaschistischen Lehrer herrschten uns laufend an: „Mehr Respekt bitte!“ Überhaupt wollten alle alten Arschlöcher als „Respektspersonen“ behandelt werden. Sie traten schon „respektheischend“ auf. Uns wurde darob jeder Respekt suspekt!

Die neudeutsche Respekt-Lawine wurde in der afroamerikanischen und turkoarabischen Popkultur losgetreten, deren „Anhänger“ zwar (noch) nichts darstellen, nichts haben und auch nur wenig können, dazu werden ihnen auch noch alle Entfaltungsmöglichkeiten verbaut, dennoch fordern sie „Respekt“ – sie wollen nicht noch zusätzlich gedemütigt werden: In vielen Berliner Discos werden sie von den Türstehern abgewiesen; von der Polizei bevorzugt visitiert, gefilzt und besonders gemein behandelt; bei Bewerbungsgesprächen zeigt man ihnen, dass man wenig von ihnen hält; in den Läden werden die Besitzer bzw. Ladendetektive aufgeregt.

Aber da kommt nun unser grüner Kreuzbergpolitiker Mutlu – und fordert: „Mehr Respekt!“ Ja sogar laut Tagesspiegel: „Schulen müssen wieder Orte von Respekt sein.“ Das bezog sich auf „die zunehmende Gewalt nicht nur an Hauptschulen“ (Schulsenator Böger) – auf „Respekt statt Zusammenschlagen“, also jeden als solchen zu „respektieren“. In der Schule u. a. die Kleinen und Schwachen – also doch eher die kerndeutschen Streber als die körperbewussten turkoarabischen Schüler?

Früher sagte man: „Leben und leben lassen“ – eine Art Toleranzgebot. Auch die vielgerühmte „Toleranz“ war uns herzlich verhasst: Sollte man es etwa „tolerieren“, dass alles in die Grütze ging?! Zuletzt setzte sich der Philosoph Jacques Derrida mit dem Wort auseinander. Er meinte, dass die „Toleranz“ immer von einer Position der Überheblichkeit, von oben, ausgehe. Deswegen wollte er lieber von „Gastfreundschaft“ sprechen – die heilig ist. Es gehe nicht darum, seinen „Gast“ zu tolerieren oder zu respektieren, sondern darum, ihn uneingeschränkt zu bewirten. Vor einiger Zeit flüchtete ein von der Blutrache verfolgter Kurde in das Haus seiner Mörder – nur da war er sicher: Ihn schützte die heilige Gastfreundschaft.

Die Wege, „sich Respekt zu verschaffen“, sind ebenso heidnisch-monotheistisch wie von unten und oben umkämpft. Mutlu predigt ihn zugleich von oben – als integrierter Regionalpolitiker (einer toleranten Partei) und fordert ihn von unten – als „Sprecher“ einer turkoarabischen „Scene“. Das gilt auch für viele schwarze Rapperinnen, die aus ganz bieder-religiösen Mittelschichtfamilien kommen, aber um ihrer Karriere willen eine toughe Ghettoechse mimen.

Die „Gewalt“ (auf Straßen, Schulhöfen etc.) ist „furchtgebietend“ – der „Respekt“ aber ebenso. Man kann ihn ebenfalls den Menschen „beibringen“ – nachhaltig einbläuen. „Zur rechten Zeit erteilte Hiebe – erwecken Vertrauen, Furcht und Liebe“ – dieser altdeutsche Spruch hängt immer noch in einigen Küchen hierzulande.

Für Mutlu ist „Respekt“ mit dem Wunsch nach „Integration“ verbunden – und umgekehrt. Letzteres ist jedoch auch so ein Ekelbegriff – ein Polizei- und Lehrerwort. Der Hannoveraner Sozialforscher Peter Brückner, der einst aus der DDR in die BRD flüchtete und hier zunächst einen gutbezahlten Scheißjob in der Wirtschaft annahm, schrieb später über die notwendige Distanz zum Schweinesystem: „Dass der Entschluss befreiend war, dass mich das Geld politisiert hat (und nicht, wie die jungen Generationen, die Sexualität), hat eine Moral. Es gibt Zustände – individuelle wie gesellschaftliche – in denen einzig ein Stück Ruchlosigkeit produktiv ist und wo die ‚individuelle Interessen-Orientiertheit‘ viel weniger sozial integriert als Armut, Sozialarbeit, Tugend.“

Das gilt heute erst recht, wobei Ruchlosigkeit so viel heißt wie: „unbekümmert gegenüber dem, was [offiziell] geheiligt ist“. In anderen Worten, es geht stets um: „Always Ultra!“

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