Politik mischt den Fußball auf

Heute Krisensitzung von DFB und Bundesliga wegen eines angeblichen Anstiegs der Fangewalt. In NRW sieht die Polizei jedoch keine Eskalation rund um die Stadien: „Früher war es schlimmer“

VON HOLGER PAULER
UND MARTIN TEIGELER

Es ist eine Erinnerung an den wohl düstersten Tag der deutschen Fußballgeschichte. Gestern wurde im Ruhrgebiet einer der Gewalttäter von Lens verurteilt. Acht Jahre nach dem fast tödlichen Angriff auf den Gendarmen Daniel Nivel am Rande der Fußball-WM in Frankreich erhöhte das Bochumer Landgericht die Strafe für einen der beteiligten Hooligans (31) um drei Monate auf drei Jahre und sieben Monate Haft. Der Bochumer hatte während seines Strafverfahrens im Juli 2003 einen Bochumer Polizisten beschuldigt, ihn am Rande einer anderen Fußballschlägerei aus Willkür festgenommen zu haben. Die Richter werteten das als falsche Verdächtigung.

Seit Lens 1998 hat sich viel verändert im deutschen Fußball. Der alte Hooliganismus der 80er und 90er Jahre ist zwar Geschichte, doch Gewalt in den Stadien ist wieder ein Thema. Nach schweren Krawallen am vergangenen Wochenende treffen sich die Verantwortlichen von DFB und Bundesligaverband DFL heute zu einer Krisensitzung. Bei Ausschreitungen nach Zweit-, Regional- und Oberligaspielen in Ost- und Süddeutschland hatte es rund 80 Verletzte und 40 Verhaftungen gegeben. „Diese Chaoten benutzen den Fußball“, sagt DFB-Sprecher Harald Stenger. Gewalt und Rassismus seien ein Problem der gesamten Gesellschaft. Darüber wolle man in Frankfurt sprechen.

„In NRW gibt es nach den ersten Spieltagen der Fußballsaison keinen Gewaltanstieg“, sagt Frank Scheulen vom Landeskriminalamt. Eine dramatische neue Entwicklung sei nicht erkennbar. „Vielleicht ist die Öffentlichkeit nach der Fußball-WM in Deutschland einfach nur aufmerksamer geworden“, sagt der Polizeisprecher. „Die uns vorliegenden Zahlen von Vorfällen dieser Art zeigen, dass die Situation seit fünf, sechs Jahren so ist“, sagt Michael Endler, Leiter der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) in Düsseldorf.

„Früher war es schlimmer“, sagt Uwe Klein von der Essener Polizei. Er habe vor 20 Jahren Straßenschlachten bei Heimspielen von Rot-Weiss Essen gegen Schalke und Dortmund erlebt. RWE ist in den letzten Jahrzehnten oftmals auf- und abgestiegen, derzeit spielt der Traditionsverein in der 2. Bundesliga. Klein: „Aber die RWE-Fans waren immer erstklassig – was die leider hohe Zahl gewaltbereiter Anhänger angeht.“ Der harte Kern der Schläger bestehe bei dem Ruhrpott-Club aus rund 300 Männern. Erst am vergangenen Mittwoch lieferten sich RWE-Hools eine Massenschlägerei mit Frankfurter Fans nach dem DFB-Pokalspiel gegen die Eintracht. Die Bilanz des Polizeieinsatzes: acht vorläufige Festnahmen, acht Anzeigen wegen Beleidigung, Widerstandes gegen Polizeibeamte, Körperverletzung sowie Haus- und Landfriedensbruchs.

Derartige Vorfälle versetzen nun auch die Politik in Erregung. CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach ermahnte die Vereine zu härterem Durchgreifen. „Wo früher Schimpfworte flogen, fliegen heute Fäuste“, sagte der NRW-Bundestagsabgeordnete der Welt am Sonntag. CSU-Generalsekretär Markus Söder forderte dazu auf, sich „mit Hochdruck“ der wachsenden Gewalt in Stadien zu widmen.

Konservative Blätter und Politiker sind also alarmiert. „Dabei geht die Gewalt manchmal auch von den Ordnungskräften aus“, berichtet Dirk Bierholz vom Düsseldorfer Fanprojekt. Beim letzten Auswärtsspiel des Drittligisten in Jena etwa sei der Vorsänger der Düsseldorfer Ultras „vom Zaun geknüppelt“ worden. Dennoch findet es Bierholz richtig, dass DFB und DFL heute über das Thema Gewalt sprechen. „Das ist besser, als das Problem zu ignorieren.“

Laut Focus wollen Polizei, Fußball-Bund und Fußball-Liga die Sicherheitsvorkehrungen gegen mögliche Gewalttäter auch in den meist kleineren Stadien der Oberliga-Staffeln verschärfen. Demnach soll es bald mobile Schutzzäune zur Trennung der gegnerischen Fan-Gruppen, besser ausgebildete Ordner und auch Stadionverbote gegen Krawallmacher geben. Am 8. November soll ein länderübergreifender „Ausschuss Sport und Sicherheit“ unter Vorsitz des NRW-Landeskriminalamts darüber diskutieren. Mitglieder des Gremiums sind nicht nur Vertreter der Sicherheitsbehörden, sondern auch Experten von Verbänden und Faninitiativen.