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Mit Schlagstöcken gegen Frauen und Jugendliche

GEWALT Prorussische Schläger gehen in der Ostukraine gegen proukrainische Demonstranten vor. Die Polizei kümmert sich nur halbherzig um den Schutz der Teilnehmer. „Volksrepublik Donezk“ will sich Wählerlisten für Referendum mit Gewalt besorgen

Arm in Arm mit Putin

■ Exkanzler Gerhard Schröder (SPD) ist für seine Geburtstagsparty mit inniger Umarmung des russischen Präsidenten Wladimir Putin parteiübergreifend scharf kritisiert worden.

■ CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer erklärte: „Unsere Jungs leiden bei Wasser und Brot im Verlies, Schröder feiert mit Schampus und Kaviar im Festsaal“.

■ Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kritisierte, Schröder torpediere „auf gefährliche Art und Weise die schwierigen Bemühungen von SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier zur Eindämmung der Krise“.

■ SPD-Vize-Fraktionschef Rolf Mützenich erklärte dagegen, ihm erscheine wichtig, „dass deutsche Gesprächspartner Präsident Putin die Sorgen und Ängste der Menschen in Bezug auf die Sicherheit in Europa erläutern“. (dpa, afp)

AUS DONEZK BERNHARD CLASEN

Rund tausend Befürworter einer vereinten Ukraine versammelten sich am Montag vor dem Olympiastadion der ostukrainischen Metropole Donezk. Zuvor waren einige von ihnen in Autokonvois durch die Stadt gefahren. Die Mobilisierung lief über Mundpropaganda und soziale Netzwerke.

Der Donezker Koordinierungsrat der proukrainischen Kräfte, das „Komitee der patriotischen Kräfte des Donbas“, hatte sich zuvor aus Furcht vor Provokationen und Gewalt der Gegenseite von der Veranstaltung distanziert. Weder wisse man über die Pläne der Veranstalter Bescheid noch über deren geplante Sicherheitsmaßnahmen, so der Koordinierungsrat.

Mit der Veranstaltung, die formal von niemandem organisiert worden war, sollte offenbar Präsenz gezeigt – und ein Gegengewicht zu der Demonstration der prorussischen Kräfte am vergangenen Sonntag geschaffen werden. Die Unterschiede zwischen beiden Versammlungen könnten größer kaum sein: Erstere fand vor einem Lenin-Denkmal statt und bestand vor allem aus älteren Bürgern, auf Letzterer waren Frauen und Jugendliche in der Überzahl.

Auch die Sicherheitskräfte waren kaum wiederzuerkennen. Hatte sie mit den prorussischen Demonstranten jovial zusammengearbeitet und ansonsten kaum Präsenz gezeigt, sahen sich die Demonstranten am Montag Hunderten Polizisten in schusssicheren Westen und Schäferhunden gegenüber. Fünfzehn Minuten nach Beginn der Veranstaltung setzten diese ihre Helme auf. Sanitätswagen und Gefangenenbusse warteten fünfzig Meter vor dem Veranstaltungsort. Ganz offensichtlich hatte sich aus Sicht der Ordnungskräfte hier eine ungeliebte gesellschaftliche Minderheit auf die Straße begeben.

Angesichts dessen versuchten die Anhänger Kiews, sich mit Sprechchören „Für eine freie Ukraine!“ Mut zu machen. Nicht alle Teilnehmer stammten aus Donezk. „Ich bin angereist, weil ich für den Zusammenhalt unseres Landes kämpfe“, erklärt die Ingenieurin Anna aus dem nahen Mariupol. „Wir brauchen die Polizei nicht!“, so ein junger Bergarbeiter vor laufender Kamera. „Wenn es drauf ankommt, werden die Polizisten uns nicht schützen. Ich will, dass Donezk weiter bei der Ukraine bleibt.“ Eine Passantin schrie ihn an: „Euren Tjagnibok sollte man aufhängen“ und machte dabei eine eindeutige Bewegung mit ihrer Hand um ihren Hals.

Nach 30 Minuten machten sich die Demonstranten auf den Weg durch die Stadt. Weit kamen sie nicht. Mehrere hundert, zum größten Teil vermummte Männer kamen ihnen entgegen – bewaffnet mit Baseballschlägern und Pistolen. Einige von ihnen hatten russische Fahnen über ihre Schulter geworfen. Sie griffen den Demonstrationszug sofort an. Mehrfach waren Blendgranaten zu hören und zu sehen. Proukrainische Demonstranten, die sich in Hinterhöfen verstecken konnten, wurden aufgespürt und zusammengeschlagen.

Um den Schutz der Teilnehmer der proukrainischen Kundgebung kümmerten sich die behelmten Polizisten nur halbherzig. Nach Angaben der Gesundheitsbehörde des Gebietes im Osten der Ukraine wurden bei den Auseinandersetzungen 14 Personen verletzt. Die vermummten Männer mit den russischen Fahnen zogen schließlich ins Stadtzentrum zurück – unter Rufen wie „Russland“ und „Der Faschismus kommt nicht durch“.

Die vermummten Männer zogen schließlich ins Stadtzentrum zurück – unter Rufen wie „Russland“ und „Der Faschismus kommt nicht durch“

Zuletzt hatten in Donezk am 17. April Menschen für eine geeinte Ukraine demonstriert. Bei der vorletzten Demonstration am 13. März waren 17 proukrainische Demonstranten verletzt worden. Einer erlag mittlerweile seinen schweren Verletzungen.

Zwischen vier und sieben Teilnehmer der proukrainischen Demonstration vom Montag werden derzeit von prorussischen Separatisten als Geiseln festgehalten.

Das berichtete die Organisation „Donezk gehört zur Ukraine“ Dienstag früh auf ihrer Facebook-Seite. Derzeit würden sie im früheren Büro der Partei der Regionen, der Expräsident Wiktor Janukowitsch bis vor Kurzem angehört hatte, im Zentrum der Stadt festgehalten. Nach Angaben aus Donezk werden sie dort geschlagen und gefoltert. Unter ihnen ist auch ein Fan der Donezker Fußballmannschaft „Schachtjor“. Fans des Vereins hatten versucht, die proukrainische Demonstration zu schützen.

Unterdessen haben Sprecher der prorussischen „Volksrepublik Donezk“ angekündigt, man werde sich die Wählerlisten des für den 11. Mai angekündigten Referendums über die politische Unabhängigkeit des Donbas mit Gewalt beschaffen, sollten sich die Behörden weiter weigern, diese herauszugeben. Mit mehreren Veranstaltungen zum 1. Mai will die Volksrepublik in mehreren Städten der Ostukraine für das Referendum mobilisieren.

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