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Gefährliche Exoten

BIO-INVASION Verwilderte Haustiere und Zierpflanzen verdrängen die einheimische Flora und Fauna. Ist das ein Grund, sie auszurotten?

Meist finden Invasionen unter Wasser statt: Lebewesen haften an der Außenhaut von Überseeschiffen

VON HELMUT HÖGE

Jetzt wird wieder vor dem Riesen-Bärenklau gewarnt, dessen Saft zu Fieber und Atemnot führen kann – und zwar schon dann, wenn man der Pflanze nur nahe kommt. Es ist eine invasive Art. Dieses Thema ist inzwischen derart global geworden, dass es ein neues Fach, die „Invasionsbiologie“, hervorgebracht hat. Auch in Berlin wird dazu geforscht. Die Zeitschrift Siegessäule fragte sich kürzlich: „Gehört den Expets die Berliner Nacht?“ Bei den Expets handelt es sich um verwilderte Haustiere – etwa Katzen, von denen es laut Auskunft des Tierschutzvereins 80.000 in Berlin geben soll. Im Rhein-Main-Gebiet sind es entflogene indische Halsbandsittiche, die sich dort derart vermehrt haben, dass sie die Düsseldorfer Flaniermeile „Kö“ vollscheißen. Nun will man sie vertreiben.

Neu ist das nicht. Die Globalisierung der Haustiere begann schon mit den (bäuerlichen) Auswanderern nach Amerika, Südafrika, Neuseeland und Australien: Sie brachten Pferde, Kühe, Ziegen, Schafe, Hunde und Bienen, aber auch die europäischen Bäume, Sträucher und Zierpflanzen in die neue Heimat, wo diese nicht selten die dortige Flora und Fauna verdrängten. Und oftmals nicht weniger brutal, als ihre weißen Besitzer mit den Ureinwohnern umgingen. Wobei diese zuvor bereits selbst einige Tier- und Pflanzenarten ausgerottet hatten.

In Europa geschah Ähnliches: Immer wieder wildern sich hier eingeführte Zierpflanzen und -bäume aus, was bisweilen Jahrzehnte dauern kann, bis sie sich akklimatisiert haben und alteingesessene Arten verdrängen. Bei der falschen Akazie (der nordamerikanischen Robinie) war das der Fall, aber auch beim japanischen Götterbaum, der sich hier 122 Jahre lang nicht vermehrte, sich aber im Frühjahr 1945, als alles in Trümmer lag, plötzlich heimisch fühlte.

Schreckliches Heulen

Besonders schlimm war es mit der amerikanischen Wasserpest, obwohl es hier nur weibliche Pflanzen gab, die männlichen waren in Amerika geblieben. Aber aus jedem abgebrochenen Stengel wuchs eine neue Wasserpest. Der Heidedichter Hermann Löns schrieb dazu 1910 im Hannoverschen Tageblatt: „Es erhub sich überall ein schreckliches Heulen und Zähneklappern, denn der Tag schien nicht mehr fern, da alle Binnengewässer Europas bis zum Rande mit dem Kraute gefüllt waren, so daß kein Schiff mehr fahren, kein Mensch mehr baden, keine Ente mehr gründeln und kein Fisch mehr schwimmen konnte.“ Das Heulen hielt noch bis in die sechziger Jahre an, aber dann ging die Plage zurück – vielleicht „ganz ohne Grund,“ wie der Berliner Biologie Bernhard Kegel in seinem Buch über die „biologischen Invasionen: Die Ameise als Tramp“ (2013) vermutet.

Jeder kennt das Beispiel der Kaninchen, die man in Australien aussetzte. Mit allen Mitteln hat man dort seit 100 Jahren versucht, die Kaninchenplage einzudämmen, zuletzt mit dem Virus einer für Kaninchen tödlichen Krankheit. Aus dem Dokumentarfilm „Darwins Alptraum“ weiß man von der Verheerung, die ein Dutzend Nilbarsche anrichteten, nachdem sie im Viktoriasee ausgesetzt wurden: Sie vernichteten so gut wie alles Leben in diesem größten afrikanischen See – und damit auch ein Großteil der Lebensgrundlage der Menschen, die bis dahin vom See gelebt hatten. Auf den Galapagos-Inseln bedrohen die verwilderten Ziegen die Flora – und damit auch die Fauna.

Auf Neuseeland sind es vor allem eingeschleppte Wespen, Ratten, Wiesel und der Kletterbeutler Fuchskusus, die die großteils flugunfähigen Vögel der Inselgruppe an den Rand des Aussterbens gebracht haben. Auch die verwilderten Pferde sind den neuseeländischen Naturschützern ein Dorn im Auge. Bernhard Kegel hat sich von ihnen für seine Studie, in der er vor allem die Situation in Deutschland und Neuseeland vergleicht, beeindrucken lassen, deswegen stimmt er deren „hässlicher Notwendigkeit“ zu: „Ausrottung von Exoten“. Weil das aber fatal nach „Ausländer raus!“ klingt, spricht man dabei vornehm von „Neozoen“ beziehungsweise „Neophyten“. Aber wie lange ist eine Pflanzen- oder Tierart ein Neuphyt und ab wann ein Altphyt. Das fragte sich auch der Münchner Ökologe Josef Reichholf, wobei er zu demselben Schluss wie sein Landsmann Karl Valentin kam: „Praktisch jede Art war irgendwo einmal fremd.“ Den auch von vielen Schweizer Naturschützern befürworteten Kampf gegen eingewanderte „Exoten“ hält Reichholf für einen Ausdruck von „konservativ-anthroponationalistischem Denken“.

Derzeit richtet sich der Bürgerzorn gegen den giftigen Riesen-Bärenklau aus dem Kaukasus und das von Allergikern gefürchtete Traubenkraut Ambrosia – beide gelangten bereits im 19. Jahrhundert als Zierpflanzen zu uns. Nun sind sie plötzlich eine Bedrohung: Es wurden Notruftelefone eingerichtet, damit man neue Vorkommen dieser Pflanzen meldet, den Imkern ist der Bärenklau jedoch als Bienenblume willkommen. Sie fürchten dafür die asiatische Riesenhornisse, die sich via Spanien bis nach Belgien ausgebreitet hat.

Die meisten Invasionen finden aber vor allem unter Wasser statt: Immer wieder werden irgendwelche exotischen Fische, Krebse und Muscheln bis hin zu Schnapppschildkröten in den hiesigen Gewässern ausgesetzt oder sie kommen an der Außenhaut von Überseeschiffen haftend hierher. Zudem erlauben es die mit Kanälen verbundenen europäischen Wasserstraßen sogar Organismen aus dem Schwarzen Meer, sich ohne fremde Hilfe bis nach Norddeutschland auszubreiten. Bernhard Kegel erwähnt daneben das Ballastwasser, das die Handelsschiffe aufnehmen, über den halben Erdball transportieren und dann irgendwo wieder ablassen: „Durchschnittliche Containerschiffe führen teilweise über 10.000 Tonnen Wasser mit sich“ – und darin schwimmen Millionen planktonische Larven.

Mensch gegen Molch

Eine Untersuchung der Ballastwasserproben von 159 japanischen Handelsschiffen ergab, dass sie 367 verschiedene Tier- und Pflanzenarten enthielten. Ausgehend von 35.000 Schiffen, die auf den Weltmeeren unterwegs sind, bedeutet dies, das „mehrere tausend Arten täglich an einer Schiffsreise“ teilnehmen – und sich dann anderswo ausbreiten.

Als einer der ersten, der die Globalisierung einer Tierart und ihre Folgen thematisierte, darf der tschechische Nationaldichter Karel Capek gelten. In seinem Roman „Der Krieg mit den Molchen“ geht es um die ostasiatischen Riesensalamander, denen ein Kapitän in ihrem letzten Rückzugsgebiet bei Sumatra hilft, sich gegen die Haie zu schützen, wofür diese „Molche“, die von Muscheln leben, sich mit Perlen bedanken.

Nach und nach werden sie überall angesiedelt, wobei man sich ihrer auch beim Kanal- und Deichbau bedient. Schließlich sind sie so wehrhaft gemacht worden, dass die Staaten sie als Küstenschutztruppe in Dienst nehmen – und als Hilfstruppen aufeinanderhetzen. Sie wenden sich jedoch vereint gegen die Menschen, nicht zuletzt, indem sie immer größere Stücke vom Binnenland in unterspülte Uferzonen verwandeln, weil sie wegen ihrer außerordentlichen Fruchtbarkeit (jedes Salamanderweibchen legt Hunderte von Eiern jährlich) ständig den Lebensraum erweitern müssen. Man weiß nicht, ob man sich als Leser dieser Kriegsschilderung auf die Seite der Menschen oder der Molche schlagen soll.

So geht es uns auch in Wirklichkeit bei den invasiven Tierarten: Weil die aus Amerika eingeschleppten Grauhörnchen die europäischen Eichhörnchen verdrängen, planten italienische Bioinvasionsexperten, die Ausländer auszurotten, etliche Tierschützer waren dagegen. Sie klagten vor Gericht – und bekamen recht.

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