„Hut ab vor dieser Frau“

Ein Prozess wegen Menschenhandels vor dem Amtsgericht musste gestern bis auf Weiteres unterbrochen werden

Nur für ein paar Nächte war eine junge Litauerin angereist, um als Zeugin im Prozess gegen Yusuf H. und Inga V. auszusagen. Diese sollen laut Anklageschrift die Frau „gegen ihren Willen der Prostitution zugeführt“ haben. Ein dritter Beteiligter, der bisher offenbar noch nicht dingfest gemachte Litauer R., hatte danach das Opfer im April vergangenen Jahres nach Bremen gelockt mit dem Versprechen, ihr eine Stelle als Putzfrau zu besorgen und sie dann anderthalb Monate mit Gewalt zur Prostitution gezwungen. Der Angeklagte H. soll im Wissen, was dort vor sich geht, eine Wohnung an das Opfer und eine weitere Frau vermietet haben, seine aus Litauen stammende Lebensgefährtin V. zusätzlich täglich 50 Euro „Tagesmiete“ kassiert haben. Außerdem soll diese Anzeigen geschaltet und die Preise diktiert haben. Weil sich die Anfang-20-Jährige zunächst weigerte sich zu prostituieren, soll ihre Landsmännin V. damit gedroht haben, R. zu benachrichtigen, der ihr Arme und Beine breche. Falls sie zur Polizei gehe, würde sie dafür sorgen, dass sie ihre Eltern nicht wiedersehe.

Die Angeklagte äußerte sich gestern im Amtsgericht nicht zu den Vorwürfen, ihr Partner sagte, er wisse erstens von nichts und zweitens würde das alles nicht stimmen. „Mit so einer Frau“ – so wie die Anklage seine Partnerin beschreibt, mit der er ein acht Monate altes Kind hat – „würde ich kein Kind machen“.

Unbedingt aussagen wollte demgegenüber die Geschädigte, die im Prozess als Nebenklägerin auftritt. Nur eins erbat sie sich: Dass ihr das Zusammentreffen mit dem Paar erspart bliebe. Frau M. leide seit den Vorfällen an epileptischen Anfällen, teilte ihre Anwältin mit, sie befürchte, dass diese durch die Konfrontation ausgelöst werden könnten. Vorsorglich hatte das Gericht einen Arzt bestellt, der allerdings nur bestätigen konnte, dass die Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen war. Ob die Frau tatsächlich an Epilepsie leide, könne nur eine Untersuchung durch einen Neurologen klären. Die andere Möglichkeit, dass die Angeklagten auf ihr Recht verzichten, bei der Zeugenaussage anwesend zu sein, lehnten die Verteidiger ab. Die Verhandlung wurde deshalb bis auf Weiteres unterbrochen, die Frau willigte ein, sich einer Untersuchung zu unterziehen.

Petra Wulf-Lengner von der Inneren Mission, die Opfer von Menschenhandel betreut und berät, bestätigte gestern den Willen der Frau, gegen ihre Peiniger auszusagen. Es sei äußerst selten, dass Frauen, die nach einem solchen Erlebnis wieder in ihr Heimatland zurückgereist seien, für eine Aussage zurückkämen, so Wulf-Lengner. Zu groß sei die Angst vor den Tätern und der Konfrontation mit dem Erlebten. Viele Prozesse würden deswegen platzen. Und: „Hut ab vor dieser Frau.“ Eiken Bruhn