: „Kurvenreicher Lebensweg“
INTERVIEW Merle Kröger und Philip Scheffner widmen sich seit Ende der 1980er Jahre der politischen Film-, Video- und Fernseharbeit. Zum Abschluss der Filmreihe „Der Standpunkt der Aufnahme“ blicken sie heute im Arsenal auf ihre vielfältigen Projekte zurück
■ Kröger, geb. 1967, ist Filmemacherin, Autorin und Kuratorin. Seit 1987 macht sie Dokumentarfilme und Videokunst, 2001 gründet sie zusammen mit Philip Scheffner „pong“, eine Mischung aus Verlag, Filmproduktionsfirma und Plattenlabel. 2003 hat sie ihren ersten Krimi „Cut!“ veröffentlicht.
■ Scheffner, geb. 1966, arbeitet seit 1985 als Videokünstler und Filmemacher. Wie Kröger war er Gründungsmitglied der Künstler- und Aktivistengruppe Botschaft e. V. und von dogfilm. Zu seinen Arbeiten als Regisseur zählen „The Halfmoon Files“ (2007) und „Der Tag des Spatzen“ (2010).
INTERVIEW BERT REBHANDL
taz: Frau Kröger, Herr Scheffner, man kennt Sie als Krimiautorin („Cut!“) und als Dokumentarfilmer („Der Tag des Spatzen“), aber es gibt auch zahlreiche gemeinsame Projekte. Wo kommt das alles her?
Merle Kröger: Wir gehören zu den Leuten, die in den 1980ern nach West-Berlin gekommen sind. Wir waren hochpolitisiert und wollten Filme machen. Bald nach der Wende fanden wir einen Ort in der Leipziger Straße, von dem dann viel ausging.
Philip Scheffner: Interessant in diesem Zusammenhang ist vielleicht noch: Die Räumung der Mainzer Straße, über die jetzt wieder viel geschrieben wurde, war für uns anders als in den meisten Darstellungen kein Ende, sondern ein Anfang. Genau an dem Abend hatten wir unsere erste Veranstaltung als Verein, in einer besetzten Etage, wir haben einen Club gegründet.
Kröger: Es war dann so, dass innerhalb dieser Konstellation zwei Freunde gesagt haben: Wir würden aber eigentlich auch gern wieder Filme machen. Und da gab es ab 1991 die Gruppe dogfilm als ein Labor, in dem man an etwas länger arbeiten konnte. Für uns war Politik nicht nur Inhalt, sondern auch Form, und so haben wir angefangen, rumzuexperimentieren.
Scheffner: Fünf Freunde wollten zusammen Filme machen, und nicht: fünf Freunde wollen zusammen Politik machen. Film ist in vielen Bereichen ein total schlechtes Medium, eigentlich zu schwerfällig, um in eine politische Debatte einzugreifen, verglichen mit einem Text, einer Demonstration. Beim Film entsteht die Politik woanders, er ist kein Ersatz für etwas, sondern eine ganze eigene Art des politischen Denkens.
Diese Anfänge verschwinden heute ein wenig hinter einem Werk, das im klassischeren Sinne sichtbar geworden ist: einzelne Bücher, einzelne Filme, die individuell signiert werden.
Kröger: Damit kann man ja auch spielen. Wir haben Philip immer wieder geärgert, als wir „Der Tag des Spatzen“ machten, bei dem ich mitgeschrieben und produziert habe, indem wir gesagt haben: Wir machen jetzt „den neuen Scheffner“. Früher haben wir uns gegen diese Namenspolitik verwahrt und deswegen als Kollektiv gearbeitet.
Scheffner: Das mit dem Werk, das sieht man ja selber nicht so. Es fühlt sich total komisch an, wenn jemand zu mir sagt: „Der Tag des Spatzen“ sei mein zweiter Film. Moment mal, wir machen seit 20 Jahren Film. Das ist halt der fünfzehnte Film.
Aus der dogfilm-Zeit zeigen Sie heute abend „Soap Around the World“.
Kröger: Der war damals das Rückgrat des Themenabends „Das Leben einer Seifenoper“. Wir haben für Arte gearbeitet, da gab es eine Redaktion, die war sehr stark aus dem Kleinen Fernsehspiel des ZDF heraus geprägt, ein Ort, an dem Form und Inhalt zusammen gedacht werden durften. Viele Leute haben uns befragt, was denn das Politische an Seifenopern ist.
Scheffner: Es gibt verschiedene Aspekte dieser Grundfrage nach dem Standpunkt der Aufnahme. Bei „Soap“ war ein wichtiger Punkt, dass der Standpunkt sich selber mit thematisiert. Wir betreiben nicht Cultural Studies von außen, sondern wir machen das als Seriengucker. Es war, wie alles bei dogfilm, eine absolute Kollektivarbeit, von der Buchhaltung zum Schnitt: zwei Leute schneiden tagsüber, zwei Leute kommen am Abend und schmeißen vielleicht das wieder raus, was am Tag gemacht wurde.
Kröger: Es war auch eine Suche nach einem subversiven Element in so etwas Mainstreamigem wie Soaps. Ich hoffe, es ist trotzdem ein lustiger Film geworden.
Ihre Arbeit ist in den Jahren zunehmend internationaler geworden. Bombay spielt eine besonders wichtige Rolle. Wie kam das?
Kröger: Wir sind in der dogfilm-Zeit einmal dahin gefahren, damals entstand ein Kontakt, der sowohl freundschaftlich wie professionell war. 1998 haben wir im Künstlerhaus Bethanien eine Konferenz gemacht: „Hungry Minds Think Alike?“ Das Wort Globalisierung gab es damals noch nicht, aber wir haben begonnen, ein Archiv aufzubauen, und überlegt: Wie kann man sich lokal und global vernetzen? Das hat sich immer weiter verstärkt, so weit, dass ich im letzten Jahr zwei Kurzfilmdrehbücher für einen indischen Regisseur geschrieben habe.
Scheffner: Viele Fragen, die in unseren Filmen eine Rolle spielen, konnten wir dort über viele Jahre immer wieder diskutieren: Wer sieht wen im kolonialistischen Blick?
Kröger: Heute hat das eine Normalität, dass man sich kaum mehr vorstellen kann, dass es damals, als das alles anfing, keine E-Mails gab, keine Drehbuchbesprechungen per Skype!
„Sich politisch zu artikulieren, heißt einen Ort einzunehmen, den potentiell jeder einnehmen könnte.“ Von dieser „Leitvermutung“ ging die Filmreihe „Der Standpunkt der Aufnahme“ aus, die heute Abend mit Merle Kröger und Philip Scheffner im Arsenal-Kino ihren Abschluss findet. Der Kurator Tobias Hering hat in den letzten Wochen den Versuch unternommen, einen Überblick über das vielfältige Feld zu gewinnen, das sich heute zwischen Videoaktivismus und politischem Dokumentarismus erstreckt. Die eingeladenen Filmemacher hatten jeweils Gelegenheit, mit einer Carte Blanche ihre Position spezifischer zu machen.
So eröffnete zum Beispiel die US-Amerikanerin Joanne Richardson die Reihe mit sehr interessanten Beobachtungen aus Moldawien, wo kaum einmal ein Filmteam hinkommt, in diesem Fall aber eben ein politisches Subjekt, das eine widersprüchliche postkommunistische Landschaft vorfindet. Richardson stellte ihre Arbeit in den Kontext von „Ici et ailleurs“ von Jean-Luc Godard und Anne Marie Miéville, den kontroversen Palästinafilm, der ständig die eigenen Einsprüche gegen die Festlegung des Beobachteten mitbearbeitet.
In ähnlicher Weise sind die Filme, die Elke Marhöfer in Burkina Faso und China gedreht hat, zugleich Fragen an das eigene Format: In „permeable super real“ zerfließen die Zusammenhänge zwischen bäuerlichen Bevölkerung und Naturlandschaft im chinesischen Yunnan.
Für das politische Kino hat „Der Standpunkt der Aufnahme“ die Maßstäbe gerade auch deswegen neu gesetzt, weil viele der gezeigten Arbeiten marginal sind und unbedingt größere Öffentlichkeit verdienen. BERT REBHANDL
Wie verlief der Übergang von der Kollektivarbeit zu konventionelleren Filmformaten, der zumindest bei Philip Scheffner erkennbar ist?
Kröger: Wir machten Fernsehen in einer Zeit, in der das Öffentlich-Rechtliche ja auch noch den Auftrag hatte, Leute wie uns zu fördern. Fernsehen erschien uns dann immer enger, wir hatten aber keinen Zugriff auf die Welt der Filmförderung. Von 2000 bis 2005 haben wir ganz viel rumexperimentiert, für das Projekt Import Export haben wir einen EU-Topf erschlossen für „Cross-Cultural Economics“.
Scheffner: Wir haben auch einfach gejobbt, wir haben gecuttet für RTL und so Sachen, das war sehr gut bezahlt, und so hatten wir ein bisschen Kohle für unsere eigenen Filme.
Kröger: „The Halfmoon Files“ hatte total wenig Geld; als der zur Berlinale eingeladen wurde, mussten wir erst mal Geld leihen, weil wir viele Rechte noch gar nicht geklärt hatten. Wir haben uns spät für Filmförderung „qualifiziert“, weil: zu kurvenreicher Lebensweg.
Scheffner: Unsere Filme sind umkreisend und sehr vielschichtig angelegt, sie sind auch heute noch nicht gerade leicht zu finanzieren.
Und wie passen Ihre Krimis in die gemeinsame Arbeit, Frau Kröger?
Kröger: Die Bücher sind ja auch Filme, sie sind sehr filmisch geschrieben, teilweise sind sie Bücher, weil sie keine Filme geworden sind. Das Schreiben ist für mich ganz wichtig geworden: Drehbücher und richtige Bücher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen