: Im Schatten des nördlichen Riesen
Russland nimmt verstärkt Einfluss auf Südossetien, weil es die Präsenz der USA im benachbarten Georgien zurückdrängen will. Am Sonntag stimmen die 60.000 Bewohner der abtrünnigen Kaukasusrepublik über ihre Unabhängigkeit ab
AUS ZCHINWALI KLAUS-HELGE DONATH
In einem rostbraunen Lada unter dem bröckelnden Dach einer ehemaligen Tankstelle haben georgische Soldaten Posten bezogen. Ein bewusstes Provisorium, denn die Demarkationslinie zur Republik Südossetien ist für Georgien ein Pfahl im eigenen Fleische. 300 Meter weiter residieren die abtrünnigen Südosseten. Seit 16 Jahren kämpft das kleine kaukasische Volk für seine Unabhängigkeit. Ein verbeulter Container, ein Schlagbaum, dessen Bruchstellen mit Draht mehrfach geflickt wurden, und Betonklötze markieren den Übergang in die Republik, die am Sonntag ein Unabhängigkeitsreferendum abhält.
Viel Aufhebens macht der Staat in spe äußerlich noch nicht von sich. Das Geografielehrbuch für die Mittelschule ist da schon unbescheidener: Unter den 31 weltweit anerkannten Zwergstaaten sei die Republik Südossetien ein wahrer Riese: Mit 3.900 Quadratkilometern größer als Luxemburg und Französisch-Polynesien.
Es ist das zweite Referendum seit den blutigen Auseinandersetzungen mit Georgien 1991. Damals hoben georgische Nationalisten, selbst gerade aus der UdSSR entlassen, die Autonomie Südossetiens auf und schickten ein bunt zusammengewürfeltes Heer von Landsknechten in die Republik. Bei der monatelangen Belagerung der südossetischen Hauptstadt Zchinwali starben tausende, abertausende Georgier, und Osseten waren gezwungen, aus ihrer Heimat zu fliehen.
Eine gemeinsame Friedenstruppe, der Südosseten, Russen und Georgier angehören, sowie eine Mission der OSZE sorgten seit den 90er-Jahren für die Einhaltung eines labilen Waffenstillstands. Die Osseten berufen sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker, die Georgier auf die Unantastbarkeit der territorialen Integrität im internationalen Recht. Im August 2004 wurde erstmals wieder scharf geschossen, 17 Georgier und 5 Osseten starben. Georgische Polizeieinheiten hatten einen Transport russischer Friedenstruppen mit verbotenen Waffen angehalten und drei strategische Höhen besetzt. Die Osseten werfen dem georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili vor, den Konflikt durch nationalistische Rhetorik wieder anzuheizen und dabei auf die stillschweigende Duldung des Westens zu setzen. Sie haben nicht Unrecht.
Aber auch Georgiens Bedenken sind nicht unbegründet. Hinter dem Grenzposten, kurz vor der Abfahrt ins Zentrum Zchinwalis, heißt ein riesiges Plakat „Wladimir Putin – unser Präsident“ den Besucher in Russland willkommen. Es ist einer der seltenen Farbtupfer in diesem Ort, der sich seit dem Krieg 91 kaum verändert hat. Niemand investierte in den Flecken, zu ungewiss war dessen Schicksal. Mit der Dämmerung abends verfliegt auch der letzte Hauch von Leben. Für die Straßenbeleuchtung reicht der Strom nicht. Auch die Wasserversorgung ist auf sechs Stunden täglich limitiert. Trostlosigkeit weit und breit, wo eigentlich kaukasische Lebensfreude herrschen müsste. Auf öffentlichen Gebäuden prangt neben der rot-gelben Flagge der Republik die Trikolore Russlands. Der Rubel ist Verkehrswährung, 90 Prozent des Lokalbudgets werden von Moskau bestritten. Südossetiens Präsident Eduard Koikoty, Gebieter über ein Volk von kaum mehr als 60.000 Menschen, macht aus der Verbundenheit zum nördlichen Nachbarn im Gespräch kein Hehl. Ist Südossetien nicht längst ein Protektorat ? 95 Prozent der Einwohner besitzen einen russischen Pass. Jedem Bürger stünde es frei, die Staatsbürgerschaft selbst zu wählen, meint Koikoty. Dass Premierminister, Geheimdienstchef und Innenminister vor ihrer Ernennung Posten in russischen Sicherheitsstrukturen bekleideten, hält er denn auch nicht für ein Zeichen mangelnder Souveränität. Distanz zum und Ablehnung des Westens überspielt Koikoty nicht. Moskau hat die Tonart vorgegeben.
Plötzlich findet sich die gottverlassene Republik an einer geopolitischen Nahtstelle wieder. Als möglicher Vorposten Russlands, das sich mit der Präsenz der USA im Kaukasus und in Georgien nicht abfinden kann. Die Tonlage Moskaus wird schärfer. Kremlchef Wladimir Putin deutete im Oktober an, die ausstehende Entscheidung über den Status des Kosovo als Präzedenzfall zu werten. Russland ist gegen dessen Souveränität. Setzt sich der Westen jedoch durch, hätte auch Südossetien eine Chance auf Eigenständigkeit – allerdings unter russischen Fittichen. Dem Frieden im Kaukasus wird dies nicht dienen.
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