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Wirtschaft wird befördert

Gewerkschaften und die SPD fürchten, die Wirtschaft könnte in Zukunft über die Empfänger von Fördermillionen aus der EU bestimmen. Das Land stellt diese Woche das neue Vergabeverfahren vor

VON MORITZ SCHRÖDER

Möchte eine Stadt in NRW in Zukunft Fördergelder der EU beantragen, sollte sie einen guten Draht zur Wirtschaft haben. Der Gewerkschaftsbund DGB und die SPD in NRW beklagen, die Arbeitgeberseite werde in Zukunft bei den Anträgen an das Landeswirtschaftsministerium den Ton angeben. Zurzeit plant das Ministerium unter Leitung von Christa Thoben (CDU), wie die so genannten Ziel-2-Strukturfördermittel ab nächstem Jahr im Land verteilt werden. Laut Guntram Schneider vom DGB-Bezirk Nordrhein-Westfalen werden in der nächsten Förderperiode von 2007 bis 2013 die Industrie- und Handelskammern (IHKs) bevorzugte Ansprechpartnerinnen für das Land. „Dann werden öffentliche Mittel nach Gutsherrenart verteilt“, sagt Schneider. Im Grunde seien die Kammern ab 2007 „Dreh- und Angelpunkt“ bei der Auswahl von Projekten, so der Gewerkschaftschef.

Bisher wird in den Regionen des Landes im Konsensprinzip entschieden, welche Projekte, etwa für Forschung, städtische Infrastruktur oder Stärkung des Mittelstands, einen Antrag auf Förderung aus dem bisher zwei Milliarden Euro schweren Topf stellen können. Dort sitzen unter anderem VertreterInnen der Städte und Kreise, Gewerkschaften und eben der Wirtschaft zusammen am Tisch. So floss bisher Geld etwa in die Zeche Zollverein in Essen, die Bochumer Jahrhunderthalle oder in einen Yachthafen in Oberhausen. Die Zusammenarbeit der großen Interessenvertreter ist ab nächstem Jahr allerdings nicht mehr verpflichtend. In diese Lücke würden die Wirtschaftskammern stoßen, so Schneider. „Das Wirtschaftsministerium geht davon aus, dass die am meisten Sachverstand haben.“

Auch Marc-Jan Eumann, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion, teilt die Befürchtung: „Geht es nach Frau Thoben, können in Zukunft die IHKs stärker als bisher mitentscheiden.“ Es sei kein Geheimnis, dass sich die Ministerin für eine stärkere Orientierung an Wirtschaftsinteressen einsetze. „Dabei haben auch die Gewerkschaften Fachwissen“, so Eumann.

Der Geschäftsführer der Projekt Ruhr GmbH, Hanns-Ludwig Brauser, sieht ebenfalls einen stärkeren Einfluss der Kammern voraus. Er hat damit allerdings kein Problem. Bei wirtschaftsnahen Projekten sei es „unverzichtbar“, die Unternehmen stärker einzubeziehen. In der Projekt Ruhr GmbH handelten bislang die Städte und Kreise des Ruhrgebiets mit dem Land aus, welche Projekte der Region öffentliches Geld erhalten. Die Gesellschaft wird zurzeit abgewickelt.

Das Landeswirtschaftsministerium nimmt sich der Kritik nicht an. Auch in Zukunft würden Städte und Stadtverbände nur „im Einzelfall mit den IHKs“ Gelder beantragen, so Thobens Sprecher Joachim Neuser. Allerdings steht die Entscheidung über die genaue Förderstruktur noch aus. In dieser Woche will das Ministerium seine Pläne mit den Fraktionen diskutieren.

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