piwik no script img

Reiki im Rundling

KULTURELLE LANDPARTIE Bei dem zwölftägigen Festival im Wendland gibt es Esoterisches, Handfestes und viele kulinarische Spezialitäten aus der Region. Auch der Anti-AKW-Widerstand, auf den der Veranstaltungszyklus zurückgeht, ist wieder vertreten

Politik auf der Landpartie

Veranstaltungen zum Thema Gorleben und Atomkraft gibt es in

■ Gorleben: BI ist vor Ort mit Vorträgen und Erkundungstouren. An den Sonntagen findet um 13 Uhr ein Spaziergang rund ums Erkundungsbergwerk statt. Im Anschluss: Gorlebener Gebet an den Gorlebener Kreuzen.

■ Meuchefitz: Fotoausstellung „Was wäre wenn ...“: Bilder aus Brokdorf und Tschernobyl.

■ Lüchow: Am 3. und 4. Juni, 11 bis 16 Uhr sind die Räume des Gorleben Archivs geöffnet.

■ Breese/Marsch: Fotos vom Castor-Transport und ein Atompolitischer Frühschoppen.

■ Güstritz: Schnupperworkshops Gewaltfreies Handeln.

■ Hitzacker: Floßfahrten nach Gorleben.

■ Kussebode: Castor-Fotos.

VON REIMAR PAUL

Möchten Sie gerne mal Harfe spielen lernen? Bei der Kulturellen Landpartie im Wendland ist das kein Problem. Nach 55 Minuten, verspricht Kursleiter Thomas Breckheimer aus der Zeetzer Mühle, „spielen alle Harfe“. Alle – also auch diejenigen, die vorher noch nie in ihrem Leben ein solches Instrument in der Hand hatten.

Die täglichen Harfenkurse – Kosten: zehn Euro oder wahlweise ein Sack trockenes Brennholz – gehören zum Standard-Angebot der Landpartie, die vom 29. Mai bis zum 9. Juni zum 25. Mal stattfindet. Mit einer Rekord-Beteiligung: Vom Himmelfahrtstag bis zum Pfingstmontag gibt es in 82 Orten mehr als 500 Ausstellungen sowie über 600 Konzerte, Aufführungen und Lesungen. Fast 1.000 Künstler und Kunsthandwerker wirken dabei mit. Die Kulturelle Landpartie ist der bei Weitem größte Veranstaltungszyklus dieser Art in Deutschland.

Insbesondere für gestresste Großstadtbewohner hält die Landpartie zahlreiche Angebote zur körperlichen wie seelischen Entspannung bereit. Therapeuten und Musiker offerieren in Gärten und Scheunen Reiki und Massagen, indianischen Gesang oder einfach „kreative und meditative Augenblicke am Waldesrand“.

In Bausen wird ein Workshop für schamanische Clownsarbeit angeboten – „eine einzigartige Chance, die Transformationskraft indianisch-schamanischer Clowntraditionen am eigenen Körper, Geist und Seele zu erleben“. Das „Ensemble EN – Embracing Emptiness“ bietet in der Alten Schule in Zadrau Tanz und Improvisationen an, „die in Verbindung mit Natur und Raum entstehen, auf Wiesen zwischen Bienen und Bäumen und im Haus“.

Es gibt Kurse für nahezu alles und jeden. Das Bogenschießen und -bauen kann ebenso erlernt werden wie Zaubertricks. Interessierte können an Wildkräuterwanderungen teilnehmen oder an Workshops für Goldschmiedekunst und Glasblasen. Und doch lässt sich die Kulturelle Landpartie im Kreis Lüchow-Dannenberg nicht aufs Esoterische und Biodynamische reduzieren. Es gibt nämlich auch viel Handfestes zu bestaunen.

Nahezu alle KünstlerInnen und Kulturschaffende, die sich in den vergangenen Jahren im Wendland niedergelassen haben, öffnen während der Landpartie ihre Werkstätten und Ateliers. Das Publikum kann Malern und Bildhauern in ehemaligen Ställen bei der Arbeit zusehen sowie Theater und Musik auf Höfen und Dorfplätzen erleben.

Bereits am Vorabend der Landpartie gibt es in Plaatenlaase das Theaterstück „Gutes Wendland – schlechtes Wendland“ zu sehen. „Das Wendland auf Entzug: Ohne Castor sind wir nichts. Also schnell wieder her damit“, heißt es in der Ankündigung. Und einen Tag später fiedelt der unverwüstliche Demo-Musikant „Klaus der Geiger“ in der Alten Sargtischlerei in Hitzacker.

An den meisten der „Wunde.r.punkte“ genannten Ausstellungs- und Veranstaltungsorte werden die Besucher mit selbst gebackenen Kuchen und Spezialitäten aus der Region versorgt. Es gibt fangfrischen Fisch aus Gorleben und Bratwurst vom Wildschwein aus den weitläufigen Wendland-Wäldern. Und in Kussebode gibt es jeden Tag eine Führung durch die kleine vom Greenpeace-Mann Mathias Edler betriebene Brauerei, die mit großem Verkaufserfolg das heimische „Wendland-Bräu“ herstellt.

Ein beliebter Anlaufpunkt ist das Herrenhaus Salderatzen in dem gleichnamigen kleinen Rundlingsdorf. Auf der Freilichtbühne im Hof treten während der Landpartie Chöre auf. Scheunen fungieren als Galerien, Ställe werden zu Ateliers, das „Heuhotel“ ist stets komplett ausgebucht. Auf einer Wiese hinterm Haus findet sich aber meistens noch ein Platz zum Zelten.

Bis zu 50.000 Besucher erwarten die Veranstalter bis Pfingsten. Obwohl in den meisten Orten provisorische Parkplätze ausgewiesen sind, kommt es auf den schmalen Dorfstraßen bisweilen zum Chaos – dann müssen Clowns mit bunten Staubwedeln zur Verkehrslenkung einschreiten.

Schon deshalb empfiehlt es sich dringend, die „Wunde.r.punkte“ mit dem Rad abzufahren – zum Beispiel auf den empfohlenen Strecken im 336 Seiten umfassenden Programm der Landpartie. Das „Reisebegleiter“ genannte Heft listet auch die Fahrradverleihe und Reparaturwerkstätten in der Region auf. An drei Terminen gibt es zudem geführte E-Bike-Touren durch die Bioenergie-Region Lüchow-Dannenberg.

Die Kulturelle Landpartie geht auf die Proteste der Bevölkerung des Landkreises Lüchow-Dannenberg gegen Atomanlagen zurück. Nach den ersten großen Demonstrationen in Gorleben zogen in den 70er- und 80er-Jahren zahlreiche Kulturschaffende aus Großstädten ins Wendland.

Auch die diesjährige Landpartie thematisiert den Anti-Atom-Protest. Die Bürgerinitiative (BI) Lüchow-Dannenberg hat feste Anlaufpunkte in Meuchefitz, Mützingen, Gorleben und Gedelitz. Dort wird auch eine „Fahnenausstellung“ unter dem Motto „Gorleben geht gar nicht“ zu sehen sein“. An den Atomanlagen in Gorleben selbst gibt es auch Filme und Diskussionsveranstaltungen. Und in mobilen „Stromwechselstuben“ wollen die Anbieter von Öko-Energie für sich werben.

Kulturelle Landpartie: 29. Mai bis 9. Juni, Wendland; Programm unter www.kulturelle-landpartie.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen