: Politik nach Bauchgefühl
BILDUNG Neu-Schulsenator Wersich findet benotete Diktate gut, will das aber nur als Meinungsäußerung verstanden wissen. Schulversuche stehen vor dem Aus
Er wolle die Schulbehörde „auf Kurs bringen“ und dabei auch „ideologischen“ Ballast abwerfen, erklärte CDU-Schulsenator Dietrich Wersich zu Wochenbeginn dem Abendblatt. So sei er dafür, dass auch in Zukunft an Grundschulen benotete Diktate geschrieben werden. Zur Begründung zog er ein privates Beispiel heran. Er selbst habe in der 7. Klasse Groß- und Kleinschreibung nicht beherrscht.
Das klingt nach Bauchgefühl-Politik. Als Experte hat sich der frisch gebackene Senator damit nicht profiliert. Denn die Fachwelt lehnt benotete Klassendiktate ab. Sie gelten als „lernpsychologisch ungünstig“ und nicht geeignet, die Rechtschreibleistung zu messen, wie die Didaktik-Professorin Petra Hüttis-Graff Anfang Oktober in einem taz-Interview erklärte. „Es gibt alternative, bessere Formen der Leistungsüberprüfung“, heißt es auch in einer Stellungnahme des Instituts für Lehrerbildung (LI), die am Mittwoch im Beisein des Senators in der Schuldeputation thematisiert wurde.
Wersich rudert nun etwas zurück. Es habe sich nur um eine „Meinungsäußerung“ gehandelt, sagt sein Sprecher Rico Schmidt. Beschlossen sei da nichts. Allerdings hat die CDU zur Zeit auch gar nicht genug Stimmen in der Schuldeputation, um Diktate in die Bildungspläne wieder einzuführen.
Anders sieht das bei der Schulformempfehlung aus. Auch die würde Wersich gern beibehalten. Noch im September hatten sich CDU, SPD, GAL und Linke darauf geeinigt, sie abzuschaffen. Da Kinder auch auf der Stadtteilschule Abitur machen können, sollten sie nicht mehr den Stempel „Gymnasium“ oder „Nicht-Gymnasium“ bekommen. Statt dessen solle es eine „Einschätzung“ der Zeugniskonferenz geben, die den Eltern ausgehändigt wird.
Was das heißt, darum gab es Interpretationsstreit. Die GAL hatte geplant, auf diesen Bögen nur die Kompetenzen der Kinder festzuhalten und auf den umstrittenen „Stempel“ zu verzichten. Die CDU sieht das anders. „Das Gesetz sieht vor, dass die Eltern nicht nur die Diagnose schriftlich bekommen, sondern auch den konkreten Hinweis zur Schullaufbahn“, sagt der Abgeordnete Robert Heinemann.
Kaum eine Chancen haben offenbar auch die sieben Schulversuchs-Anträge. Reformgegner Walter Scheuerl hatte am Donnerstag nach Bekanntgabe seiner Kandidatur für die CDU erklärt, diese seien „zurück zu weisen“. Und aus der Behörde sickerte am Freitag das Gerücht durch, die Ablehnung sei entschieden, es werde nur noch an einer Begründung gebastelt. Sprecher Schmidt dementierte: „Nach meiner Information ist noch keine Entscheidung gefallen“. KAJ
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