IRAK-KRISE BIETET DIE CHANCE, DASS SICH DIE NACHBARSTAATEN EINIGEN: Wenn Schurken Freunde werden
Ausgerechnet die „Schurken“ kommen Washington nun im Irak zu Hilfe. Syrien nimmt praktisch über Nacht seit 20 Jahren wieder diplomatische Beziehungen mit Bagdad auf. Teheran bereitet sich auf einen iranisch-syrischen-irakischen Dreiergipfel am Wochenende vor.
Es geht darum, über alte Schatten zu springen. Kann die Bush-Regierung ihre ideologisch gefärbte Phobie gegen die Islamische Republik Iran und das auf der US-Terrorliste stehende Syrien überwinden? Ist der einstige islamische Revolutionswächter Ahmadinedschad zu pragmatischer Politik fähig? Der kleinste gemeinsame Nenner besteht darin, dass alle Parteien kein Interesse an einem blutigen irakischen Bürgerkrieg haben.
Der Iran hat viel zu bieten. Ohne Hilfe des Schiitenstaates ist es kaum denkbar, den im Irak marodierenden schiitischen Milizen Einhalt zu gebieten. Syrien seinerseits verfügt über gute Kontakte zu den sunnitischen Aufständischen.
Nun muss der Preis bestimmt werden. Der Iran, eingezwängt zwischen US-Truppen im Irak und in Afghanistan, möchte Sicherheit einkaufen. Die Verhandlungsfrage lautet, wie eine kreative Lösung für das iranische Nuklearprogramm gefunden werden kann, das es den Amerikanern gesichtswahrend ermöglicht, dafür Sicherheitsgarantien zu gewähren.
Für Syrien stehen die Rückgabe der Golanhöhen und eine Normalisierung der engen Beziehungen zum Libanon auf der Wunschliste. Außerdem möchte Damaskus aus der Untersuchung des Mordfalles des ehemaligen libanesischen Premiers Rafik Hariri entlassen werden.
Doch es geht nicht nur um die Beziehungen zu Washington. Die Regionalmächte untereinander müssen politisches Neuland erkunden. Das schiitisch-sunnitische Kapitel muss ebenso neu geschrieben werden, wie arabisch-iranische Animositäten überwunden werden müssen. Die Türkei muss sich der Kurdenfrage stellen.
Die Gemengelage rund um den Irak ist also äußert kompliziert. Aber vielleicht liegt gerade darin eine Chance: wenn ausnahmsweise einmal alle bei der Stabilisierung des Irak im eigenen Interesse an einem Strang ziehen müssen. KARIM EL-GAWHARY
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