: Leichenschau für Schulklassen verboten
Brandenburgs Bildungsminister sorgt sich um die seelische Gesundheit seiner Schützlinge und untersagt Schulausflüge zum Plastinarium in Guben. Schüler, Eltern und Lehrer fühlen sich gegängelt und kritisieren den Beschluss heftig
AUS BERLIN DANIEL SCHULZ
Der brandenburgische Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) hat Schülern und Lehrern verboten, Gunther von Hagens’ Leichenfabrik während des Unterrichts zu besuchen. Begründung der Order: „Ein Besuch dieser Ausstellung ist nicht vereinbar mit dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule“, meint der Minister. Zudem müsse die seelische Unversehrtheit der Schüler geschützt werden.
Doch die wollen so viel Fürsorge gar nicht. „Das ist ein krasser Eingriff in unser Recht, selbst zu entscheiden“, sagt Marco George, Sprecher des Landesschülerrats. „Schule ist doch gerade ein Ort, an dem solch streitbare Dinge diskutiert werden sollten.“
Umstritten ist das Plastinarium Gunther von Hagens’ in Guben auf jeden Fall. In einer alten Tuchfabrik arbeiten knapp 50 Menschen daran, aus Leichenteilen todesechte Exponate herzustellen. Einige davon können seit der Eröffnung vor einigen Tagen in einem Schauraum besichtigt werden, ebenso ein Teil der Werkstätten. Ein extra gegründetes Aktionsbündnis protestiert seither mit Mahnwachen gegen von Hagens’ Leichenfabrik. Nach Ansicht des evangelischen Pfarrers Michael Domke verstößt die Körper-Show gegen die Menschenwürde. Gleichzeitig lebt Guben auf – seit Beginn der Ausstellung besuchten schon über 4.000 Menschen die Brandenburger Filiale des „Körperwelten“-Machers.
Profitgier und die Befriedigung von „Voyeurismus“ wirft Bildungsminister Rupprecht dem „Körperwelten“-Macher von Hagens vor. „Das lehne ich entschieden ab.“ Rupprecht will die Bulle gegen von Hagens aber nicht als persönlichen Feldzug wider den Präparator verstanden wissen. Er wolle die Entscheidungsmöglichkeit der Schüler nicht beschneiden, sondern im Gegenteil erhalten, sagt Rupprecht. Er wolle nur verhindern, dass Schüler dazu verpflichtet werden, die Show zu besuchen. Denn sollten Lehrer den Besuch von von Hagens’ Horrorshow auf den Stundenplan setzen, bestünde eine generelle Teilnahmepflicht. Aus ethischen Gründen hält der Bildungsminister dies nicht für vertretbar.
Politiker aus beiden Teilen der großen Koalition in Brandenburg sprangen dem forschen Bildungsminister bei. SPD-Fraktionschef Günter Baaske rät ebenfalls von Schulausflügen in von Hagens’ Manufaktur ab. Sein CDU-Kollege, Thomas Lunacek, will Minderjährigen gar generell den Zugang zum Plastinarium verbieten lassen. Auch der Gubener Pfarrer Domke begrüßt das Verbot aus Potsdam. Es beuge der „Verrohung junger Menschen“ vor.
Auch die Lehrergewerkschaft GEW und der Landeselternrat verabscheuen die Gubener Leichenschau. Doch ein ministerielles Verbot gehe zu weit und sei eine Gängelung der Schüler: „Zu diesem gesellschaftlich umstrittenen Thema braucht es auch in den Schulen einen Diskurs“, sagt Brandenburgs GEW-Chef Günther Fuchs. „Ein Verbot würgt jede Auseinandersetzung ab.“
Elternvertreterin Gudrun Breitschuh-Wiehe sieht die „Schüler ab der siebten Klasse“ durchaus in der Lage, „sich mit dem Tod und auch der gesellschaftlichen Debatte dazu auseinanderzusetzen“. Sie frage sich, wozu eigentlich das Fach Ethik/Religion eingeführt wurde, wenn solche Fragen in der Schule ausgeklammert bleiben sollen.
Im Gegensatz zu den Politikern sehen sie keine Notwendigkeit, den freien Schülerwillen durch ein Verbot zu schützen. „Die Lehrer würden doch mit den Schülern sprechen“, sagt GEW-Chef Fuchs. „Dann könnte die Klasse beschließen, ob sie nach Guben fahren will oder nicht.“ So viel Vertrauen könne man in Lehrer und Schüler schon haben.
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