: Gekochtes Schreiben, geschriebenes Kochen
NAHRUNG „Die schärfsten Rezepte der tatarischen Küche“ heißt Alina Bronskys aktuelles Buch. Es geht um Essen und Zuneigung – Kochen ist nicht wirklich gemeint
VON WALTRAUD SCHWAB
Die Schriftstellerin bringt Brei mit ins italienische Restaurant in der Nähe des Darmstädter Bahnhofs. Buchweizengrütze – Kascha. Sie hat Zwiebeln und Pilze darunter gemischt. Vorsichtig schält sie die hellgrüne Plastikdose, in die sie den Brei geschüttet hat, aus der Stofftasche und dem Handtuch. Sie öffnet den Deckel und entschuldigt sich, als sie den Klumpen graues Nahrungsmittel zeigt. Der Kascha sei nicht richtig gelungen. „Wenn er besonders gut sein soll, geht es schief.“ Der Brei ist ein Geschenk.
Alina Bronsky ist Schriftstellerin. Eine junge Frau, die immer schreiben wollte, die sich Geschichten und Romane ausdenken wollte, die die Wirklichkeit nur ein klein wenig zuspitzen, um so zu zeigen, dass es selbst grausam sein kann, wenn man nur aneinander vorbei lebt. Bronsky wollte schreiben, „immer schon“. Und sie hielt an dem Plan fest, obwohl sie neunzehnjährig erst einmal ein Kind bekam. Und wenige Jahre später noch eins. Als sie 25 war, waren es schon drei.
Erst die vierte Geburt war ein Buch. „Scherbenpark“ heißt es. Darin berichtet eine junge Frau, wie es ist, als Teenager mit russischer Herkunft in einer deutschen Hochhaussiedlung, wo andere Aussiedlerkinder leben, groß zu werden. In „Scherbenpark“ kann, wer über Integration redet, die Verhältnisse aber nicht kennt, etwas lernen. Das Erdachte hat die Qualität einer Wirklichkeit, mit deren Grausamkeit sich die Kinder arrangieren müssen.
Im Spätsommer kam Bronskys neues Buch heraus. „Die schärfsten Rezepte der tatarischen Küche“ heißt es. Deshalb der Brei. Brei ist russisch. Denn was tatarisch, kasachisch, ukrainisch, moldawisch, jüdisch oder sonst wie typisch für eine der Volks- oder Zugehörigkeitsgruppen im Vielvölkerstaat der ehemaligen Sowjetunion war, das wisse man doch nicht mehr so genau, meint Bronsky. Der Mangel und die schwierige Versorgungssituation hätten die Genussgrenzen verwischt.
Immerhin, im Roman machen sich einige auf die Suche nach der tatarischen Küche. Nicht zuletzt die Hauptfigur – eine Großmutter, die sich schon auf den ersten Seiten zu einem ausgemachten sowjetischen Biest, später zu einem postsowjetischen Biest entwickelt. Kochen, Essenbeschaffen, Auftischen. Füttern ist die wichtigste Nebensache dieser narzisstisch gestörten Matrone, die in Kauf nimmt, dass Leute aus ihrem Leben verschwinden – wenn ihr Recht auf eine Portion Glück davon profitiert. Glücklich ist die schönheitsbewusste Großmutter, wenn ihre Tochter, ihre Schwiegersöhne, ihre Enkelinnen spuren. Sie sollen machen, was sie will.
Dabei will die Großmutter – Tatarin natürlich, aber davon ist ihr wenig geblieben – nur eines: überleben. Über den Schwiegersohn landet die Großmutter in Deutschland. Der allerdings steht mehr auf seine Stieftochter als auf seine Ehefrau. Die Großmutter spielt keine rühmliche Rolle in diesem hyperrealistischen Drama, und zwar dann, wenn sie dafür sorgt, dass der Schwiegersohn mit der Stieftochter allein ist. Einzig dass sie die tatarische Küche ständig neu erfindet, adelt sie. Auf die Figur angesprochen, sagt Bronsky: „Es geht nicht um Wirklichkeit, sondern um Wahrhaftigkeit.“ Gut, das ist ein Allerweltsspruch aus der Trickkiste der Schreibenden. Aber dann sagt sie noch: „Meine Bücher sind realistischer als ursprünglich beabsichtigt.“
Und jetzt der Szenenwechsel: das italienische Restaurant in Darmstadt, in das die blasse, schlanke Autorin, die zwei ihrer Kinder und den Brei mitbringt, kommt. Es gibt PPP – Pizza, Pasta, Pesto. „Schto tyi chotschisch“ – was willst du? Mit den Kindern, die sich gern an sie schmiegen, spricht Bronsky Russisch. Die Älteste kann es gut. Ihre Mutter ist 13-jährig aus Jekaterinburg nach Marburg gekommen. Die Eltern sind Wissenschaftler. Das ändert nichts daran, dass die Tochter erst einmal in die Sprachlosigkeit stürzte in Deutschland. „Hä, worüber reden die jetzt?“ Nach einem Jahr ungefähr hat sich der Schleier gelichtet. Ihre Sehnsucht zu schreiben war da schon da.
Weil sie Schriftstellerin geworden ist, soll im italienischen Restaurant in der Nähe vom Darmstädter Bahnhof übers Schreiben geredet werden – ob es wie Kochen ist. „Ja, das könnte man schon vergleichen“, sagt Bronsky, der es schwerfällt, über ihre Arbeit zu sprechen. Sie sei eher so eine, die sich genau überlege, was die Zutaten sind – sei es beim Kochen, sei es beim Schreiben. Erst dann beginnt sie mit der Arbeit. „Ich habe klare Figuren im Kopf, nicht die Handlungen.“ Eigentlich sei Schreiben mehr wie Backen statt Kochen. Beim Backen habe man den Teig als feste Größe, der Rest seien die Gewürze und Verzierungen. Ihr Teig seien die Figuren. „Die Figuren sind da, und die bringen ihre Handlungen mit“, sagt sie.
Ständig entgleitet das Thema, bis nicht mehr klar ist, worüber eigentlich gesprochen wird. Über Kochen? Über Backen? Über Schreiben? Oder geht es um Kultur und Identität? „Essen, Auftischen, Gastfreundschaft – das gehört in der russischen Kultur dazu“, sagt Bronsky. Nahrungsmittel seien ja auch die Hälfte des Jahres nicht selbstverständlich da. Man müsse vorsorgen. Einlegen, einmachen, Vorratswirtschaft betreiben – saure Gurken, Sauerkraut. Ihre Oma war gerade aus Jekaterinburg zu Besuch. Die habe solche Sachen mitgebracht. Es schmecke besser als die deutschen sauren Gurken, das deutsche Sauerkraut. Warum? Sie weiß es nicht. Aber eigentlich ist ihr das russische Essen zu schwer. Einzig die Breie mag sie. Buchweizenbrei. Hirsebrei. Buchweizen, so anspruchslos. Frei von Anmaßung, frei von kulinarischem Schein. Nichts außer Hunger und Leben. Bronsky kauft Buchweizen geröstet in russischen Läden, meist überbrüht sie ihn nicht heiß, um die Bitterstoffe rauszuwaschen. Sie mag die bittere Note. Dann mischt sie ihn mit Butter, manchmal auch mit Pilzen und Zwiebeln. Wie bei dem Brei, den sie mitbringt als Geschenk. Erst später auf einer Parkbank wird er gekostet: Er schmeckt auf nussige Art erdig und leicht.
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