: Tödlicher Anschlag in Ürümqi
CHINA I Unbekannte werfen Sprengsätze auf Marktplatz in der Grenzregion Xinjiang
AUS PEKING FELIX LEE
Mindestens 31 Tote und 90 Verletzte – das ist die vorläufige Zahl der Opfer des jüngsten Anschlags in der chinesischen Grenzregion Xinjiang am Donnerstagmorgen.
Um etwa 7.50 Uhr fuhren auf einem belebten Straßenmarkt in der regionalen Hauptstadt Ürümqi zwei Geländewagen mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zu. Bei dem Zusammenprall explodierte einer der Wagen, beide Fahrzeuge gingen in Flammen auf, berichtet die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua. Zuvor hätten die Angreifer Sprengsätze in die Menschenmenge geworfen. Es habe mindestens ein Dutzend Explosionen gegeben.
Es ist der vierte blutige Anschlag in China innerhalb von sieben Monaten. In Ürümqi selbst hatte es vor drei Wochen am Hauptbahnhof einen Angriff mit drei Toten und 79 Verletzten gegeben.
Minuten bevor die chinesischen Staatsmedien die Meldung verbreiteten, kursierten schon über den chinesischen Kurznachrichtendienst Weibo – ähnlich Twitter – Bilder und Kurzvideos von dem Anschlag: Sie zeigen Menschen, die blutüberströmt auf der Straße liegen, umgeworfene Marktstände und Karren, dichten Rauch im Hintergrund. In Schock erstarrt hockt eine alte Frau auf einem Klappschemel, um sie herum liegen mehrere Leichen. Ein paar Meter weiter sitzt eine weitere ältere Passantin blutüberströmt auf der Straße. Auch ihr ist anzusehen, dass sie noch nicht begriffen hat, was geschehen ist. Dieses Bild wird bis zum Abend im Netz millionenfach weitergeleitet.
In China sind morgens vor allem alte Menschen auf den Märkten, von denen die meisten auch nur über ein geringes Einkommen verfügen. Hier gibt es frisches Obst und Gemüse sehr viel günstiger als in Supermärkten. Viele kommen auch dorthin, um sich zu unterhalten.
Ürümqi ist eine Millionenmetropole, deren Bewohner sich mehr und mehr entmischen und je nach Volkszugehörigkeit in unterschiedlichen Vierteln leben. Die Marktstraße befindet sich in unmittelbarer Nähe des zentralen Volksplatzes im überwiegend von Han-Chinesen bewohnten und modernen Teil der Stadt. Die traditionell hier lebenden Uiguren machen nur noch eine Minderheit aus und sind eher in der heruntergekommenen Altstadt zu finden.
Wer für den Anschlag verantwortlich ist, bleibt bis zum Abend ungeklärt. Bei den drei Bluttaten seit dem Spätherbst vergangenen Jahres hat die chinesische Regierung separatistische Uiguren verantwortlich gemacht, die sich gegen die Führung in Peking auflehnen und einen unabhängigen Staat fordern. Bekennerschreiben hat es keine gegeben.
Der Angriff auf den Bahnhof von Ürümqi Ende April gehe auf das Konto einer „Islamischen Bewegung Ostturkistan“, erklärten die Behörden. Turkistan ist die uigurische Bezeichnung für ihre Heimat. Ein Islamist namens Ismail Yusup habe Anschlag vom Ausland aus geplant.
Handfeste Beweise für die Unterstützung uigurischer Dissidenten durch Islamisten aus dem Ausland legten die Behörden aber keine vor. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hatten die USA die „Islamische Bewegung Ostturkistan“ auf ihre Terrorliste gesetzt, sie aber später wieder gestrichen. Es kamen Zweifel auf, ob diese Gruppierung überhaupt existiert.
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