: Chlorbleiche soll Wunder bewirken
SCHWINDEL Ein obskures Allheilmittel wird derzeit aggressiv beworben. Dabei ist es nicht nur nutzlos, sondern kann sogar extrem schädlich sein. Die Behörden gehen trotzdem nicht gegen den Verkauf vor
BERLIN taz | „Für Aids, Hepatitis A, B und C, Malaria, Herpes, Tuberkulose, die meisten Krebsformen und viele weitere ernste Erkrankungen gibt es nun eine Lösung“ – so beginnt eine Spammail, die sich in den letzten Wochen in vielen E-Mail-Postfächern fand. Beworben wird darin ein Heilmittel namens Miracle Mineral Supplement – oder abgekürzt MMS.
Bei MMS handelt es sich im Grunde um Chlorbleiche, das Mittel soll zusammen mit Zitronensäure eingenommen werden. Gekauft wird es meist in Internetshops. Die Spammail wirbt für einen Versandhandel, der seinen Sitz im Vereinigten Königreich hat. Der Versand erfolgt jedoch nach eigener Angabe in Hildesheim. Legal ist das nicht.
„Wenn ein solches Produkt damit beworben wird, dass es Krankheiten heilen kann, dann handelt es sich laut Gesetz um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel“, erklärt Maik Pommer von Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. „Zuständig für die Überwachung sind in dem Fall die Landesbehörden, die den Verkauf solcher Produkte untersagen können.“
Für die Arzneimittelüberwachung im niedersächsischen Hildesheim zuständig ist das Gewerbeaufsichtsamt Hannover. Doch dort scheint man offenbar wenig Interesse am Thema zu haben. Eine Anfrage per Mail blieb zunächst unbeantwortet. Nach nochmaliger Nachfrage bestätigte man den Erhalt der E-Mail, weitere Auskünfte könne man jedoch nicht erteilen. Das Gewerbeaufsichtsamt hat inzwischen seit mindestens zwei Monaten Kenntnis vom Betrieb des MMS-Handels in Hildesheim. Doch dieser vertreibt das Mittel offenbar nach wie vor. Auch die Spammails werden weiterhin zahlreich versendet.
Studien zur Wirksamkeit von MMS gibt es keine. Eine Suche in der medizinischen Studiendatenbank Pubmed liefert kein einziges Ergebnis. Der MMS-Erfinder, der US-Amerikaner Jim Humble, war früher Mitglied bei Scientology und sieht sich als ein vom medizinischen Establishment verfolgter Heilsbringer.
Obwohl das Trinken von Chlorbleiche reichlich bizarr klingt, gibt es in Deutschland einige Anhänger. Auf einem Kongress Ende April in Hannover durfte Humble seine Theorien vor über tausend Besuchern erläutern. Dort wurde sogar dafür geworben, Kinder mit Autismus oder ADHS mit Hilfe des Chlorbleichemittels zu behandeln.
Dabei ist die Einnahme von MMS nicht ungefährlich: Sie kann zu Durchfällen, Erbrechen und Fieber führen, was von MMS-Anhängern als Beleg für die Wirkung angesehen wird. Ein besonders tragischer Fall ereignete sich 2009: Die US-Amerikanerin Silvia Fink starb während ihrer Hochzeitsreise auf einer Yacht, nachdem sie MMS eingenommen hatte. Das Bundesamt für Risikoforschung warnte deshalb bereits 2010 vor MMS und riet allen Anwendern, sofort mit der Behandlung aufzuhören.
HANNO BÖCK
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen