: Von Bierzelt-Kaspern und Valium-Politikern
Bei der abschließenden Beratung über den niedersächsischen Haushalt des Jahres 2007 sparen Regierung und Opposition mit Argumenten – nicht aber mit Polemik und üblen Beschimpfungen. Ein Geschmack vom Vor-Wahlkampf
Bei der abschließenden Debatte über Niedersachsens Haushalt für das Jahr 2007 ist es gestern im Landtag zu üblen Beschimpfungen zwischen Opposition und Regierung gekommen.
13 Monate vor den Landtagswahlen wehte ein Hauch von Wahlkampf durch das Parlament in Hannover. Mit diesem Lob hatte Wolfgang Jüttner nicht gerechnet: „Sie sind unser Lieblings-Oppositionsführer“, sagte CDU-Fraktionschef David McAllister über seinen Counterpart von der SPD. Jüttner habe nicht nur bereits am Mittwoch seinen Auftritt zur abschließenden Lesung des niedersächsischen Landeshaushalts „schlicht verpennt“, auch Jüttners gestrige Rede habe gezeigt, dass der SPD-Spitzenkandidat „für die frustrierte alte Linke in Niedersachsen steht, die niemals wieder an die Macht kommen darf“, sagte McAllister. Zu Jüttner falle ihm ein Film namens „Es kracht, es zischt, zu sehen ist nischt“ ein. FDP-Fraktionschef Philipp Rösler nannte ihn „Wolfgang ‚Valium‘ Jüttner“.
Aber Jüttner, dem in der eigenen Fraktion tatsächlich seine gelegentliche Zahnlosigkeit vorgeworfen wird, gab alle Beißhemmungen auf. Vergeblich suche der „Bierzelt-Kasper“ McAllister seine „Augenhöhe“, sagte der SPD-Fraktionschef, ranzte den CDUler Bernd Althusmann als „rhetorischen Panzerfahrer“ an und betonte, dass er zur Etatdebatte am Mittwoch seinem Haushaltsexperten den Vortritt gelassen hatte – obwohl die Opposition diese Sitzung traditionell zur Generalabrechung nutzt.
„Kürzungen, Streichungen, das ist Sozialpolitik à la Wulff“, attackierte Jüttner dann den Ministerpräsidenten. Der sei ein „Anscheinserwecker“ und „netter Onkel“, der in den vergangenen Wochen nur einen Erfolg habe verzeichnen können: „Krawattenmann des Jahres. Weiß Gott: Das bringt Niedersachsen voran“, sagte Jüttner.
Auch Innenminister Uwe Schünemann (CDU) kritisierte er, weil Schünemann den Berliner Bleiberechtskompromiss als „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ kritisiert hatte. Diese „Sprachzuspitzungen“, sagte Jüttner, kenne er „bisher nur von Veröffentlichungen der Republikaner“.
Fast völlig ohne Polemik kamen die Grünen aus: Es sei zwar zu begrüßen, dass die Koalition die Kürzung von 400 Lehrerstellen rückgängig gemacht habe, sagte Fraktionschef Stefan Wenzel. Auch die Absenkung der Neuverschuldung um 150 Millionen Euro über dem Plan und die Schaffung von 10.000 neuen Studienplätzen bis 2010 gingen „in die richtige Richtung“. Dennoch habe der Etat nicht auf den Klimawandel reagiert und kümmere sich zu wenig um Kinder und Mittelständler. Der Haushalt sei „an den entscheidenden Stellen nicht nachhaltig und nicht zukunftsfähig“. Mit den Stimmen von CDU und FDP wurde der 23-Milliarden-Etat schließlich verabschiedet. KAI SCHÖNEBERG
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