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Einen Gang runter

ACHTSAMKEIT Alltagsstress kann chronisch krank machen. Mind-Body-Medizin aktiviert dagegen Selbstheilungskräfte

Die Patienten sollen die eigenen körperlichen wie seelischen Bedürfnisse wieder ernst nehmen

VON CHRISTOPH RASCH

Was typisch für ihre Patienten ist? „Viele von ihnen haben unter Berufsstress und Alltagsbelastungen den Kontakt zu sich selbst verloren und nehmen Stresswarnsignale nicht mehr wahr“, sagt Diplompsychologin Christel von Scheidt. Sie leitet seit vier Jahren die Tagesklink Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin und weiß: Arbeitsverdichtung und Terminstress im Beruf, die ständige Erreichbarkeit sowie der Wegfall von Ruhepausen, dem handyfreien Feierabend oder dem Sonntag ohne Verpflichtungen führen bei immer mehr Menschen zu ernsthaften Folgen: „Diese reichen von Magen-Darm- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen über Immunschwächen, Allergien und chronischen Schmerzen bis hin zum Burn-out.“

Christel von Scheidt und ihr Team wollen den Betroffenen – mehr als ein Drittel von ihnen ist durch stressbedingte Erkrankungen sogar arbeitsunfähig – wieder „ein Gespür für sich selbst geben“, mit regelmäßigen Bewegungsübungen, mit Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen. Und mit einem professionell begleiteten Training für Zuhause, quasi einer Anleitung zum Stressabbau in Eigenregie. Mind-Body-Medizin heißt diese natürliche Behandlungsmethode neudeutsch. Ihr Ziel: sie will bei den Betroffenen jene Kräfte im Körper aktivieren, die die Selbstheilung bei Erkrankungen begünstigen können.

300 bis 400 Patienten betreut die Berliner Tagesklinik pro Jahr – jeweils über einen Zeitraum von drei Monaten. Einmal wöchentlich kommen die Betroffenen zu einem mehrstündigen Trainings- und Beratungsprogramm in die Klinik. Für die Tage daheim wird ihnen ein Trainingsprogramm an die Hand gegeben: Meditation, Übungen aus Yoga und Qigong, Stressbewältigungsstrategien – vor allem aber das, was in der Mind-Body-Medizin „Achtsamkeitspraxis“ heißt. „Das bedeutet, aus Gedankenkreisen auszusteigen, den liebevollen Umgang mit sich selbst zu finden, besser mit stressverschärfenden Dingen umzugehen – und die eigenen körperlichen wie seelischen Bedürfnisse wieder ernst zu nehmen“, erklärt Christel von Scheidt.

Ziel der Mind-Body-Medizin ist zwar, den Einsatz von Pharmamitteln auf ein sinnvolles und notwendiges Maß zu reduzieren. Allerdings geht das nicht immer: „Bei Erkrankungen wie Bluthochdruck braucht der Patient auch weiterhin seine entsprechenden Medikamente“, sagt Christel von Scheidt. Auch die Mind-Body-Medizin wird deshalb der Komplementärmedizin zugerechnet, die klassische Behandlungsweisen ergänzt, indem man Körper und Geist eines Patienten wieder in Balance bringt – und damit eine bereits begonnene schulmedizinische Therapie positiv beeinflusst.

Die in den USA entwickelte Mind-Body-Medizin wird bei stressbedingten, chronischen Erkrankungen auch hierzulande immer öfter zum Mittel der Wahl. Die wissenschaftliche Überprüfung der Wirksamkeit ist schwierig, groß angelegte Evaluierungsstudien werden hierzulande – anders als in den USA, wo Milliardensummen in die Erforschung von Naturheilverfahren fließen – so gut wie nicht öffentlich gefördert. Diejenigen Kliniken, die hierzulande auf die Anwendung der Mind-Body-Medizin setzen, berichten dennoch Positives: Am Berliner Immanuel-Krankenhaus zeigen eigene Untersuchungen, dass die Mind-Body-Medizin gute Behandlungserfolge bei Rheuma- und Fibromyalgie-Patienten erzielt.

„Die Nachfrage der Patienten nach Mind-Body-Medizin ist überwältigend, unsere Warteliste ist lang“, berichtet auch Jost Langhorst aus der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin an den Kliniken Essen-Mitte. Hier werden pro Jahr 1.400 Patienten mit stressbedingten Erkrankungen behandelt – entweder ambulant oder in der angeschlossenen Tagesklinik. Oder aber, für jeweils zwei Wochen, stationär. Langhorst, der das Zentrum für Integrative Gastroenterologie leitet, das auf die Behandlung von Magen-Darm-Erkrankungen spezialisiert ist, sagt: „Für alle, die mit ambulanten Behandlungen gescheitert sind, bieten wir ein geschütztes Feld mit individuell zugeschnittenem Therapieplan.“

Der typische „stationäre“ Tagesablauf reicht dann – je nach Krankheitsbild und Persönlichkeit – von klassischer Krankengymnastik über Hydrotherapien und Akupunktur bis hin zu Naturheilmethoden wie dem Schröpfen oder dem Einsatz von ätherischen Ölen, Wickeln oder Blutegeln. Auch hier will man mit Yoga und Meditationsübungen Körper und Seele wieder in Einklang bringen. „Das alles soll dazu dienen, den Patienten wieder für Körper und Geist zu sensibilisieren – um im nächsten Schritt seine Selbstheilungskräfte zu aktivieren“, so Langhorst.

Die Kosten für die Behandlung in der Klinik tragen übrigens die Krankenkassen. Sie zahlen auch je nach Indikation einzelne Anwendungen in der ambulanten Therapie, wie etwa Akupunktur.

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