piwik no script img

Weihnachten soll weitergehen

Der „Soziale Weihnachtsmarkt“ in Spandau ist so erfolgreich, dass die Betreiber das Konzept fortführen wollen. Die Chancen stehen nicht schlecht

An den ersten Tagen konnten die VerkäuferInnen noch Däumchen drehen in ihren kleinen, mit Tannengrün geschmückten Holzbuden. Der erste Berliner Weihnachtsmarkt allein für Hartz-IV-Empfänger auf dem ehemaligen Bosch-Gelände in Spandau zog nur wenige Interessenten an. Doch die umfassende Handzettelwerbung zeitigte bald Wirkung. Immer mehr Besucher kamen – aus allen Teilen Berlins. Vor allem an den Samstagen war der Andrang groß.

Die Veranstalter sind zufrieden: „Die Nachfrage hat gezeigt, dass wir richtig liegen mit unserem Konzept“, sagt Ute Jaroß, die als Projektleiterin für das Unternehmen „Sozialer Weihnachtsmarkt“ verantwortlich ist: „Der Bedarf ist da. Es gibt genügend Menschen in dieser Stadt, die für ein paar Euro gern das kaufen, was andere nicht mehr haben wollen.“

Wer auf dem idyllisch gelegenen Platz am Spandauer Havelufer mit einem Minibudget Weihnachtsgeschenke einkaufen will, muss einen Bescheid über Arbeitslosengeld I oder II oder die Verdienstbescheinigung als Niedriglohnempfänger vorlegen. Die angebotenen Waren sind Spenden von Berliner Unternehmern und Privatpersonen. Arbeitslose haben sie gesammelt, restauriert und bieten sie nun in den 15 Buden an.

Besonders begehrt sind die gebrauchten Fahrräder. „Wenn ich genügend davon hätte, könnte ich hier en masse verkaufen“, sagt der Verkäufer, ein drahtiger Endfünfziger mit Wollmütze über dem strähnigen, schulterlangen Haar. Der Mann, der früher Bademeister war, führt ein gutes Dutzend Damen-, Herren- und Kinderräder vor. „Licht, Bremsen, alles wieder intakt“, erklärt er zufrieden: „Die reparieren wir selbst, die Kollegen von der Werkstatt und ich.“ Für die großen Fahrräder verlangt er 12 Euro. Damit sind sie auch schon das Teuerste, was auf dem Markt zu haben ist. Kinderräder kosten 4, Dreiräder 2 Euro. Jede Familie kann pro Person höchstens ein Fahrrad kaufen. Jeder Kauf wird auf der Einkaufskarte vermerkt.

Angetan von dem großen Erfolg, würde Goldnetz, ein Förderverein für Erwerbslose, daher gern weitermachen und das ganze Jahr hindurch Spenden von Privathaushalten abholen, sammeln, sortieren, reparieren und damit Märkte bestücken. Märkte für Menschen, die die Konsumgesellschaft abgehängt hat: Arbeitslose, Hartz-IV-Empfänger oder Rentner, die mit ein paar hundert Euro über die Runden kommen müssen.

Auch hundert Frauen und Männern, die derzeit als WeihnachtsmarkthelferInnen arbeiten, würden von der Fortsetzung des Markts profitieren. Vor kurzem waren sie selbst noch ohne Job und in der Statistik als Langzeitarbeitslose registriert. Seit Mitte Oktober sind sie Angestellte des Fördervereins und WeihnachtsmarkthelferInnen mit befristetem Vertrag.

Um weitermachen zu können, ist der Verein jedoch auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Trotz allen Erfolgs bei der knapp bemittelten Kundschaft reichen die Markterlöse nicht, um Löhne und Sozialabgaben für die Mitarbeiter zu zahlen. „Ohne die Fördermittel der Arbeitsagentur hätten wir das Projekt nicht durchführen können“, sagt Ute Jaroß. Die Chancen, dass die auch weiterhin fließen, stehen gar nicht schlecht. Die Mitarbeiter im Spandauer Jobcenter hätten Gefallen gefunden an dem Projekt und bereits signalisiert, dass die „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme mit Entgelt“ – kurz AME genannt – um ein Jahr verlängert wird. Doch die schriftliche Zusage der Bundesarbeitsagentur steht noch aus.

Die 100 Mitarbeiter stehen mit einem Bruttolohn von 1.000 Euro finanziell zwar nicht deutlich besser da als zuvor mit den Arbeitslosengeld-II-Bezügen. Doch für die ehemaligen Langzeitarbeitslosen geht es auch um etwas, was sich nicht in Euro und Cent rechnen lässt: um das Selbstwertgefühl, das ihnen der Job zurückgegeben hat. „Ich bin vier Jahre lang arbeitslos gewesen und hatte die Nase so voll davon“, sagt eine Verkäuferin, Anfang fünfzig, die an einer der Weihnachtsmarktbuden Holzspielzeug verkauft: „Jetzt weiß ich morgens wieder, warum ich aufstehe.“ An den meisten Wochentagen arbeitet die Frau derzeit in einer der Werkstätten, die der Förderverein eingerichtet hat. „Wir machen dort Spielzeug, diese Schaukelbetten für Puppen zum Beispiel.“ Mit besonderem Stolz präsentiert sie die Spiegel mit den buntverzierten Rändern und die Bilderrahmen mit elektrischer Beleuchtung, die sie und ihre Kolleginnen angefertigt haben. Die Preise für die sozialen Geschenkartikel liegen bei maximal 6 Euro. „Und wenn ich am Abend 40 oder sogar 50 Sachen verkauft habe, dann war es ein richtig guter Tag.“

Susanne Kilimann

Der Markt findet noch heute und morgen, jeweils von 14 bis 19 Uhr statt. Zitadellenweg 34, Spandau (ehemaliges Bosch-Gelände)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen