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„Wir müssen selbst denken“

Evo Morales hat in Bolivien die Ölvorkommen nationalisiert. Doch der Streit mit den Konzernen ist noch nicht zu Ende. Perspektivisch geht es um einen lateinamerikanischen Sozialismus, so der bolivianische Ex-Energieminister

taz: Herr Soliz Rada, was heißt es, wenn die bolivianische Regierung von „Nationalisierung“ der Ressourcen redet?

Andres Soliz Rada: Energie-Nationalisierung heißt, dass die bolivianische Staatsfirma YPFB die Regie in der Produktionslinie von Gas und Öl übernimmt. Die Firmen, die nach Bolivien kommen, werden für Dienstleistungen bezahlt. Aber ihnen gehören die Rohstoffe nicht.

Wie hoch werden künftig die Staatseinkünfte sein?

Früher hatten wir auf dem Papier auch schon hohe Einkünfte, weil die Gewinne der Konzerne mit bis zu 50 Prozent besteuert werden sollten – bloß wurden nie Gewinne ausgewiesen. Jetzt, nach dem Nationalisierungsdekret, nehmen wir real Geld ein. Der neue Energieminister Carlos Villegas rechnet mit einem Durchschnittswert von 70 Prozent, der Bolivien zugute kommen wird.

Sie sind als Energieminister zurückgetreten. Warum?

Ich hatte als Minister die Resolution 207 unterschrieben. Darin stand, dass der brasilianische Konzern Petrobras fortan Dienstleister, nicht mehr Exporteur ist. Kurzum: Wir bringen den Teig zum Ofen und sind Eigentümer des Brotes ist – Petrobras ist der Besitzer des Ofens und wird für das Backen bezahlt. Nur das steht in der Resolution!

Und dann?

Unser Vizepräsidenten Álvaro García Linera hat Brasilien zugesichert, dass die Resolution 207 eingefroren wird. Er hat dies entschieden, ohne mich vorher zu konsultieren. Deshalb konnte ich nicht mehr im Amt bleiben. Außerdem finde ich die Verträge, die Bolivien mit den Konzernen nun abgeschlossen hat, fehlerhaft.

Warum?

Es gibt gravierende Widersprüche, vor allen in den Anhängen. So bekommen die Multis die Möglichkeit, sich Gas- und Ölreserven an der Börse gutschreiben zu lassen – damit wäre die Nationalisierung ad absurdum geführt. Außerdem sollen ihnen angebliche Investitionen in Höhe von 3,5 Milliarden Dollar angerechnet werden, während es nach Gutachten nicht einmal 800 Millionen waren. Und mit Brasilien ist immer noch kein höherer Erdgaspreis vereinbart worden.

Der Jahresumsatz von Petrobras ist fünfmal so hoch ist wie Boliviens Bruttoinlandsprodukt. Verhält sich die Firma in den Verhandlungen wie ein x-beliebiger Multi?

Es ist noch schwieriger. Einmal sagen sie: Wir sind auch ein Staatsbetrieb. Dann wieder: Wir haben doch bloß 32 Prozent der Aktien, der Rest ist in der Hand von Privataktionären, ich muss konsultieren. Je nachdem, was ihnen besser passt, zeigen sie ihr privates oder ihr staatliches Gesicht. Mit Repsol, British Gas und Total war es leichter. Da wusste ich, woran ich war.

Sind Sie insgesamt mit der Haltung der Morales-Regierung zufrieden?

Ja, doch. Viele linke Kritiker übersehen, dass dies die erste Nationalisierung im Zeitalter der Globalisierung ist. Wir haben es mit einem sehr aggressiven Präsidenten Bush zu tun, mit europäischen Regierungen, die ihre Firmen massiv verteidigen.

Sind Sie sicher, dass die Nationalisierung der Ressourcen Bolivien wirklich helfen wird?

Ich hoffe es. Wir verfügen über die Rohstoffe. Wir können also mit Explorations- und Förderprojekten beginnen, mit dem Bau von Gasleitungen innerhalb von Bolivien, mit der Industrialisierung. Das sind die wichtigsten Ziele der Nationalisierung. Aber wenn wir weiterhin eine korrupte, bürokratisierte Staatsfirma haben, die von niemandem wirklich kontrolliert wird, dann wird die Ausplünderung genau wie in den Jahren vorher weitergehen.

Was erscheint Ihnen wahrscheinlicher?

Das hängt von der Regierung und den Bolivianern ab. Wenn wir nicht in der Lage sind, eine starke Staatsfirma aufzubauen, dann geben wir den Oligarchen recht, die behaupten, dass die Bolivianer unfähig sind, ihre eigenen Angelegenheiten zu managen. Aber ich vertraue in die Fähigkeiten Boliviens. Derzeit befinden wir uns in der Übergangsphase.

Was sind die größten Schwierigkeiten dabei?

Viele haben sich an den Einfluss der ausländischen Konzerne gewöhnt. Es gibt zwei Arten, in Südamerika zu regieren. Am einfachsten ist es, zu allem, was die internationalen Organisationen und die Großmächte sagen, Ja und Amen zu sagen. Schwieriger ist es, zu bekämpfen, was uns nicht nutzt.

Und was tut die jetzige Regierung?

Das ist eine Regierung des Widerstandes, aber manchmal könnte der Widerstand noch ein bisschen größer sein. Auch gegenüber Brasilien. Der Wahlsieg von Evo Morales hat den Bolivianern viel Selbstbewusstsein zurückgegeben. Wir müssen einen lateinamerikanischen Sozialismus anstreben, der alle Arten des Sozialismus, die es bisher gegeben hat, hinterfragt. Wir müssen mit dem eigenen Kopf denken.

INTERVIEW: GERHARD DILGER

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