: „Die schönste Kanne der Welt“
GEBRAUCH Wo immer Günter Höhne Alltagsprodukte aus der DDR findet, nimmt er sie mit. Ein Gespräch über zeitloses Design
■ Person: 1943 in Zwickau geboren. Experte für Design in der DDR. Lebt in Berlin-Pankow.
■ Stationen: Lehrer und Schuldirektor in Sachsen. Journalist beim Radio der DDR; er schrieb unter anderem für die Weltbühne und die Ostberliner Wochenzeitung Sonntag. Chefredakteur der vom Amt für Industrielle Formgestaltung herausgegebenen Design-Fachzeitschrift form+zweck.
■ TV: In der MDR-Fernsehreihe „Damals war’s“ präsentiert er als „Der Herr der Dinge“ DDR-Design.
GESPRÄCH BARBARA BOLLWAHN
sonntaz: Herr Höhne, nach dem Mauerfall konnten viele Menschen in der DDR gar nicht schnell genug ihre Einrichtung durch Produkte aus dem Westen ersetzen, auch solche, die früher nur schwer zu bekommen waren. Sie haben Tausende dieser Hinterlassenschaften gesammelt und dokumentiert, fast alles befindet sich jetzt in Stiftungen und Sammlungen. War das Sammeln eine bewusste Entscheidung oder Zufall?
Günter Höhne: Mit dem Fall der Mauer ist sehr viel ostdeutsche Produktkultur erst einmal auf Müllhalden gelandet. Heute weiß ich, man braucht auch bei der Sicht auf Alltagsdinge eine gewisse Entfernung, um einen perspektivischen Blick zu bekommen. Als meine Frau und ich nach der Wende über Land fuhren, kamen wir oft an Sperrmüllhaufen und wilden Müllkippen vorbei, und da sahen wir manches, das wir früher gern besessen hätten oder uns nicht leisten konnten. Aus Trotz gegen die Wegwerfer und aus Barmherzigkeit gegenüber den Dingen haben wir dann dieses und jenes aufgelesen.
Gab es Konkurrenz?
Wenn Sie andere Leute meinen, die sich ebenfalls am Straßenrand bedient haben – natürlich gab es die. Das ist aber für mich keine Konkurrenz, auch heute nicht. Ich bin ja kein Sammler und Händler. Ich will die Sachen, bis auf einige wenige Dinge, weder für mich behalten noch verramschen. Letzteres sowieso nicht. Dabei interessieren mich übrigens Kunsthandwerkliches und Unikate weniger und „Neckischkeiten“ wie „schrille“ Souvenirs oder DDR-Devotionalien generell nicht.
Sondern?
Ich bin Sammler der großen Serien, die als Gebrauchsgut hergestellt wurden, wie Haushalts- und Gastronomiegeschirr, Heimelektronik, Haushaltselektrik, optisches Gerät oder auch Verpackung und Buchkultur. Ich verstehe mich als gesellschaftlichen Dienstleister, der die Sachen dokumentiert.
Sie haben nicht nur tonnenweise gesammelt, sondern auch mehrere Bücher über Design in der DDR geschrieben. Untertreiben Sie mit dem Begriff Dienstleister nicht etwas?
Na gut, dann ergänze ich: Dienstleister mit Leidenschaft und Liebe.
Welche Eigenschaften braucht man, um sich mit etwas zu beschäftigen, was lange Zeit niemanden interessiert hat?
Mich beschäftigen schon immer gerade auch Dinge, Menschen oder Leistungen, die gerne als unwichtig, gewöhnlich und unspektakulär abgetan werden. Auch „Schwache“ und „Einfache“ sind für mich beispielsweise viel interessanter als etwa Promis oder andere Tonangeber. Echte Lebens- oder auch Dinge-Geschichten zu erfahren ist ein schwieriger, aber auch aufregender und beglückender Prozess. Und viel interessanter, als dem geschwollenen Gelaber von selbst ernannten „Kreativen“ und sonstigen Maulhelden ausgesetzt zu sein. Ich brenne dann auch darauf, die Geschichten der üblicherweise Un-Erhörten weiterzutragen, zu verbreiten. Ich kann’s einfach nicht für mich behalten.
Ab wann haben Sie gezielt gesucht?
Erst ab 1999. Im Jahr 2000 gab es in der Bundeskunsthalle in Bonn eine Ausstellung „4:3 – 50 Jahre italienisches und deutsches Design“, und der Kurator bot mir an, auch DDR-Design zu zeigen. Da sind wir losgefahren und haben wie die Wilden auf Floh- und Trödelmärkten gekauft und ich habe die Sachen ausstellungsreif gemacht. Anderes konnte ich als Leihgaben von Urhebern und Sammlern auftreiben. Das war, wenn man so will, gesellschaftliche Tätigkeit … Da hat uns keiner eine müde Mark dazugegeben.
Was hat Sie angespornt?
Es war das erste Mal nach der Wende, dass im Westen so komplex Design aus der DDR gezeigt werden konnte, vom Mitropa-Geschirr bis zu Originaldokumenten aus dem AIF, dem staatlichen Amt für industrielle Formgestaltung. Und dann bekam das eine Eigendynamik. In der Presse wurde das Design aus der DDR als eine Sensation der Ausstellung bezeichnet, und da fragte der Verleger Oliver Schwarzkopf aus Berlin an, ob ich nicht ein Buch machen möchte. 2001 erschien dann „Penti, Erika und Bebo Sher – Klassiker des DDR-Designs“. Viele der abgebildeten und besprochenen Objekte stammten nun schon aus der Sammlung, und als ich einmal dran war, wusste ich, was alles noch fehlte, um die Produktgenesen zu erzählen.
Gab es in der DDR überhaupt den Begriff „Design“?
In den ersten beiden DDR-Jahrzehnten hielt man noch eisern an der Begrifflichkeit „industrielle Formgestaltung“ fest, während im Westen schon ab Ende der 1950er Jahre zunehmend von „Design“ gesprochen wurde. Spätestens ab 1972 setzte sich dann auch in der DDR allmählich diese weltweit gebräuchliche „westliche“ Bezeichnung durch. Da gab es nämlich in der Außenhandelskammer in London eine Ausstellung des damaligen Ostberliner Zentralinstituts für Formgestaltung, später AIF, unter dem Titel „GDR Design“. Damit war der „kapitalistische Begriff“ sozusagen unter sozialistischer Flagge aufgenommen und nunmehr auch durch Partei und Regierung abgesegnet.
Was zeichnet das Design aus dem Arbeiter-und-Bauern-Staat aus?
Jetzt, aus der Entfernung und mit den Erfahrungen in einer marktwirtschaftlichen Industriegesellschaft, stellt sich heraus, dass die Sachen oft eine ganz andere Qualität hatten und haben als die, die wir heute vorgesetzt bekommen. Gestaltung und Funktion waren buchstäblich „konkurrenzlos“ an einen hohen und langen Gebrauchswert gekoppelt, Gebrauchsspuren adelten eher, als dass sie zu einem durch aggressive Werbung provozierten ständigen Wegwerfen und Neukaufen führten wie „drüben“ im Westen. Da wurden im Design Tugenden praktiziert, für die wir heute inzwischen zwar schöne Begrifflichkeiten entwickelt haben, aber leider immer noch ohne breite praktische gesellschaftliche und marktwirtschaftliche Akzeptanz.
Worauf spielen Sie an?
Auf Nachhaltigkeit, Reparaturfreundlichkeit, Wiederverwertbarkeit und auch Mehrfachverwendbarkeit. In der DDR waren das zwar keine Begrifflichkeiten, aber im Anspruch an Produktentwicklung und -gestaltung waren diese Zielsetzungen stets präsent. Wir sprachen ganz allgemein eher von „Langlebigkeit“.
Können Sie das an einem Beispiel erklären?
Warum soll ich ein neues Handrührgerät für 30, 40 Euro kaufen, von dem ich weiß, die Sollbruchstellen sind eingebaut? Ich kann bei eBay ein RG 28 aus DDR-Produktion der 70er oder 80er Jahren kriegen, und wenn mir das in die Teig- oder Puddingschüssel fällt, öffne ich drei, vier Schrauben, nehme es auseinander, putze es aus, setze es zusammen und das Gerät läuft wieder. Es gibt inzwischen Handwerker, die ganz bewusst diese alten Geräte aufarbeiten und wieder anbieten.
Mussten erst so viele Jahre vergehen, um Design aus der DDR zu schätzen?
Das ging ja zum Teil auch Leuten wie mir so, die in der Betrachtung von Gegenstandskultur geübt sind. Ich will Ihnen ein Beispiel erzählen: Dieses stapelbare Superfestglas, aus dem wir jetzt hier Wasser trinken, stammt aus dem Kombinat Lausitzer Glas. Die Gläser fanden sich in der DDR in jeder Kneipe, Gaststätte, Kantine, es war das Standardtrinkglas. Wir konnten es nicht mehr sehen, und auch ich habe mir, als ich 1988 zum ersten Mal privat in den Westen reisen durfte, aus Franken ein wunderbar handfestes Bierglas mit einem schicken Brauereiwappen mitgebracht. Endlich mal was anderes, Exotisches! Aber kurz darauf guckte ich mit einem Mal blöd aus der Wäsche und mit ganz neuem Blick tief in unser volkseigenes stapelbares Bierglas.
Wieso, was war passiert?
Im Internationalen Handelszentrum in Ostberlin gab es 1988 eine Ausstellung „Design aus der Bundesrepublik Deutschland“, die erste in der DDR. Im Jahr zuvor hatten wir eine „Design in der DDR“-Ausstellung in Stuttgart im Haus der Wirtschaft ausgerichtet. Bei der Eröffnungsveranstaltung der „BRD-Gegenausstellung“ nun am Bahnhof Friedrichstraße, ich war damals Chefredakteur von form+zweck, der DDR-Design-Fachzeitschrift, kam ich mit Philipp Rosenthal ins Gespräch. Er war nicht so sehr in seiner Eigenschaft als Chef der Firma Rosenthal da, sondern als Präsident des westdeutschen Rates für Formgebung. Er hielt so ein DDR-Glas mit Bier in der Hand und fragte mich, wer dieses tolle Glas entworfen hat. Er hätte es glatt auch in seine Produktion aufgenommen.
Haben Sie sich über dieses Interesse nicht gefreut?
Ich dachte erst, er wollte mich verscheißern. Er aber fand das leichte Stapelglas, das kaum kaputtgeht, wenn es hinunterfällt, perfekt. Da habe ich das Ding plötzlich mit anderen Augen gesehen. Wenn mir heute solche Gläser begegnen, nehme ich sie sofort mit. Im guten Sinne sind sie zeitlos und modern. Aber man bekommt sie kaum noch. In der DDR stand jedenfalls der sparsame Umgang mit Ressourcen nicht aus ökologischen, sondern aus ökonomischen Gründen im Vordergrund.
Werden diese Gläser heute, wo viel die Rede ist von Wiederverwertbarkeit und Haltbarkeit, wieder produziert?
Leider nicht. Die Produktion in der Lausitz wurde 1991 auf Anordnung neuer Investoren aus dem Westen eingestellt und die Technik verkauft. „Gläser müssen kaputtgehen! Wie soll sonst der Umsatz stimmen?“, hieß es. Das Patent an dem besonderen chemischen Fertigungsverfahren soll nach Japan verkauft worden sein.
In einem Ihrer Bücher habe ich gelesen, dass eine Scharnier-Seifendose von 1987, ausgezeichnet als „Gutes Design“, wieder hergestellt wird. Was können Sie darüber erzählen?
Es gibt noch eine ganze Anzahl von Haushaltsprodukten aus Kunststoff, die wieder oder weiter hergestellt werden, so von der Firma Sonja Plastic in Annaberg-Buchholz. Auch im Kunststoff-Presswerk Ottendorf-Okrilla bei Dresden gab es nach 1990 die Wiedergeburt eines echten DDR-Designklassikers, einer Serie von konkurrenzlos schönen und praktischen Bottichen, ausgezeichnet mit „Gutes Design“ und gestaltet von einem der profiliertesten Gefäßgestalter. Die Produktion wurde jetzt aber mangels Nachfrage eingestellt. Ein großes Problem der mittelständischen ostdeutschen Unternehmen ist es, dass die Betriebseinnahmen nie reichen, um offensive und dauerhafte Werbung machen zu können. Omega-Staubsauger aus Altenburg, leistungsstark und reparaturfreundlich, gibt es immer noch, auch Modelle, die schon in der DDR auf dem Markt waren. In den Werbebeilagen der Kaufhäuser werden Sie die aber nicht finden.
Benutzen Sie, neben den angesprochenen Gläsern und dem Rührgerät, weitere Gegenstände aus DDR-Produktion?
Beispielsweise die beiden großen Lautsprecher hier im Wohnzimmer, etwas Besseres gibt es für mich auch heute nicht. Würde ich die Radiosammlern anbieten, unter 500 Euro das Stück wären die nicht zu haben. Und Sie werden lachen: Meine Verstärkeranlage für meine Rechentechnik, ich mache auch viel Tonbearbeitung und schneide Filme, ist ein Robotron-Hi-Fi-Radio, das 1981 die Auszeichnung „Gutes Design“ bekam.
Was sind das für Filme, die Sie schneiden?
Eigene, unkommentierte Dokumentar- und Musikfilme von meinen Ausstellungen, aber auch von Länder- und Städtereisen. Das ist nur ein seligmachendes Hobby, wenn auch unsere „Premierengäste“ aus dem Freundes- und Bekanntenkreis immer mal meinen: „Das ist professionell, das gehört ins Fernsehen!“ Aber hier bin und bleibe ich gern Amateur, ich kenne meine Grenzen recht gut und behalte die Sachen für mich.
Und die Verstärkeranlage funktioniert nicht nur noch, sondern ist auch kompatibel mit der Westtechnik?
Absolut. Das ist kein Billigbauteil, und genau das war typisch für technisches Gerät in der DDR. Die Produkte mussten langlebig und reparaturfreundlich sein, weil es eben nicht diesen Modellwechsel gab wie heute. Oder die Stühle hier am Tisch, an dem wir sitzen, sind auch alle aus der DDR. Der eine ist ein Orchesterstuhl für das Funkhaus in der Nalepastraße, den Franz Ehrlich Mitte der 50er Jahre gemacht hat, ein Bauhäusler. Der hat die gesamte Architektur und Ausstattung des Funkhauses geleitet. Der Stuhl kommt aus dem VEB Deutsche Werkstätten Hellerau. Er wackelt und knirscht auch heute nicht und hat eine irrsinnig stabile Verleimung. Die Füße sind verwandt mit dem Stuhl, auf dem Sie sitzen.
Der ist sehr bequem. Was ist das für einer?
Der ist auch in Hellerau gemacht worden, der sogenannte Menzel-Stuhl. Menzel hieß der Produktionsleiter, der ihn 1950 entworfen hat. Der Stuhl wiegt keine zwei Kilo, hat nicht ein Gramm Metall, sondern ist aus einer gebogenen Fläche gefertigt, hat eine Rücklehne, die über die Sitzfläche in die Vorderbeine übergeht, und besteht aus 29 Lagen Schichtholz, die mit heißem Dampf verpresst wurden. Dann wurden noch die Hinterbeine angesetzt. Der Stuhl ist unzerstörbar, leicht und bequem. Auch dazu gibt es eine hübsche Geschichte.
Ich bin ganz Ohr.
Der Stuhl wurde nur etwa ein Jahr lang produziert. Der Handel nahm ihn nicht ab, mit 25 Mark, was damals viel Geld war, war der zu teuer und außerdem nicht repräsentativ genug.
Gibt es etwas, was Sie schon lange suchen und bisher nicht gefunden haben?
Ja, eine kleine Sache, aber eben ein Kennerstück: Anfang der 60er Jahre entwarf die Berliner Formgestalterin Christa Bohne für den Betrieb Auer Besteck- und Silberwarenwerke (ABS) die ersten Teile für ein umfangreiches Edelstahl-Hotelgeschirr. Viele kennen noch heute vor allem die Kaffee- und Mokkakännchen, die in Interhotels und auch bei der Mitropa allgegenwärtig waren. Von diesen Kännchen gibt es eine allererste Serie, bei der der Rand des Deckels nicht über den des Gefäßes hinausragt, sondern bündig mit dem Korpus ist. Nicht einmal mehr die Schöpferin, übrigens gerade 80 Jahre geworden, besitzt ein solches Exemplar. Aber es gibt auch Dinge, von denen kann ich nicht genug haben, Serienprodukte wie die legendäre Isolierkanne aus eloxiertem Aluminium von Margarete Jahny von 1959, die es in verschiedenen Farben gab.
Was treibt Sie bei Ihrem Engagement in Sachen Design aus dem Osten an?
Anfangs vor allem Ignoranz und Arroganz von Besserwessis einerseits, Ampelmännchen- und Plastehühnereierbecher-Ostalgie andererseits vielleicht. Aber inzwischen viel mehr. Dass ich sehe: der Einsatz hat Wirkung und nun ein richtiges Netzwerk von engagierten Sachwaltern, nicht nur aus den Ost-Bundesländern, hervorgerufen. Und so ein Netzwerk ist ja nun eben gerade keine Hängematte für mich zum Ausschaukeln und Gucken nach dem Motto: So, nun macht ihr mal ohne mich weiter.
Kann das Sammeln und Dokumentieren von Design aus der DDR mittlerweile als abgeschlossen betrachtet werden oder gibt es noch blinde Flecken?
Was beispielsweise den Zugang zu Dokumentationen betrifft, gibt es große blinde Flecken. Mit der De-Industrialisierung des Ostens nach 1990 sind massenweise auch Archive und Produktsammlungen der Kombinate und Betriebe verschwunden. Nachholbedarf bei der Aufarbeitung der Designgeschichte der DDR besteht besonders auf dem Gebiet Schwerindustrie und Investitionsmittel. Design ist ja nicht nur, was auf dem Tisch steht. Eine Stärke der DDR war gerade das Design für Investitionsgüter und wissenschaftliche Geräte. Aber noch etwas ganz anderes halte ich für bedenkenswert …
… und zwar?
Ich verstehe nicht, dass es kein deutsches Designlexikon gibt, das die geteilte Nation betrachtet, und kein Museum „Design und Kunsthandwerk in Deutschland“.
Eine ganz profane Frage: Wann waren Sie das letzte Mal bei Ikea?
Gerade jetzt erst wieder. Ich habe alte durchgebogene Billy-Bretter im Arbeitszimmer durch neue ersetzt.
Würdigen Sie in irgendeiner Weise das Jubiläumsjahr 25 Jahre Mauerfall?
Wir richten im „Zeitreise“-DDR-Museum in Radebeul einen Design-Pfad ein und zeigen Highlights der Produktkultur in der DDR wie auch Entwürfe von Möbeln und technischem Gerät, die nicht in Produktion gegangen sind.
Welche Produkte hätten es verdient, heute hergestellt zu werden?
Da ist diese bereits erwähnte Isolierkanne von Margarete Jahny, in den 60er Jahren im VEB Aluminiumwarenfabrik Fischbach produziert. Ich sage immer: Diese anmutige Kanne ist bis heute die schönste der Welt! Vor etwa 15 Jahren war der damalige Produktionsleiter von Manufactum bei mir. Ein Jahr lang hatte er ein Exemplar von mir gehabt und wir beide hatten die Hoffnung, einen Produzenten zu finden. Der Wunschkandidat war das Unternehmen Alfi, dem die Aluminiumwerke Fischbach in Thüringen bis 1945 gehörten, danach wurden die enteigneten Inhaber in Wertheim am Main ansässig. Was liegt näher, dachten wir uns, als dass Alfi diese Kanne heute macht. Es ist aber nicht dazu gekommen.
Warum nicht?
Der Chef von Alfi hatte eine kurze Antwort auf die Frage von Manufactum zur Produktion der Kanne: Aus einem Betrieb stammend, den uns die Kommunisten weggenommen haben, werden wir doch nicht heute etwas herstellen, was dort entworfen worden ist.
So müssen wir uns mit Trabant-Spielzeugautos und Hühner-Plastikeierbechern begnügen, die auf jedem Flohmarkt angeboten werden. Das passt doch so schön zur niedlichen, ein bisschen dämlichen DDR mit ihren Spießbürgern in Plattenbau-Bodenhaltung, nicht wahr?
Im Großen und Ganzen womöglich. Aber eine Sache habe ich dann doch erreicht. Im vergangenen Sommer war ich am Ostbahnhof in Berlin auf einer Designbörse und habe eine Studioausstellung zu den 90. Geburtstagen von Margarete Jahny und Wolfgang Dyroff gemacht. Unter den Objekten war ein Holzspielzeug, eine kleine Box als Pferdestall mit Pferden, Gattern und Bauer. Die hat Dyroff 1948 als Studienarbeit gemacht und mir den Original-Entwurf geschenkt.
Sie meinen den Formgestalter Wolfgang Dyroff, der unter anderem für das Wohnungsbauprogramm der DDR Serien von Lichtschaltern und Türklinken entworfen hat.
Ja. Dyroff zählt zu denen, die zeitlebens eine exzellente Arbeit für die Massenproduktion gemacht haben. Er gehört der allerersten Generation an, die 1951 in Weimar ein Formgestalterdiplom bekommen hat.
Was ist mit dem Pferdestall passiert?
Alle blieben davor stehen und fragten, wo der zu kaufen sei.
Und, wird er jetzt wieder hergestellt?
Nicht wieder, sondern erstmals, er ist nie in Produktion gegangen. Die Firma Form Ost aus Schwerin hat sich entschlossen, das Figurenensemble originalgetreu herstellen zu lassen. Ein Kunsttischler hat mein Exemplar vermaßt und exzellent kopiert. Ich habe den Schwerinern aber gesagt, sie sollen nicht hoffen, damit einen Spielwaren-Erfolg zu erzielen. Der Pferdestall ist schön, pfiffig und perfekt, aber kein wirkliches Spielzeug, und man kann nur eine Kleinserie machen. Doch es gibt genug Gestüte und Rennbahnen, denen man es als Firmensouvenir anbieten kann oder als Preis für ein Pferderennen. Da bin ich jetzt selbst gespannt, wie es weitergeht. Ich sage übrigens immer: Design ist nicht die Schnittstelle zwischen Kultur und Wirtschaft, sondern das Scharnier. Es bewegt beides.
Wäre das das erste Ostprodukt, das in der DDR nicht in Produktion ging und jetzt hergestellt wird?
Ich kenne noch ein interessanteres Beispiel, zwei geniale Kunststoff-Leuchten, die 1985 von Studenten an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee entworfen wurden. Sie gewannen den ersten Preis in einem Designwettbewerb des Narva-Kombinates. Hergestellt wurden „Clip+Clap“ aber erst kurz vor der Jahrtausendwende – als Raubkopien eines italienischen Produzenten. Und jetzt werden sie als Raubkopien der Raubkopien von Chinesen gefertigt. Die Italiener mussten deshalb die Produktion einstellen.
Wissen Sie von Plänen für die Herstellung weiterer Ostprodukte?
Der großartige Leipziger Möbelgestalter Rudolf Horn hat in den 1960er Jahren einen supereleganten Freischwinger-Ledersessel entworfen, der bis auf ganz wenige Ausnahmen überhaupt nicht auf den Binnenmarkt kam, sondern in den Westen ging. Ich habe einen hier bei mir zu Hause, vor einigen Jahren für 500 Euro ergattert. Er soll seltsamerweise im ZK-Gebäude der SED gestanden haben. Jetzt hat mir Horn berichtet, dass eine junge Design-Firma erneut mit der Serienfertigung beginnen will.
■ Barbara Bollwahn, 50, ist Autorin und Journalistin. Sie findet DDR-Design zeitlos schön
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen