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Und nun zum Sport

AUSSENSEITER Bei der ARD weiß man: Costa Rica ist der sympathische Underdog, profitiert aber vom Klima. Das ist Blödsinn. Aber was ist dann ihr Geheimnis?

VON DENIZ YÜCEL

Ja, das gefällt: Tanzende und singende Exoten aus einem Dritte-Welt-Land, die fröhlich ein paar Sensationen landen, ehe sie sich tränenreich verabschieden und die Erwachsenen unter sich lassen. Halb ist diese Sympathie für die Underdogs ein sehr menschliches Gefühl und Bestandteil jeder Weltanschauung (jeder ist für David, wenn er nicht gerade selber Goliath ist), halb ist sie Paternalismus, Exotisierung und Kitsch.

Bei Fußballweltmeisterschaften hatten oft Teams aus Afrika die Rolle des sympathischen Underdogs, nun ist es Costa Rica, über das gönnerhaft berichtet wird. Was für ein lustiges Völkchen aber auch. Schon während des Spiels entzückt sich ARD-Kommentator Tom Bartels im Tonfall eines Safaritouristen über ihre „Ausgelassenheit“. Für ihren Erfolg weiß er indes nur eine Erklärung, die er nicht oft genug wiederholen kann: das Wetter.

Im nordostbrasilianischen Recife ist es bei Anpfiff 13 Uhr. 29 Grad, 70 Prozent Luftfeuchtigkeit. „Das ist ihr Klima“, weiß Bartels, als ob man in der costa-ricanischen Liga, wo fast die Hälfte des WM-Kaders beschäftigt ist, zur Siesta spielen würde. Auch seine Kollegen Matthias Opdenhövel und Mehmet Scholl wiederholen die blödsinnige Behauptung, die lateinamerikanischen Teams seien bei dieser WM aus klimatischen Gründen im Vorteil.

Allenfalls erklärt die schwüle Hitze von Recife, warum die Italiener (keine Südländer?) so schlecht, aber nicht, warum die Costa Ricaner so gut waren. Eines ihrer Mittel: exakte Gegneranalyse und maßgenaue Taktik. Das kann nicht nur Joachim Löw, das kann – für die ARD unvorstellbar – auch ein Trainer, der Jorge Luis Pinto heißt und aus Kolumbien stammt.

Die Grundausrichtung seines Teams ist defensiv: 5-4-1, mit einer ungewöhnlichen Fünferkette in der Abwehr, einem sich schell verschiebenden Mittelfeld und einem einzigen Stürmer. Costa Rica lässt den Gegner kommen, um nach der Balleroberung über wenige Stationen nach vorne zu spielen. In den besten Momenten erinnern sie an das überfallartige Spiel der Holländer, nur dass sie weniger die Flügel nutzen. Sie haben eben keinen Arjen Robben.

Dafür hat ihr Trainer Ideen: Beim 3:1 gegen Uruguay – auch nicht gerade am Polarmeer gelegen – spielte sein Team bei Standards und aus dem Spiel heraus hohe Flanken auf die linke Seite. Dort stand Uruguays Rechtsverteidiger Maxi Pereira; mit einer Körpergröße von 1,73m kein Kopfballspezialist. Einen der vielen Versuche köpfte der vorgerückte costa-ricanische Verteidiger Oscar Duarte zum 2:1 ein. Und es ist noch mehr im Repertoire: die anderen Tore fielen nach schnellen, flach gespielten Kombinationen.

Gegen Italien bediente Costa Rica eine ganze Klaviatur, von rustikalen Zweikämpfen bis zu Xavi-Iniesta-Gedächtnis-Fußball. Auch nach der Führung verteidigten sie nicht einfach das Ergebnis, sondern bauten bis zuletzt eigene Spielzüge auf.

Erst diese Grundlage – ein Trainer, der sein Handwerk versteht und ein Team, das dessen Vorgaben befolgen kann – bringt die übrigen Faktoren zur Geltung: das „große Herz“ (Mehmet Scholl) oder den „Teamgeist“ (Giovane Elber). Dass deutsche TV-Kommentatoren diese Leistung ignorieren, ist nicht Inkompetenz, sondern Borniertheit.

Wer Costa Rica ernst nimmt, findet genug Schwächen: Ihre Technik wirkt oft hölzern, ihre am Gegner orientierte Spielweise ist reaktiv. Andererseits: Ihre Besten spielen für Clubs wie Piräus (Joel Campbell) oder Kopenhagen (Christian Bolanos). Die müssen einem Gegner wie Italien nicht ihre eigene Spielweise aufdrängen.

An Dienstag reicht gegen die ausgeschiedenen Engländer ein Unentschieden für den Gruppensieg. Ob im Achtelfinale gegen Japan, Elfenbeinküste oder Griechenland – Costa Rica ist Favorit. Falls das Team mit dieser neuen Rolle zurechtkommt, wird es noch leichter. Wer sich gegen zwei, drei Exweltmeister durchsetzt, wird sich vor drei weiteren nicht fürchten. Egal, bei welchem Wetter.

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