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auf dem schirmIm Migrationsvordergrund

Eins gleich vorweg: Die Özdags sind nicht die Fussbroichs. Die Kölner Familie wurde in den Neunzigern Kult, weil sie die Erwartungen der Zuschauer an einen durchschnittlichen Arbeiterhaushalt übererfüllte. Vater Fred, Mutter Annemie und Sohn Frank gingen tagsüber malochen, während sie nach Feierabend konsumierten und sorglos über Gott und die Welt plauderten. Selbst nach Ende der Serie konnten die Protagonisten nicht vom Fernsehen lassen. Frank Fussbroich zog 2004 ins Big Brother-Haus ein, während der Kölner Express über ein spätes Comeback der Proletarier auf Sat1 spekulierte.

Dass das Leben der Familie Özdag ähnlich stark vom Auf und Ab ihrer Medienkarriere beeinflusst wird, ist unwahrscheinlich. Zu bürgerlich wirkt die Existenz der neunköpfigen Familie als Feinbäcker in der Kölner Keupstraße. 1971 kam Hasan Özdag mit einem Koffer aus der Türkei nach Deutschland. Mit strenger Hand führte er das Familienunternehmen und ermöglichte seinen Kindern solide Bildungsabschlüsse. Diese dankten es ihm mit familialer Solidarität. Tochter Zülya (30) führt zusammen mit ihrer Schwester Hülya (26) die Geschäfte, während ihr Bruder Aydin (30) den Betrieb durch seine Unpünktlichkeit immer wieder torpediert. Trotz allem laufen die Geschäfte gut, die Backwaren der Özdags finden ihre Abnehmer an Rhein und Ruhr.

Verwunderlich ist es nicht, dass „Die Özdags“ Migration als eine Erfolgsgeschichte zeigt. Regisseurin Ute Diehl suchte bewusst nach einer „Bilderbuchfamilie“, die den Klischees nicht entsprach. Gemeinsam mit den DarstellerInnen erarbeitete die Dokumentarfilmerin Themenvorschläge, die anschließend vor der Kamera reinszeniert wurden. Klar, dass so alle Beteiligten im besten Licht erscheinen.

Die prototypische Folge der Özdags sieht folgendermaßen aus: Die Familie sitzt beisammen, wie es Familien eben tun, aber anstelle der typischen Unterhaltung über Windelpreise, Heizkosten und dem Schicksal der entfernten Verwandtschaft stehen Sprachprobleme, Partnerwahl und Geschlechterrollen auf der Themenliste. Uzay (35) möchte gern Deutsch mit seinem Sohn reden, die geschiedene Frau lässt aber nur Türkisch zu. Nebenbei erfährt man, dass die Kinder der Özdags deshalb erfolgreich waren, weil sie in der Schule nur wenig Kontakt zu Migranten hatten, während im Hintergrund Vater Hasan das Feuer unter dem Adana Kebab befächert.

Manchmal zeigen diese Lehrstücke multikulturellen Problembewusstseins auch komische Qualitäten, etwa wenn Nebil Özdag seinem Bruder Uzay bei der gemeinsamen Lieferfahrt die eigenen Schlager-CDs vorführt. Laut trällert er Roland Kaisers „Dich zu lieben“ und bringt den arbeitslosen Uzay damit zur Weißglut: „Du bist deutscher als die Deutschen. Selbst Deutsche hören sich sowas nicht an.“ Doch auf die Spaltung folgt die Versöhnung. Uzay hilft der Schlagerkitsch für einen Moment über seine Arbeitslosigkeit hinweg. Mal sehen, ob die Özdags dasselbe für die Probleme der Migranten leisten.

CHRISTIAN WERTHSCHULTE

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