An den Schnittpunkten operieren

Identifikation oder Distinktion durch Lesen und Schauen: Die Ausstellung „Erblätterte Identitäten: Mode – Kunst – Zeitschrift“ in Ulm handelt vom Wunsch der Kunst und der Mode, jeweils das andere zu sein – und von ihrem Wunsch, es nicht zu sein

von BRIGITTE WERNEBURG

Das Berliner Magazin 032c, dessen gerade herausgekommene 12. Ausgabe mit dem Schlagwort „Post-Heroic“ aufmacht, ist ein gutes Beispiel für die „Wechselwirtschaft zeitgenössischer Kunst- und Modemagazine“, die eine ganze Reihe von Zeitschriftenneugründungen anregte. Die englischsprachige, halbjährlich erscheinende Publikation operiert laut Selbstauskunft „an den Schnittpunkten von Mode, Kunst und Politik“. Mit diesem Anything Goes vermeidet 032c auch die gewohnte Unterscheidung, ob eine Bildstrecke noch der Mode oder schon der Kunst zuzurechnen oder ein Interview eher der Rubrik Politik oder Lifestyle zuzuordnen ist.

Ob die Kategorien von Mode und Kunst, von High and Low damit wirklich durchlässiger geworden sind, interessierte Esther Ruelfs in ihrem klugen Katalogbeitrag zur Ulmer Ausstellung „Erblätterte Identitäten: Mode – Kunst – Zeitschrift“. Haben sie sich vielleicht sogar aufgelöst? Ja, argumentiert sie, die Grenzen zwischen Kunst und Mode sind durchlässiger geworden, allerdings nur, um die Grenzen zwischen High and Low um so deutlicher zu markieren.

Denn – anders als dem gewöhnlichen Leser – sind einer kleinen wohlinformierten Gemeinde von Kennern Namen und Kontexte vertraut genug, um sich in die Arcana eingeweiht und damit in der Lage zu wissen, die grenzverletzenden Spielzüge in ihrer ganzen Raffinesse zu goutieren. Damit wurde die einmal als subkulturelle Bilderpolitik angestoßene Infiltration der Kunst mit Mode zu einem Phänomen einer neuerlichen, elitären Geschmacksbildung. Weder im Bereich der Kunst noch dem der Mode signalisiert sie tolerantere Zugangscodes oder voraussetzungsloseres Verstehen.

Dieser Vorwurf einer zirkulären und elitären Selbstverständigung ist allerdings als Erstes an die Kuratorinnen von „Erblätterte Identitäten“ selbst zu richten. Selten wird der Besucher in einer Ausstellung so alleingelassen wie jetzt im Stadthaus Ulm. Wie soll er zum Beispiel die Fotoarbeit interpretieren, mit der die Ausstellung eröffnet, wenn nur der Name Victor Burgin, der Titel „UK 76“ und die Entstehungszeit 1976 genannt sind? Wer weder mit der Kunstwelt noch dem akademischen Diskurs zu Medien- und Fotogeschichte, zu Bild-, Sprach- oder auch Gendertheorie vertraut ist, dem wird der Name Victor Burgin nichts sagen. Der kann nicht wissen, dass Burgins grundlegende Methode, um die Bedeutung und Botschaft von Bildern zu hinterfragen, die Gegenüberstellung von Bild und Text ist. Und wer des Englischen nicht mächtig ist, wird nicht verstehen, wo die Verbindung zu Mode oder Identität liegt, in dem Bild einer dunkelhäutigen Frau, die prominent aus einer Reihe von Frauen hervorragt, die nach Arbeitsende an der Straße auf den Bus warten. Denn er kann nicht wissen, dass der Text im Jargon des Modejournals von den blassen, delikaten Farbtönen spricht, die der verwöhnten Dame so gut stehen.

Dem Kenner erschließt sich zwar ohne weiteres die Stichhaltigkeit der ausgewählten Arbeiten. Trotzdem wird ihm die Präsentation von Martha Rosler, Hans Peter Feldmann, Regina Möller oder Iké Udé nur dann nicht überflüssig erscheinen, sofern sich ihre Auseinandersetzung mit dem Medium der Zeitschrift und den dort gepflegten Stereotypien von Geschlecht und Rasse, Körper- und Rollenbildern auch dem weniger beschlagenen Besucher als wegweisend vermittelt. Aber das ist in Ulm, wo die Arbeiten nur als Erkennungsmarken dienen, nicht der Fall.

Auch die aktuellen Arbeiten von Maria Hahnenkamp, Gert Rappenecker, Nairy Baghramian, Susanne Huth oder Stefanie Guse leiden unter ihrer hermetischen Präsentation. Tina Baras beindruckende „Marilyn“-Installation allerdings könnte in ihrer Selbstverständlichkeit dem Besucher Mut und Lust machen, sich auf die Arbeit einzulassen und per Video eine schon etwas ältere Monroe-Kopie in ihrem bäuerlichen Alltag in einem österreichischen Dorf zu beobachten. Oder sie in rund 150 Fotografien in exakt den Posen zu bestaunen, in denen Bert Stern die Monroe bei ihrem letzten Fotoshooting aufnahm. Hier braucht es tatsächlich keiner weiteren Erklärung, um zu erkennen, wie Identität mit Identifikation, mit der Sehnsucht nach Glamour, Größe und Schönheit zusammenhängt. Oder wie Tina Baras Monroe-Fan in ihrer ebenso tragikomischen wie eindrucksvollen Performance schließlich über die übernommenen Posen hinauswächst, zu einem ganz eigenen Ich.

Der Ausstellung gelingt das nicht – trotz der ausgelegten aktuellen Mode- und Kunstmagazine und recht anschaulich und verständlich arrangierten Vitrinen mit älteren Beispielen. „Erblätterte Identitäten“ leidet an der Begrenztheit ihres akademischen Ursprungs. Sie zeigt sich nicht nur in der missglückten Vermittlung des Themas im Museum, sondern umgekehrt auch in seiner – von wenigen Ausnahmen abgesehen – geglückten Vermittlung im Katalog. Das Verständnis dafür fehlte, dass es der Schritt in die Öffentlichkeit erfordert, den Seminarraum zugunsten des Ausstellungsraums zu verlassen.

Bis 14. 2, Katalog (Jonas Verlag) 20 €