: Von einer verlorenen Schlacht
Heute vor 25 Jahren stürmte die Polizei das Hüttendorf der Umweltschützer, die gegen den Bau der „Startbahn West“ am Frankfurter Flughafen protestiert hatten. Das Ende der Umweltbewegung gilt heute als Startschuss – für eine Umweltpartei
VON KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
Am 12. April 1984, einem Donnerstag, wurde die Startbahn „18 West“ des Frankfurter Flughafens eröffnet. Schon am Sonnabend danach hatten Autonome noch einmal ein Element der „Schandmauer“ rund um die Rollbahn durch den Mönchbruchwald mit einem Graffiti besprüht: „Die letzte Schlacht gewinnen wir!“
Noch einmal hatten sich an diesem Tag rund 10.000 Menschen versammelt, um ihren Willen zum Widerstand gegen die Piste in ihrem Wald zu demonstrieren – auch über den Eröffnungstag hinaus. „Seit dem Turmbau zu Babel ist es nun einmal das Schicksal der Bauwerke der Menschen, nicht für die Ewigkeit bestimmt zu sein; und ganz gewiss wird die Startbahn da keine Ausnahme machen“, sagte Alexander Schubart, Initiator des erfolglosen Volksbegehrens und anerkannter Sprecher der Bewegung.
Ein paar „Durchgeknallte“, so ein Sprecher der Bürgerinitiativen damals, inszenierten in einer Novembernacht 1987 dann eine allerletzte Schlacht, bei der alle verloren: die Polizei, die zwei Tote zu beklagen hatte. Und die Bewegung, die mit den Todesschüssen im Nebel aus ihren Reihen heraus endgültig ihre Unschuld verlor.
Danach knackten noch ein paar Monate lang militante Startbahngegner vereinzelte Mauerstreben – bis auch das keinen Spaß mehr machte. Was danach kam, war nur noch Trauerarbeit, „Spaziergänge“ um die „Schandmauer“.
Einige Rentner aus Mörfelden-Walldorf, der einstigen Hochburg des Widerstandes gegen die 18 West, kommen heute manchmal noch mit dem Fahrrad draußen vorbei. Wie ein Magnet zieht sie der Beton rund um die Piste heute noch an, 25 Jahre nach der Räumung des legendären Hüttendorfes der Startbahngegner im Flörsheimer Wald am 2. November 1981 – dem Anfang vom Ende der wohl gigantischsten Umweltbewegung gegen ein Bauprojekt in der Geschichte der Bundesrepublik.
Die Elemente mit Graffiti gegen die „Schweinebande“ in Wiesbaden um den damaligen hessischen Ministerpräsidenten Holger Börner (SPD) und die „Umweltverbrecher“ von der FAG (Flughafen Aktiengesellschaft) sind längst ausgetauscht.
Oft nur in Minutenabständen donnern die wegen ihrer Geschwindigkeit im Frühnebel nur noch als Farbstreifen wahrnehmbaren Flugzeuge vorbei. Am einstigen „Chaoteneck“ im Süden der Trasse, wo sich die ganz harten Startbahnkämpfer mit der Polizei allabendlich zu Scharmützeln versammelten, sind die Maschinen aus aller Welt schon hoch in der Luft. Leider nicht ganz so hoch, wie sich das die Einwohner etwa von Rüsselsheim, Büttelborn oder Groß-Gerau wünschen würden, die permanent in der Lärmfalle sitzen, weil sie unter den Abflugrouten wohnen.
Im Gartenlokal der Mönchbruchmühle – nur rund zwei Kilometer Luftlinie von der Rollbahn entfernt – wackeln bei direkten Überflügen die Tische und der Apfelwein schwappt über die Gläserränder. Die meisten Gäste des (eigentlich) idyllisch gelegenen Ausflugslokals in dem von der Startbahn durchschnittenen Mönchbruchwald nehmen es inzwischen gelassen; nur die Alten, die mit dem Rad gekommen sind, drohen den Fliegern noch immer mit der Faust. Eine Geste der Ohnmacht. Und ein Beleg dafür, dass der verlorene Kampf gegen die Betonpiste in der Region nicht vergessen ist.
Karl (77) aus Mörfelden-Walldorf ist einer von denen, die es ein- bis zweimal pro Woche noch immer raus an die Startbahn zieht. Der zur Hoch-Zeit der Auseinandersetzungen um die 18 West noch bei Opel in Rüsselsheim arbeitende Werkzeugmacher fährt dann mit dem Rad immer an der Stelle im Wald vorbei, an der er und seine Frau „den Glauben an unser Land und seine demokratische Ordnung verloren haben“.
Bürger auf den Barrikaden
Die Bürgerinitiativen hatten an diesem Tag nach der Nacht, in der ganze Heerscharen von Polizisten ganz unerwartet das Hüttendorf überfallen hatten, „alle Startbahngegner“ zum Massenprotest in den Wald mobilisiert. Und alle waren auch gekommen: die legendären Küchenfrauen aus Mörfelden-Walldorf, die bis zur Räumung die Bewohner der Baumhäuser und Bretterbuden auf der noch nicht gerodeten Trasse der 18 West Tag für Tag bekocht hatten; die Opel-Arbeiter und die von den Farbwerken; die Schüler und Studenten.
Am Vormittag schon waren 10.000 Startbahngegner draußen vor dem abgeriegelten Hüttendorf, in dem die Bagger und Raupenfahrzeuge nun auch die wetterfest gebauten Blockhütten zerstörten. Groß war die Wut in der sprichwörtlich gewordenen „Koalition der Lang- und Grauhaarigen“. Und von den zur Militanz neigenden Startbahngegnern vor allem aus Frankfurt und Wiesbaden hatte es sich sowieso kaum einer nehmen lassen, im Wald (schwarze) Flagge zu zeigen.
Aus dem Dorf heraus war ein mit überlangen Schlagstöcken bewaffnetes „Killerkommando der Polizei“, so Karl heute, über sie und weitere Bürgerinnen und Bürger hergefallen, die friedlich gegen die Räumung protestiert hatten. „Die haben draufgehauen, bis die Schwarte krachte.“ Und so schnell, wie sie auftauchten, seien „die Kerle mit den in Tarnfarben gestrichenen Helmen“ auch wieder im Wald verschwunden. Aus Platzwunden blutende Bürgerinnen und Bürger hätten „überall herumgelegen“, Karl selbst trug eine klaffende Wunde über dem linken Auge davon.
Jagdszenen in Südhessen? Ärzte sprachen von einem „Schlachtfeld“. Die Wut war grenzenlos. Rentner wollten „losbomben“; Jugendliche schossen am Abend im Schutz der Dunkelheit gezielt mit Stahlschrauben auf Polizisten. Wer dabei war, wundert sich noch heute, dass es nicht damals schon Tote gab. Mit der Hüttendorfräumung jedenfalls war der Widerstand gebrochen, und das alltäglich gewordene Bild einer „Region im Ausnahmezustand“ sollte bald nur noch Geschichte sein.
Was aber ist geblieben? Viele glauben: Gar nichts. Die Piste ist heute kein Thema mehr. Und nur noch ganz wenige – etwa den Schriftsteller Peter Härtling – beschleicht noch immer ein mulmiges Gefühl, wenn ihr Ferienflieger über die 18 West startet.
Viele Protagonisten der Bewegung haben inzwischen Karriere gemacht. Einer der bekanntesten und härtesten Kämpfer gegen die Startbahn, Achim Bender aus Groß-Gerau, ist heute Mitglied der CDU in Rüsselsheim. Damals hatte Bender die Bewegung noch davor gewarnt, „ins Spinnennetz der Parteien zu geraten“. Die nämlich seien die „Erbschleicher der Bewegung“.
Startbahn als Sprungbrett
Tatsächlich wurden die Grünen in Hessen in den frühen 80er-Jahren von der Startbahnbewegung in die Parlamente gespült; lokal und auf Landesebene. Ohne einmal Sprecher der Bürgerinitiative gewesen zu sein, wäre etwa eine „Träne“ (Bender) wie Dirk Treber aus Mörfelden-Walldorf wohl niemals Mitglied des Hessischen Landtages geworden; und vielleicht auch Joschka Fischer nicht. Der spätere Außenminister trat der Partei erst bei, als klar war, dass die Grünen von der Startbahnbewegung in den Landtag gespült werden würden.
Es gab aber auch später noch Worte der Ermutigung: Sie wolle die Erfahrungen aus dem Kampf gegen die Startbahn 18 West trotz der umfassenden Niederlage und der „Bitterkeit danach“ nicht missen, sagte etwa Käthe Raiss (BUND) auf einer kleinen, von den Pfarrern organisierten Trauerkundgebung in Mörfelden-Walldorf zur Pisteneröffnung: „Dauerhafte Freundschaften sind entstanden. Und man hat sich gemeinsam gefreut und dann gemeinsam geweint, als man sich der Ohnmacht gegenüber den Herrschenden bewusst geworden ist.“
Trotzdem scheint die Region aktuell wieder zum Kampf bereit, denn eine neue Landebahn für den Rhein-Main-Flughafen ist in Planung, im Wald bei Kelsterbach, wieder im Landkreis Groß-Gerau. Aber keinem Menschen würde es heute einfallen, Bäume zu vernageln, Hütten zu bauen oder sich gar blutige Schlachten mit der Polizei zu liefern.
Gestritten wird nicht mehr vor Zäunen, sondern vor den Verwaltungsgerichten; und in vorderster Front schlagen sich nicht mehr Anwohner und zugereiste Anarchisten, sondern die Anwälte der Anliegerkommunen mit ihren gut gefüllten „Kriegskassen“ – mit den Advokaten der Flughafenbetreibergesellschaft Fraport AG und der ausbauwilligen hessischen Landesregierung unter Roland Koch.
Oft sind es ganz profane Gründe, die Bürgerinnen und Bürger dazu veranlassen, den Initiativen beizutreten oder Geld zu spenden, etwa der drohende Wertverlust ihrer Häuser und Grundstücke bei zukünftigen Überflügen.
Gut möglich, dass die Kinder der Startbahnbewegung mit dieser nüchternen Strategie erfolgreich sein werden. Erfolgreicher jedenfalls, als es ihre idealistischen Eltern waren, die damals, draußen im Wald, immer auch noch die Welt verändern wollten.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen