: Die Pillenmafia
SCHWARZMARKT Die organisierte Kriminalität hat den Medizinhandel entdeckt. Obwohl nichts so streng kontrolliert wird wie das Geschäft mit Arzneimitteln: Der Sparzwang der Kassen ebnet den Kriminellen den Weg
■ Die Zunahme: Die Zahl der Diebstähle von Medikamenten aus Kliniken ist in Italien in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Berichteten Zeitungen 2011 noch über vier, waren es 2013 laut einer Studie der italienischen Organisation Transcrime schon 51. Der Wert der in Krankenhäusern gestohlenen Pillen und Pulver belief sich im vergangenen Jahr demnach auf mehr als 10 Millionen Euro. Besonders oft wurden die Diebstähle im Süden Italiens verzeichnet, allein fünf in Neapel.
■ Die Mafia: Die Analysten stellten fest, dass Medikamente häufiger in Gegenden geklaut werden, in denen eine der italienischen Mafias aktiv ist. Außerdem nahmen sich die Diebe öfter Kliniken in Regionen vor, die nah an Osteuropa liegen – vermutlich weil die erbeuteten Medikamente zunächst einmal in diese Märkte geschmuggelt werden. Von dort aus kann die Ware über Zwischenhändler wieder nach Westeuropa gelangen.
AUS BERLIN UND ROM HEIKE HAARHOFF UND MICHAEL BRAUN
Die Mitarbeiterin der mibe GmbH im sachsen-anhaltischen Brehna wundert sich. Eines der Glasfläschchen mit dem Brustkrebsmedikament Herceptin enthält eine Flüssigkeit, nicht das übliche gelblich-weiße Pulver. An diesem 2. April soll das Arzneimittel, das aus Italien über einen britischen Händler nach Brehna gekommen ist, bei der mibe GmbH für den deutschen Markt neu verpackt werden. Wie ist die Flüssigkeit in die Ampulle geraten? Und warum passt die Chargennummer auf dem Karton nicht zur Nummer auf dem Fläschchen?
Noch am selben Tag schickt der Geschäftsführer der Firma eine Nachricht an das Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt in Halle, Abteilung 6, Referat 604c, zuständig für pharmazeutische Fragen. Die mibe GmbH meldet: Verdacht auf Arzneimittelfälschung.
Zwei Wochen später bestätigt die Europäische Arzneimittelagentur: Der Fund aus Brehna ist die Spitze des wohl größten europaweiten Medikamentenfälschungsskandals der vergangenen Jahre. Auch in Finnland und Großbritannien sind inzwischen manipulierte Herceptin-Fläschchen entdeckt worden. Die Ampullen enthalten den Herceptin-Wirkstoff Trastuzumab nur noch in verdünnter Form. In einer befindet sich stattdessen irgendein Antibiotikum.
44 Paletten Viagra einfach von der Straße weggeklaut
Zum ersten Mal lässt sich damit nachweisen, dass gefälschte und gestohlene Medikamente aus Italien in den streng überwachten deutschen Arzneimittelmarkt eingeschleust wurden. „Die Entdeckung der Manipulation war der erste konkrete Hinweis darauf“, wird das Paul-Ehrlich-Institut im Juni gegenüber der taz einräumen. Die Bundesbehörde ist zuständig für die Zulassung und die Sicherheit biomedizinischer Arzneimittel in Deutschland.
Auf welchen Kanälen sind die Medikamente ins Gesundheitssystem gelangt?
Denn was die Behörden noch viel mehr beunruhigt als die manipulierten Ampullen, sind all die anderen Herceptin-Chargen, mehrere Tausend Fläschchen, die zwar noch den Originalwirkstoff enthalten, aber niemals auf den deutschen, englischen, österreichischen, schwedischen oder finnischen Markt hätten gelangen dürfen: Der Pharmakonzern Roche hatte sie ausschließlich für Kliniken in Italien hergestellt und dorthin liefern lassen. Trotzdem sind diese Arzneimittel jetzt über Europa verteilt. Die Spuren führen zur organisierten Kriminalität.
Immer wieder wurden in den vergangenen Jahren Krebsarzneibestände aus italienischen Krankenhäusern geplündert. Selbst leere Packungen wurden aus dem Abfall gestohlen. Ob bestechliche Fahrer oder korruptes Klinikpersonal in die Diebstähle verstrickt sind, ist unklar. Klar ist: Es geht um einen volkswirtschaftlichen Millionenschaden.
In Wiesbaden sitzt Kriminalhauptkommissar Klaus Gronwald an einem warmen Sommertag in einem zellenartigen Büro des Bundeskriminalamts und erklärt Täterprofile. Beim BKA ist Gronwald seit mehr als 15 Jahren. Da war dieser Sattelschlepper mit 44 Paletten Viagra, der in Belgien einfach von der Straße weggeklaut wurde, die Diebe hatten den Fahrer überfallen. Da war diese viel beworbene UN-Spendenaktion für Westafrika, von deren Medikamenten aber bei den Menschen in den Ländern selbst nie etwas ankam. Und da waren die vielen Dopingfälle. Für die Täter sind Arzneimittel nichts anderes als ein Wirtschaftsgut. Ein lukratives.
Gronwald trägt einen Dreitagebart zu einem beigen Kurzarmhemd, wenn er spricht, klingt er wie ein geduldiger Sozialkundelehrer: „Bei den Arzneimittelkriminellen handelt es sich vielfach nicht um Einzeltäter. Vielmehr arbeiten sie in Gruppen grenzüberschreitend zusammen.“ Und: „Die Täter arbeiten international.“ Kunstpause. „Also müssen auch die Strafverfolgungsbehörden international kooperieren.“
In Rom sucht Domenico Di Giorgio am Besprechungstisch inmitten des wuchtigen Palazzos der Agenzia italiana del farmaco nach Erklärungsmustern. Warum Arzneimittel? Warum Italien? Di Giorgio sagt: „Einer, der in Italien mit einem Tütchen Kokain erwischt wird, hat beste Chancen, ins Gefängnis zu kommen. Wenn er gefälschte Medikamente in der Tasche hat, ist sein Risiko viel geringer.“
Klaus Gronwald in Wiesbaden ist Leiter des Sachgebiets Arzneimittelkriminalität beim BKA. Domenico Di Giorgio in Rom ist Leiter der Abteilung „Prävention und Bekämpfung der Medikamentenfälschung“ bei der italienischen Arzneimittelbehörde Aifa. Herceptin, das ist nicht erst seit Brehna auch ihr Fall.
Seit eineinhalb Jahren versuchen internationale Ermittlerteams, organisierten Kriminellen in Italien auf die Schliche zu kommen: In Lodi in der Lombardei setzten die Diebe ein Blaulicht auf einen Alpha Romeo, winkten Laster heraus und zogen dann die Waffen. In Bologna holten sie geparkte Anhänger mit dem Traktor. Betroffen sind die Krebspräparate Mabthera, Avastin und Herceptin, also die drei umsatzstärksten Produkte des Pharmagiganten Roche, aber auch das Antirheumatikum Remicade, das Krebsmedikament Alimta oder das Hormonpräparat Humatrope des Pharmariesen Lilly.
Es sind teure Arzneimittel, die nur unter strenger ärztlicher Aufsicht verabreicht werden dürfen. Häufig werden sie nur für Kliniken hergestellt. Herceptin etwa muss bei minus 20 Grad Celsius tiefgekühlt gelagert und transportiert werden, schon 150 Milligramm kosten in Deutschland knapp 700 Euro. Für die Herceptin-Behandlung einer Brustkrebspatientin zahlen Kassen im Schnitt etwa 50.000 Euro.
Klaus Gronwald sagt es so: Die Täter wollten hohe Gewinne. „Dabei nehmen manche auch die Gefährdung von Menschen in Kauf.“
Was, wenn die Ampullen nicht beim Umpacken aufgefallen wären, wenn sie in Kliniken krebskranken Patienten verabreicht worden wären? Todkranken, für die solche Medikamente oft die letzte Hoffnung sind.
Bislang galt es als nahezu unmöglich, gestohlene Arzneimittel innerhalb der EU zu vertreiben. Kaum ein Wirtschaftsgut wird so stark kontrolliert. Jeder Schritt, von der Produktion über die Zulassung und den Transport bis hin zur Auslieferung an Apotheken, Krankenhäuser und Patienten ist akribisch dokumentiert und kann damit zurückverfolgt werden. Wer dagegen verstößt, riskiert Geld- und Haftstrafen.
Als gefälscht gelten Arzneimittel laut der Humanarzneimittelrichtlinie der EU schon, wenn sie falsche Angaben über ihren Vertriebsweg aufweisen, aber ansonsten Originalware sind. Wenn der Weg nämlich nicht lückenlos zurückzuverfolgen ist, kann niemand mehr garantieren, dass etwa die Kühlkette eingehalten wurde.
Bringt der Fall Herceptin das System des vermeintlich sicheren Arzneimittelverkehrs in Deutschland und Europa gerade ins Wanken?
Ein enger Raum im Palazzo der italienischen Arzneimittelbehörde, zwei Schreibtische, ein kleiner, runder Besprechungstisch, alles schmucklos. Domenico Di Giorgio, 48 Jahre alt, ist ein kleiner, etwas fülliger Mann mit einem runden Gesicht und Halbglatze. Er wirkt engagiert, aber spricht sehr ruhig, seine Gesten sind sparsam.
Di Giorgio ist promovierter Chemiker. Seit Jahren verfolgt er, wie die Zahlen der Diebstähle steigen. 155 waren es 2013, ein Fall fast an jedem zweiten Tag. Früher, erinnert sich Di Giorgio, sei mal ein bisschen Botox entwendet worden, das dann für Schönheitssalons illegal vermarktet wurde, oder Dopingmittel verschwanden und tauchten auf dem Schwarzmarkt wieder auf. Aber nun hatten die Diebe offenbar einen Weg gefunden, die Hehlerware im großen Stil zu vertreiben. Einen Kanal, sagt Di Giorgio.
„Wir haben präzise Hinweise, dass da die organisierte Kriminalität am Werke ist“, stellt er fest. Die gestohlenen Medikamente aus ganz Italien würden gesammelt und in den europäischen Markt geschleust. Dazu dienten eigens dafür geschaffene Firmen, in Lettland oder Ungarn.
Viele Verbindungen führen in den Großraum Neapel, weshalb in italienischen Zeitungen immer wieder der Verdacht geäußert wird, die neapolitanische Mafia stecke hinter den Deals. So konkret will Di Giorgio nicht werden. „Man darf nicht vergessen, dass diese Zone generell eine wichtige Rolle im Handel spielt, allein schon wegen des bedeutenden Hafens von Neapel. Aus Neapel stammen auch zwei oder drei der völlig legal agierenden Pharmazie-Exporteure.“
Auf die aktuelle Krise hätten Italien und Großbritannien binnen Stundenfrist mit Inspektionen reagiert. „Ein zersplittertes System wie das der deutschen Bundesländer dagegen macht eine umgehende Intervention weit schwieriger“, sagt Di Giorgio.
Das Landesverwaltungsamt im sachsen-anhaltischen Halle, bei dem das Schreiben der mibe GmbH über das gefälschte Krebsmittel am 2. April eingeht, ist eine von knapp 40 dezentral organisierten Behörden, die in Deutschland den Arzneimittelverkehr überwachen sollen. Es ist daneben zuständig für 1.200 weitere Aufgaben – von der Ausstellung von Schwerbehindertenausweisen bis zur Bewilligung der Kriegsopferfürsorge. Eine zentrale Arzneimittelüberwachung existiert nicht, weder in Deutschland noch in Europa.
Die Inspektoren aus Halle stellen die komplette Herceptin-Lieferung in Brehna vorsichtshalber unter Quarantäne. Für eine fundierte biochemische Analyse fehlen dem Amt die nötigen Unterlagen zu Herceptin, seine Zulassungsdaten, seine Rezeptur. Das Landesverwaltungsamt informiert das Ministerium für Arbeit und Soziales in Sachsen-Anhalt. Dieses wiederum setzt alle anderen Landesbehörden in Kenntnis sowie die beiden deutschen Arzneimittel-Zulassungsbehörden, das Paul-Ehrlich-Institut und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Das Paul-Ehrlich-Institut meldet den Vorfall der Europäischen Arzneimittelagentur in London weiter, die Herceptin EU-weit zugelassen hat, sowie den anderen EU-Mitgliedstaaten. Das entspricht der gesetzlichen Meldekette. Ironischerweise heißt sie Rapid Alert System.
Erst der Hersteller Roche kann über den Inhalt des Fläschchens aufklären, obwohl er da längst nicht mehr dafür haftet. Die mibe GmbH in Brehna verpackt es nur neu für den deutschen Markt – im Auftrag der Cancernova GmbH, eines pharmazeutischen Unternehmens mit Sitz in Grünwald bei München, vom selben Geschäftsführer geleitet, auf den Vertrieb von Krebsmedikamenten spezialisiert.
Cancernova ist ein Parallelvertreiber. So nennt man Firmen, die Marken-Arzneimittel unter dem eigenen Namen anbieten, ohne sie selbst hergestellt zu haben. Dazu kauft Cancernova etwa Herceptin des Weltmarktführers Roche in einem EU-Staat mit eher niedrigen Arzneipreisen, beispielsweise Italien. Das Ganze verkauft die Firma dann unter dem Cancernova-Label in einem Land mit eher hohen Arzneipreisen, beispielsweise Deutschland.
Es profitieren nicht nur die Firmen, sondern auch die deutschen Krankenkassen und ihre Versicherten. Für die Parallelimporte müssen sie den Apotheken weniger zahlen. Der Parallelhandel ist nach deutschem Arzneimittelrecht nicht bloß legal. Er ist politisch erwünscht, wie das Bundesgesundheitsministerium versichert: „Das Preisgefälle in den Mitgliedstaaten ist der wirtschaftliche Antrieb für die Unternehmen.“
Was denkt der Arzt, wenn das Mittel nicht anschlägt?
Am 11. April nimmt die Staatsanwaltschaft Halle aufgrund der Mitteilung des Landesverwaltungsamts Ermittlungen gegen Unbekannt auf. Geführt werden diese Ermittlungen von der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost in Dessau-Roßlau. Beteiligt sind daneben das Landeskriminalamt und das Bundeskriminalamt. Neun Tage nach der Entdeckung des Fläschchens sind die Ermittler auf nationaler Ebene jetzt vernetzt.
Um den Schaden zu begrenzen, starten die europäische Arzneimittelbehörde und das deutsche Paul-Ehrlich-Institut nun eine beispiellose Rückrufaktion: Am 16. April werden zehn Herceptin-Chargen zurückgerufen. Am 17. April folgt der Rückruf für 21 weiteren Chargen, darunter H4105B01, H4136B02, H4150B01. Wenige Tage später werden in Deutschland weitere gefälschte Arzneimittel aus Italien zurückgerufen: Remicade. Alimta. Humatrope. Mabthera. Avastin.
Großhändler, Kliniken, Apotheken und Ärzte in Deutschland erhalten ab dem 22. April Briefe mit Warnhinweisen, wie sie möglicherweise gefälschtes Herceptin erkennen können: „Flüssigkeit in der Durchstechflasche. Einstiche im Gummistopfen.“ Und natürlich die Nummern der gestohlenen Chargen. Die Liste ist lang.
Alle zurückgerufenen Chargen sollen sichergestellt und vernichtet werden. Allerdings, teilt das Paul-Ehrlich-Institut mit, seien Arzneimittel teilweise schon zur Behandlung von Patienten eingesetzt worden. Wie viele genau? Niemand kann das sagen. Eine Charge, das sind in der Regel 10.000 bis 15.000 Fläschchen Herceptin. Die Behörde mahnt zur Ruhe: „Das Paul-Ehrlich-Institut hat keine Risikosignale für möglicherweise mit solchen Behandlungen verbundene Nebenwirkungen entdeckt“, schreibt das Institut der taz. Dass die Gesundheit von Patienten gefährdet sein könnte, dafür gebe es bis heute keine Hinweise.
Wie auch? Krebspräparate, die nicht mehr steril sind oder wegen falschen Transports nicht mehr wirken, sehen ja nicht etwa anders aus. Ein Arzt, der so ein Medikament verabreicht, wird kaum auf die Idee kommen, eine einzelne Ampulle zu verdächtigen, wenn das Mittel nicht anschlägt. Er wird eher davon ausgehen, dass die ganze Therapie für die Patientin nicht geeignet ist. Die Folgen können fatal sein.
Wie aber konnte das manipulierte Mittel aus Brehna in den legalen Vertrieb eingespeist werden? Was ist der „Kanal“, von dem der italienische Arzneimittelaufseher Di Giorgio spricht?
Hans-Georg Feldmeier, der mibe-Geschäftsführer, will über ihre Verbindungen zu anderen Händlern nichts preisgeben: „Da darf ich nicht Einblicke gewähren im Detail als Geschäftsführer, da bitte ich um Verständnis.“ Hat es solche Fälschungen in der Vergangenheit schon einmal gegeben? „Das“, sagt Feldmeier, „ist mir jetzt nicht bewusst.“
Es ist eine Kriminalitätsbranche, die einen hohen Aufwand erfordert. Die Ware muss zwischengelagert werden, es braucht sichere und vor allem: immer neue Orte, um zu verschleiern, wo die gestohlene Ware herkam. Später wird vielleicht eine Druckerei benötigt, die neue Beipackzettel in anderen Sprachen druckt oder den Aufdruck des Haltbarkeitsdatums fälscht. Jemand muss die legalen Vertriebskette bis in ihre Details kennen, um ihre Schlupflöcher zu nutzen.
Apotheker scheiden als Abnehmer gestohlener Medikamente eigentlich aus, sie kaufen bei Großhändlern. Wenn plötzlich ein einzelner Anbieter auftaucht mit nichts anderem als Tausenden Fläschchen Herceptin im Angebot, dürften sie misstrauisch werden. Hersteller wie Roche oder Lilly liefern ihre Ware meist ohne Zwischenhändler direkt an den Kunden.
Einfacher dürfte es sein, den legalen Parallelvertrieb auszunutzen – indem man dort Verbündete sucht. Oder Zwischenhändler anbohrt, die nicht so genau hinschauen wollen, woher die Ware wirklich stammt.
Genau dieser Parallelvertrieb beschäftigt Klaus Gronwald in diesen Tagen ganz besonders. Apotheker sind, weil die Krankenkassen Geld sparen wollen, gesetzlich verpflichtet, mindestens fünf Prozent ihrer Arzneimittel aus Parallelimporten abzugeben. Allein in Deutschland gibt es deswegen mehr als 4.000 zugelassene Großhändler. Einige arbeiten wie Broker: Sie scannen die europäischen Arzneimittelmärkte nach günstigen Angeboten und bieten sie andernorts Händlern an. Fehlende Zollkontrollen auf dem gemeinsamen EU-Markt, vor allem aber die extremen Preisunterschiede zwischen einzelnen Ländern begünstigen solche Geschäfte.
Ein und dasselbe Medikament etwa kann in Deutschland das Zehnfache von dem kosten, was man in Rumänien dafür zahlt. Das weckt Begehrlichkeiten. Mit den Medikamenten selbst kommen viele Händler dabei oft gar nicht in Berührung. Klaus Gronwald ist Beamter. Er vermeidet politische Wertungen: „Arzneimittel können in der EU ganz legal mehrere Länder durchlaufen, bevor sie beim Endverbraucher ankommen. Die Rückverfolgung der Lieferwege kann dadurch erschwert werden.“
Die internationalen Ermittler müssen schnell sein. „Italien hat die hier vorliegenden Daten sofort zugänglich gemacht, auch über ein Internetportal. Wir arbeiten jetzt daran, in Echtzeit Daten zu Diebstählen zu kommunizieren, mit sofortigen Alerts“, sagt Domenico Di Giorgio in seinem kleinen Büro in Rom.
Seit Beginn ihrer Ermittlungen sei die Zahl der Medikamentendiebstähle signifikant zurückgegangen. „Momentan ist der Kanal versperrt“, glaubt er. Aber irgendwo dürfte jemand an einem neuen arbeiten.
■ Heike Haarhoff, 44, ist taz-Gesundheitsredakteurin
■ Michael Braun, 56, ist taz-Korrespondent in Rom
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen