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„Die Zusatzbeiträge werden rasch steigen“

Mit der Gesundheitsreform verstärkt sich die Ungleichheit in der Krankenversorgung, sagt Hans-Ulrich Deppe. Die kleinen Kopfpauschalen sind der Anfang vom Ausstieg aus der Solidarität, meint der Gesundheitssystemforscher

taz: Herr Deppe, Sie halten die Versicherten für die Verlierer der Gesundheitsreform. Ist diese Einschätzung nicht ein wenig einseitig?

Nein. Im Entwurf zur Gesundheitsreform 2006 werden neue Elemente eingeführt, die zu Lasten der Versicherten gehen können: Ich denke dabei insbesondere an die Zusatzbeiträge, die die Krankenkassen erheben können. Diese kleinen Kopfpauschalen werden allein von den Versicherten bezahlt – im Gegensatz zu den Beiträgen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer noch weitgehend paritätisch bezahlen. Das ist die Hauptstoßrichtung der gesamten Reform – es ist der Versuch, noch stärker aus der paritätischen Finanzierung auszusteigen.

Die Kassen müssen die Beiträge aber nicht nehmen, sie können sogar Prämien zurückerstatten.

Der Zusatzbeitrag ist der Knackpunkt der geplanten Reform. Er ist das Ventil, wenn Beitragseinkommen und Steuerzuschüsse sinken, dann etwa, wenn die Konjunktur sich verschlechtert, und die Kassen unter finanziellen Druck geraten. Um die Versorgung, die im Sozialgesetzbuch garantiert ist, aufrechtzuerhalten, sind Zusatzbeiträge die einzige Möglichkeit für die Kassen, sich das fehlende Geld zu holen.

Der Zusatzbeitrag soll auf ein Prozent des Einkommens begrenzt werden. Insofern sind die Versicherten doch vor finanzieller Überforderung geschützt?

Ich gehe fest davon aus, dass, wenn Druck entsteht, diese Prozentzahlen schnell geändert werden. Die Grenze wird sicher auf drei, vier oder fünf Prozent steigen.

Wie lange geben Sie der Ein-Prozent-Klausel?

Das Beispiel der Schweiz zeigt, dass Kopfpauschalen sehr rasch steigen können. Dort wurde ein Kopfpauschalensystem eingeführt. Am Anfang waren diese Pauschalen sehr moderat. In den letzten drei, vier Jahren sind sie um das Doppelte und Dreifache gestiegen, etwa von 300 auf 700 Franken. Mehr als ein Drittel der Haushalte benötigt inzwischen einen staatlichen Zuschuss.

Man kann den Zusatzbeiträgen aber entgehen, indem man die Kasse wechselt.

Die Wechsler werden nicht die alten Schwerkranken oder die 20 Prozent chronisch Kranken sein. Das sind die jungen Computerorientierten.

Immerhin gibt es bei dieser Reform keine Leistungskürzungen. Das zumindest ist doch ein Plus für die Versicherten?

Zunächst einmal ja. Aber wenn eine Kasse finanziell klamm wird, will sie natürlich keinen Zusatzbeitrag erheben, denn das würde insbesondere Junge und Gesunde abschrecken. Dann werden Leistungskürzungen diskutiert. Die Kassen wissen natürlich, dass sie 80 Prozent ihrer Ausgaben für 20 Prozent der Versicherten tätigen. Das sind teure Versicherte. Nach betriebswirtschaftlicher Logik müssen die Kassenmanager versuchen, diese Versicherten fernzuhalten.

Wie will man denn ältere und kranke Menschen loswerden? Es gibt doch eine Versicherungspflicht!

Sie können natürlich nicht rausgeworfen werden, aber willkommen sind sie auch nicht. Man wird sie auf jeden Fall nicht mit werbenden Maßnahmen zuvorkommend behandeln. Das ist jetzt schon zu beobachten.

Ulla Schmidts Botschaft lautet, dass weiterhin jeder Anspruch auf medizinische Behandlung auf der Höhe der Zeit hat. Lügt sie?

Ich unterstelle ihr das nicht. Aber ich denke, sie schätzt das falsch ein. Es gibt gerade aus dem Ausland Beispiele dafür, dass das nicht so bleibt.

In Zukunft soll das Gesundheitssystem stärker durch Steuern finanziert werden. Werden die Versicherten entlastet?

Ich bin prinzipiell kein Gegner von Steuerfinanzierung, denn bei der Krankenversorgung handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Aber es ist wichtig, darauf zu schauen, wer durch das Steuersystem begünstigt und wer dadurch benachteiligt wird. Ich sehe außerdem das Problem, dass im Gesundheitswesen Politik nach Kassenlage gemacht wird. Die 4,2 Milliarden Euro, die bereits aus der Tabaksteuer in das Gesundheitswesen geflossen sind, wurden gestrichen und zum Stopfen von Haushaltslöchern verwendet.

Auch die Beiträge sollen künftig staatlich festgelegt werden. Eigentlich müsste das den Linken doch gefallen – mehr Staat, weniger Markt. Plädieren Sie im Gesundheitswesen nun für mehr Markt und weniger Staat?

Nein, nein. Aber man kann die staatliche Gestaltungsmacht dazu nutzen, um das Gesundheitssystem zu privatisieren. So wie es Margaret Thatcher in England getan hat. Ich fürchte in einer Zeit, wo Privatisierungen auf der politischen Tagesordnung stehen, könnte der Staat nur zu diesem Zwecke mehr Gestaltungsmacht an sich ziehen.

Unser System wird trotz staatlicher Steuerung immer unsolidarischer?

Auf jeden Fall. Ich denke, dass die Versicherten langfristig in eine schlechtere Position kommen. Es wird eine Grundversorgung für die unteren Sozialschichten geben, die nicht mehr alles abdeckt. Für die mittleren und oberen Schichten werden Zusatzversicherungen angeboten.

Was wäre nötig gewesen, um die Solidarität im gesetzlichen System zu stärken?

Union und SPD sind im Wahlkampf mit zwei Modellen angetreten: Kopfpauschale und Bürgerversicherung. Ich denke, der jetzige Entwurf liegt näher an den Vorstellungen der Kopfpauschale. Von der Bürgerversicherung ist so gut wie nichts mehr übriggeblieben. Die Bürgerversicherung hätte eine Ausweitung der Solidarität zur Folge gehabt – denn das hätte bedeutet, dass auch Beamte und Selbstständige in die gesetzliche Krankenversicherung kommen.

Zehn Prozent der Bevölkerung sind privat versichert. Retten diese zehn Prozent die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung?

Nicht allein. Aber mittelfristig würde sich diese breitere Finanzierungsgrundlage positiv auswirken.

Gibt es dafür auch ein Beispiel aus dem Ausland?

In Holland, wo der Fonds herkommt, sind die privaten Krankenversicherungen den gesetzlichen Krankenversicherungen gleichgestellt worden. Aber für eine Evaluation ist es noch zu früh.

Können Sie ein Gesundheitssystem empfehlen, von dem wir hier in Deutschland lernen können?

Ein Modell, das ich empfehlen könnte, gibt es nicht. Grundsätzlich können Gesundheitssysteme nicht wie Spielbälle ausprobiert werden. Sie sind historisch und kulturell stark verankert und werden im Zusammenhang mit dramatischen gesellschaftlichen Ereignissen eingeführt oder verändert. Die Versorgung kranker Menschen hat sich am medizinischen Bedarf zu orientieren: Es muss einen freien Zugang für alle geben, eine Pflichtversicherung, und eine solidarische Finanzierung aus Steuern oder Beiträgen. Das sind Elemente, die anzustreben sind.

Wenn wir von den Verlierern der Reform sprechen – wer sind denn die Gewinner?

Die Gewinner sind die privaten Krankenversicherungen, denn sie dürfen unverändert bestehen bleiben. Die hauptsächlichen Gewinner aber sind die Arbeitgeber, denn ihre Beiträge werden voraussichtlich festgeschrieben.

INTERVIEW: ANNA LEHMANN

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