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Die Grünen werden Grenzgänger

Die Grünen verordnen sich einen Spagat: Einerseits wollen sie 2007 gemeinsam mit CDU und FDP den Senat unter Druck setzen, andererseits müssen sie unterscheidbar bleiben. Das wird schwierig

VON MATTHIAS LOHRE

Herbe Enttäuschungen zu verarbeiten, das dauert halt seine Zeit. Die Grünen haben ihre schmerzlichen Erfahrungen damit. Nach ihrem Sieg bei der Abgeordnetenhauswahl hofften sie auf eine herzliche Liaison mit ihrer Ex, der SPD. Daraus wurde bekanntlich nichts. Nun, nach vier Monaten, haben sie sich zusammengerauft und sehen ein: Wir müssen allein klarkommen.

Die Grünen mühen sich beim Spagat, mit CDU und FDP zusammenzuarbeiten und zugleich unterscheidbar zu bleiben. Das beginnt beim Dauerthema Jamaika-Koalition. Nach ihrer Fraktionsklausur erklärte Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann gestern: Eine Kooperation mit Union und FDP könnten sich seine Abgeordneten durchaus vorstellen. „Die Mauern zu CDU und FDP sind niedergerissen“, sagte Ratzmann. Gespräche untereinander gebe es wieder. Aber: „Wir sehen nicht, dass Jamaika ein Modell für Berlin ist.“ Den Grünen missfallen insbesondere die rigiden Unionsforderungen nach mehr Kameraüberwachung im öffentlichen Raum und mehr Polizisten. An den Liberalen kritisieren sie deren Pochen auf Privatisierung aller Landesunternehmen.

Gäbe es die marktradikalen Liberalen nicht, müssten die Grünen sie erfinden. Ansonsten wirkten die Grünen mit ihrer Forderung nach einem Gesamtkonzept für die rund 270.000 landeseigenen Wohnungen ziemlich marktgläubig. Zwar hat Rot-Rot bereits bei Amtsantritt Anfang 2002 ein Sanierungskonzept für die fünf Wohnungsbaugesellschaften versprochen. Das steht jedoch bis heute aus.

Der Fraktionschef der Grünen argwöhnt, dass das für den Sommer versprochene Sanierungskonzept keine genügenden Antworten liefern werde. Im Gegenteil: Ratzmann fürchtet, dass der Senat „schon Lotsen aufstellt für die Heuschreckenschwärme“. Rot-Rot hat sich im Koalitionsvertrag hingegen gegen „Blockverkäufe an große Investmentgesellschaften“ ausgesprochen. Die Grünen vermuten, das Land habe in den vergangenen Jahren mehr Wohnungen auf den Markt geworfen als bislang bekannt.

Gegen Schicksalsschläge helfen bekanntlich auch Ortswechsel. Deshalb haben die Grünen Besuche bei anderen Landtagen, im Bundestag und im Europaparlament geplant, um mehr über deren Arbeit zu erfahren. Ratzmann selbst hat sich gar eine Boston-Reise verordnet. Die Enttäuschung muss sehr groß gewesen sein.

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